Erst verdienten Apotheker gut an den Erstattungen für FFP2-Masken. Nun sollen sie auch beim Ausstellen der digitalen Impfzertifikate kassieren. Kritik weist die Branche zurück.
Rund 19 Millionen Menschen sind in Deutschland bereits vollständig geimpft – und haben dafür eine Bestätigung auf Papier erhalten: einen Zettel oder einen Stempel in ihrem Impfpass. Dieser Nachweis, der inzwischen zu einem Passierschein für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geworden ist, soll künftig auch per Smartphone erbracht werden können. Um die Digitalisierung, die dann wiederum eine Übertragung in die Corona-Warn-App oder der gerade von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgestellte App CovPass ermöglicht, sollen sich neben den Impfzentren und Arztpraxen auch Apothekerinnen und Apotheker kümmern. (mehr …)

Juni 2021 | Allgemein, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

 

Gereifte Konflikte und erste Implosionen
Wie in der Zeit nach der Homeoffice-Pflicht
innerbetriebliche Kontroversen sichtbar werden

Die Probleme der zwischenmenschlichen Kommunikation treten jetzt in der Zeit nach der Homeoffice-Phase in vielen Unternehmen zu Tage.

Sehr geehrter Herr Gottschling,

das Ende der Homeoffice-Pflicht in den Unternehmen soll bis spätestens Ende Juni eingeläutet werden. Manche Firmen sind froh darüber, andere möchten an dem Modell festhalten.

Inzwischen arbeiten wir remote, hybrid und mobil – und endlich auch wieder physisch. Doch was passiert in der Nach-Homeoffice-Zeit? Über Monate gab es immer raffiniertere Wege, um über Distanz zu arbeiten. Das hat mitunter gut funktioniert. Doch zurück im Büro tun sich Gräben auf, zeigen sich persönliche Differenzen, werden unterschwellige Konflikte plötzlich sichtbar.

Mit diesem Phänomen befasst sich der Schweizer Kommunikationsexperte Stefan Häseli in seinem Fachbeitrag. Er zeigt auf, welche dramatischen Folgen hybride Arbeitsweisen haben können. Und er plädiert dafür, in der aktuellen Change-Phase bloß keine kommunikativen Rückschritte zu machen.

Wir freuen uns über eine Veröffentlichung – bitte mit Beleg.

Wünschen Sie Kontakt zum Autor? Gerne vermitteln wir ein Interview.

Freundliche Grüße

Dr. Simone Richter

Gereifte Konflikte und erste Implosionen
Wie in der Zeit nach der Homeoffice-Pflicht innerbetriebliche Kontroversen sichtbar werden

Gehören Sie auch zu den Anhängern flexibler Arbeitsorte und Homeoffice? Arbeiten Sie in Ihrem Unternehmen auch schon seit zehn oder sogar zwanzig Jahren sowohl remote, hybrid und mobil als auch gleichzeitig physisch? Lange Zeit wurde diese Praxis noch etwas belächelt: Wer nicht einmal ein zentrales Office mit Arbeitsplätzen für alle zur Verfügung hatte, galt als unkonventionell. Heute ist es völlig selbstverständlich geworden – wer noch anders arbeitet, hinterlässt unterdessen schon fast einen etwas anachronistischen Beigeschmack… 

Wir reden seit 15 Monaten von Vor- und Nachteilen dieses Arbeitens. Was vor dem ominösen März 2020 eher Einzelfälle oder Zeichen global-tätiger Firmen oder von Start-up-Unternehmen war, ist seit damals die Regel – zumindest in Beschäftigungen, die überhaupt von zu Hause aus erledigt werden können. Es war ein Segen, dass vor allem Dienstleistungsunternehmen und Stabsabteilungen in der Industrie praktisch weiterhin reibungslos weiter funktionieren konnten. Man hat immer raffiniertere Wege gefunden, über Distanz zu arbeiten. Das hat so gut funktioniert, dass es schon fast unbestritten ist, dass dieses Setting der Arbeit auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil bleibt.

Hybride Arbeitsweisen und die dramatischen Folgen 

So weit so gut – wirklich? Nein! Denn selbst die Anhänger solcher hybriden Arbeitsweisen nehmen nun immer mehr eine kritische Haltung ein. Einerseits machen uns die Fakten von Forschungen unmissverständlich sichtbar, dass wir in den letzten Monaten ein Problem in der zwischenmenschlichen Kommunikation hatten. Eine Studie der BARMER und der Universität St. Gallen unter der Leitung des Gesundheitsforschers Stephan Böhm zeigt, welche teilweise dramatischen Folgen das hat und wie sich der oft auch falsche Umgang mit Homeoffice auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden auswirkt.

Die Art und Weise der Kommunikation hat sich massiv verändert. Größtenteils ist das persönliche Gespräch auf eine Kommunikation per E-Mail, Kurznachrichten, Videokonferenzen oder Telefongespräche verlagert worden. Auch das ist per se noch nicht schlecht, solange man bewusst auch Wege gefunden hat, das Zwischenmenschliche zu pflegen. Denn genau das bildet die Grundlage für soziale Beziehungen und schlussendlich für des Wohlbefindens. Ersetzen lassen sich persönliche Begegnungen zwar ohnehin nicht, zumindest aber die negativen Auswirkungen der reinen Online-Kommunikation und der Remote-Arbeit abschwächen. Das ist auch dringend notwendig, denn jedem Dritten fehlt die Gesellschaft, jeder Vierte fühlt sich isoliert. Anlass zur Sorge muss vor allem die Tatsache geben, dass Umfragen im Rahmen dieser Studien zeigen, dass sich die Tendenz im Vergleich zum Sommer 2020 nochmals verstärkt hat.

Eklatante Bewegung zurück zu „Physis“ 

Das bedeutet in logischer Konsequenz im Unternehmen: Pflegen Sie die Kommunikation in Zeiten der Homeoffice-Phase sehr bewusst und trotz allem abwechslungsreich und persönlich. Gleichzeitig lässt sich in den letzten Wochen beobachten, dass hier und da Entscheidendes passiert: Die Homeoffice-Pflicht ist vielerorts kurz vor der Auflösung und gerade in der Schweiz ist in dieser Zeit die Bewegung zu „Physis“ eklatant. In manchen Unternehmen kann die Rückkehr zum Echten, zum persönlichen Miteinander gar nicht schnell genug gehen. Die Menschen haben sich vermisst, man trifft sich wieder. Und wir erleben mitunter herzberührende Szenen in Firmen, in denen sich die Mitarbeitenden nach zwölf Monaten erstmals wieder im Büro treffen – von Angesicht zu Angesicht, ohne dazwischen geschalteten Bildschirm, in 3D-Qualität, leibhaftig und hautnah.

Doch die Rückkehr zur ganz klassischen interpersonellen Kommunikation kann auch ihre Tücken haben. So erlebte es kürzlich erst eine Kadermitarbeiterin und ausgewiesene Fachkraft, die im November ihren Dienst in einem großen Unternehmen angetreten hatte. Bis in den April hatte sie noch nie persönlichen Kontakt zu irgendeinem Teammitglieder oder zu ihrer Chefin. Jeder Kontakt, jeder Austausch und jedes Gespräch hatten sich im digitalen Raum abgespielt. Kurz nach dem ersten Zusammentreffen mit Kollegen und Vorgesetzten im „echten“ Umfeld zeigte sich, dass es ihr schwerfiel, in dem Team und in dem Betrieb anzukommen. Sie fühlte sich schlichtweg nicht in der Lage, den Transfer aus dem Remote-Zustand in die analoge Welt zu leisten. Das Unternehmen begegnete ihrem Anliegen mit einer Art der Ignoranz, die für sie untragbar war. Also kündigte sie ihre Anstellung.

Die Tücken der interpersonellen Kommunikation 

Das ist möglicherweise ein Einzelfall. Trotzdem sollte es uns nicht nur zu denken geben, sondern sogar Sorgen bereiten. Denn egal wo und wie: Es wird die Zeit kommen, in der sich die Leute wieder persönlich antreffen. Nach der anfänglichen und gut zu beobachtenden Euphorie geschieht das, was in der Gruppendynamik eben oft passiert: nach der Phase von „Reforming“ folgt das „Storming“. Die Menschen im Unternehmen, im Team, in der Abteilung spüren, dass man sich schlichtweg auseinandergelebt hat. Plötzlich werden auch Vorwürfe formuliert, die man vorher nicht aussprechen oder artikulieren konnte – oder wollte. Viele fühlen sich ungleich oder unfair behandelt, die oft nicht funktionierenden Prozesse werden einem Schuldigen zugeteilt. Jetzt keimen Konflikte auf, die in den letzten Monaten unter dem Deckel der remoten Arbeit reifen konnten.

Nun ist es wie im Straßenverkehr: Man kann das Autofahren gut finden und befürworten, doch dann sollte man es beherrschen. Dazu gehört es eben auch, die Gefahren zu kennen. Auch die Arbeit im Homeoffice kann man als etwas Gutes erachten. Gleichzeitig sollte man es beherrschen und die Risiken im Griff haben. In der derzeitigen Übergangszeit lässt sich mancherorts in den Unternehmen eine förmliche Implosion der remoten Zeiten erleben. Da gilt es, die darauffolgende Zeit rechtzeitig und vor allem professionell zu kalibrieren. Das bedeutet gerade für Unternehmer und Führungskräfte, dass sie bewusst diese neue Zeit anzugehen haben, alles an aufkommenden, gereiften und auch niederschwelligen Konflikten aufzuarbeiten und die Mannschaften neu einzunorden und zu justieren, manchmal sogar neu aufzustellen. Das wäre der kluge Weg.

Drehen Sie das Rad bitte nicht zurück!

Es eröffnen sich jedoch auch andere Möglichkeiten. Tendieren Sie eher zu radikalen Ansätzen? Dann könnten Sie sofort wieder Homeoffice einführen, damit wieder alles so läuft, wie in den letzten Monaten. Diese Strategie kann gut gehen, muss aber nicht. Oder Sie verbietet das Homeoffice-Arbeiten schlichtweg wieder, auch das passiert bereits in ersten Unternehmen. Die Hoffnung, dass Sie als Chef Ihre „Schäfchen“ wieder persönlich „an die Zügel“ nehmen können (übrigens ein Original-Zitat eines Unternehmers) ist wohl auch nicht das zeitgemäße Rezept. Denn beiden gemein ist: Sie drehen das Rad zurück. In dem einen Fall um vier Wochen, im anderen um 15 Monate.

Übergangszeiten sind in jedem Changeprozess anspruchsvolle Zeiten. Es sind einerseits Sollbruchstellen im Arbeitsklima und sie bieten andererseits auch Möglichkeiten, die neue Zeit bewusst anzugehen, zu regeln und die Kommunikationskultur nicht sich selbst zu überlassen. Wenn es implodiert, erodiert es – und am Schluss ist nichts mehr Schlaues da.

Abdruck honorarfrei, Belegexemplar erbeten

Über den Autor
Stefan Häseli ist Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor mehrerer Bücher. Er betreibt ein Trainingsunternehmen in der Schweiz. Der Kommunikationsexperte begleitet seit Jahren zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen. Er doziert an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation. Als Experte nimmt er im Radio und TV-Stationen immer dann Stellung, wenn Kommunikation irgendwo auf der Welt gerade eine entscheidende Rolle spiel, wie beispielsweise die ersten Wochen „Donald Trump“ oder der Blick auf das Kommunikationsverhalten von Boris Johnson.

Die Kommunikation in ihren unterschiedlichen Welten und die Details in der Sprache faszinieren ihn und prägt seinen beruflichen Werdegang. Er begeistert in seinen Fachartikel und Kolumnen mit feinsinnigem Humor. In seinen Vorträgen und Seminaren vermittelt er Wissen kurzweilig und gespickt mit Beispielen aus der Praxis sowie amüsanten Anekdoten – stets mit einem liebevollen Augenzwinkern. Sein neuestes Buch „Glaubwürdig – Von Schauspielern fürs Leben lernen“ beleuchtet er anhand erfrischender Denkansätze, wie wir unsere Selbstwirksamkeit kritisch hinterfragen, glaubwürdig und authentisch rüberkommen und unsere Rollen und den Umgang mit Erwartungen besser gestalten können. Als ausgebildeter Schauspieler mit jahrelanger Bühnenerfahrung schreibt er ganze Abendprogramme selbst. Dazu kommen Engagements in Kino-Filmen, TV-Serien, TV-Werbespots und Schulungsfilmen.

https://stefan-haeseli.com/ 

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:Fragen Sie Ihren Apotheker

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Herbert Draper – Die Beweinung des Icarus (1898)

Keine andere Partei hat in den vergangenen Monaten derartig Aufwind bekommen wie die Grünen, ihre Frontfrau schickte sich sogar an, zur Sonne zur fliegen, die Kanzleramt heißt. „Es begab sich aber zu der Zeit“, dass sie ihre Konkurrenten Armin Laschet vom trägen Planeten CDU und Olaf Scholz vom damals noch irrlichternden Kometen SPD weit hinter sich gelssen hat; gegen den aufgehenden Stern wirkten die Herren wie Dinosaurier aus dem politischen Pleistozän. Wer aber der Sonne zu nahe kommt,  dessen Flügel verbrennen wie weiland die des Irakus und, wie dem Höhenflieger aus der griechischen Mythologie ergeht es in diesen Tagen auch den beiden Grünen-Chefs Robert Habeck und aber vor allem und allen anderen  Annalena Baerbock. Der eine stolpert mit Stahlhelm durch die Ukraine und offenbart seine außenpolitische Unbedarftheit. Die andere vergisst, dem Bundestag Sonderzahlungen von mehr als 25.000 Euro zu melden, und kämpft mit ihrem eigenen Lebenslauf, der offenkundig nicht nur lückenhaft, sondern auch geschönt war. „Ich habe da offensichtlich einen Fehler gemacht, und das tut mir sehr, sehr leid“, gestand sie gestern Abend in der ARD – und das, das läßt sich kaum mißverstehen.

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Alfred Nobel: Vom Dynamit zum Namensgeber des Preises

Dieses Jahr schweigt sie zum siebten Mal – aber zum ersten Mal selbstverschuldet. Frédéric Mistral, Giusuè Carducci, Verner von Heidenstam, Miguel Ángel Asturias: Die Namen dieser Autoren dürften außerhalb ihrer Heimatländer allenfalls Spezialisten noch etwas sagen, und ob sie sonderlich gelesen werden, darf man bezweifeln.
Dass sie in den Jahren 1904, 1906, 1916 und 1967 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden sind, hat den Prozess des langsamen Vergessenwerdens sicherlich gebremst, aber nicht substantiell aufgehalten. Umgekehrt wird man sich an James Joyce, Marcel Proust, Italo Calvino oder Astrid Lindgren noch lange erinnern – jedoch hat keiner von ihnen den Preis je erhalten.

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Die Pandemie ist noch nicht zu Ende und schon haben wir Grund anzumerken: Danach kommen nicht nur Annehmlichkeiten, es kommen auch einige unangenehme Erkenntnisse über das Land und über die Leute und den Wahlkampf und das Klima. Aber: Hurra – wir leben noch! Nun ist es doch aber nicht so, als habe die Pandemie überhaupt nichts verändert. Und man merkt das vielleicht besonders schmerzlich, wenn man nach der ersten Impfdosis draußen sitzt und auf das Gefühl der Befreiung wartet. Man weiß nun manche Dinge besser, und man weiß sie definitiv.

 

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Drosten: „Wissenschaft ist immer unabgeschlossen …

Christian Drosten erforscht seit nunmehr bereits siebzehn Jahren Corona­viren – derweil die meisten von uns erst seit Januar 2020 wissen, dass solche Viren überhaupt existieren.  Diese Vieren wurden zum Zentrum seiner Arbeit, nachdem er darauf aufmerksam geworden war, dass sich 2003 ein Arzt in Singapur mit einem unbekannten Virus angesteckt habe, der dann nach New York geflogen und dort krank geworden war. Man wusste, dass er in Singapur mit schwer erkrankten Patienten Kontakt gehabt hatte. Auf dem Rückflug landete das Flugzeug für einen Tankstopp in Frankfurt. Der Mann wurde von Bord genommen und auf eine Isolier­station gebracht. Damals arbeitete Drosten in Hamburg am Tropen­institut, das sich um importierte Infektions­krankheiten kümmert  und hatte gerade eine Labor­methode entwickelt, die Viren bestimmen kann, die man noch nie vorher gesehen hatte. So wurde er in diese Detektiv­geschichte involviert.

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Das Gendersternchen schadet niemandem, auch wenn vorgebliche Sprachpuristen es gern anders darstellen. Sensiblen Sprachgebrauch vorzuschreiben, ist aber auch keine Lösung.

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Schon Ray Davies sang: „Boys will be girls and girls will be boys.“ Nur die Sprache dafür haben wir noch nicht. Aber das kommt noch. © Girl with red hat/​unsplash.com

Die Sprache als Fahne – Seite 1

„Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte, / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte.“ So reimte Deutschlands Dichterfürst 1827, und man muss feststellen: Goethe, du hattest es besser: Um den Reim auf „Basalte“ zu ermöglichen, veränderte er einfach das Geschlecht des Worts „Kontinent“. Es ist auch gar nicht einsichtig, warum eine Landmasse weiblich oder männlich  sein sollte und nicht sächlich. Wer – wie ich – als Zuwanderer die Geschlechter deutscher Wörter – „der“ Mond, obwohl die romanischen Sprachen unseren Trabanten als weiblich ansehen, „die“ Sonne, obwohl es bei den Nachbarn umgekehrt ist – lernen musste, beneidet Goethe um seine Nonchalance. Heutige Deutschlehrer*innen und Korrektor*innen würden außerdem – wie mein Word-Korrekturprogramm – „keine verfallene Schlösser“ als Fehler ankreiden. Unsere Sprache war schon mal flexibler.

Wie Sie bemerkt haben, verwende ich oben das Gendersternchen, um männliche, weibliche und im Hinblick auf ihre sexuelle Identität – oder „Gender“ – diverse Menschen einzubeziehen. Früher habe ich auch das – inzwischen als unzureichend inklusiv verworfene – „Binnen-I“ verwendet. Aber – ich gebe es zu – nicht eigentlich aus edlen Gründen, sondern oft, um Reaktionäre zu ärgern. Oder um Fortschrittlichen zu signalisieren, dass ich selbst nicht reaktionär bin. Jedenfalls nicht im Hinblick auf die gesellschaftliche Inklusion. Und hier liegt ein Problem. Sprache wird allzu oft nicht als Verständigungsmittel benutzt, sondern als Fahne: Seht her, ich gehöre zu dieser oder jener Gruppe!

Es gibt andere, weniger brisante Beispiele. Psychologen benutzen zur Kennzeichnung ihrer Zugehörigkeit zur Zunft das Verb „erinnern“ mit dem Akkusativ: „Ich erinnere die Begegnung“ statt „ich erinnere mich an die Begegnung“. Eine übrigens sinnvolle Anwendung angelsächsischer Grammatik auf die deutsche Sprache, die sich merkwürdigerweise aber nicht durchsetzen will. Protestanten reden von ihrer Institution oft als „Kirche“ ohne Artikel. Vermutlich wollen sie damit Alleinvertretungsansprüche der einen oder anderen Konfession – und vor allem der Katholiken, die mit „der“ Kirche eben ihre eigene meinen – zurückweisen und die Gemeinschaft aller Christen betonen. Paradoxerweise aber weisen sie sich gerade dadurch als gesonderte Gruppe aus. Früher erkannte sich die Miles-&-More-Elite daran, dass sie deutsche Wörter nicht benutzen konnte, sondern sie durch englische ersetzten musste. Das ist allerdings inzwischen so üblich geworden, dass ich nicht einmal wüsste, wie ich „Carsharing“, „Homeoffice“, „Pop-up-Radweg“ oder „Shitstorm“ auf Deutsch sagen könnte. Von „Gender“ ganz zu schweigen.

Amerika hat es auch in Bezug auf das Gendern leichter. Es hat nicht die „verfallene Schlösser“ der deutschen Grammatik, als da sind „der, die, das“ (übrigens werden die Artikel immer in der Reihenfolge aufgelistet: nie alphabetisch: „das, der, die“). Männlich zuerst: der Mann, die Frau, das – offensichtlich geschlechtslose – Kind. Dank „the“ kann die englische Sprache relativ leicht inklusiv werden. Ein paar Berufsbezeichnungen müssen geändert werden – „flight attendant“ statt „stewardess„, „chairperson„, „chairwoman“ oder einfach „chair“ statt „chairman“ –, und ansonsten verlagert sich das ganze Problem auf die Pronomina. Und wer nicht, wie es manche tun, einfach abwechselnd „he“ oder „she“ benutzen will, kann auf die längst auch in der Alltagssprache übliche Variante zurückgreifen, „they“ als ein Gender-inklusives Pronomen auch in der Einzahl zu verwenden: „If someone doesn’t want a vaccination, they will have to accept some discrimination.“ Auf Twitter geben Leute an, wie sie erwähnt werden wollen: „he/ she/ they„.

Glaubenskrieg um das „Gendern“

Deutschland, du hast es schlechter. Hast Basalte und das grammatische Geschlecht. Und nur deshalb Binnen-I, Gendersternchen oder Genderdoppelpunkt und den entsprechenden Schluckauf-Laut, wenn frau versucht, einen gestirnten oder gepunkteten Text zu lesen. Und, was schlimmer ist, einen Glaubenskrieg um das „Gendern“. Manche Universitäten legen inzwischen Wert auf die konsequente Verwendung von gendergerechter Sprache in Studien- und Prüfungsarbeiten. (Obwohl sie es, wie ich selbst bezeugen kann, mit den Kommaregeln etwa und der allgemeinen Leserlichkeit jenseits der politisch-grammatikalischen Korrektheit oft nicht so genau nehmen, von den Plagiatsbestimmungen ganz zu schweigen. Andere Baustelle.) Auf der anderen Seite mobilisieren reaktionäre Kräfte für ein Verbot des Genderns. (Obwohl sie, ohne sich des Widerspruchs bewusst zu sein, den Grünen immer vorwerfen, die „Verbotspartei“ zu sein.) Damit ist der Sprachgebrauch zu einem Element des „virtue signalling“ der Linken und zu einer Fahne im Kulturkampf der Rechten geworden.

Und das Problem damit eigentlich unlösbar. Das Problem nämlich, wie sich eine über Jahrhunderte entwickelte und sich immer noch entwickelnde Sprache mit grammatischem Geschlecht so weiterentwickeln kann, dass sie die neuen Sensibilitäten des 21. Jahrhunderts im Hinblick auf das „natürliche“ (ich weiß, ich weiß) Geschlecht reflektiert. Es ist ein bisschen wie beim Klimawandel. Den gab es immer, aber jetzt passiert er so rasend, dass wir uns vor die Notwendigkeit gestellt sehen, unsere gesamte Energieerzeugung und -nutzung sehr plötzlich umzustellen. Es sind übrigens fast immer dieselben Kräfte, die einerseits den Klimawandel oder die Dringlichkeit des gesellschaftlichen Wandels nicht wahrhaben, andererseits das „Gendern“ (gern mit hartem „G“ ausgesprochen) verbieten wollen.

Und es sind auf der anderen Seite oft dieselben Kräfte, die einerseits mit dem Hinweis auf den „Klimanotstand“ tatsächlich möglichst viel – Inlandsflüge, Pkw in den Innenstädten, Eigenheime auf der Wiese, Steaks auf dem Teller – verbieten wollen, andererseits verbissen jedes vergessene Gendersternchen, jeden unterlassenen Schluckauf, jede unüberlegte Verwendung von „man“ verfolgen, die eine akademische Arbeit etwa über Sternenstaub oder Bodenqualität nur dann gelten lassen wollen, wenn die Autorin einen Kotau vor dem Stammessprachfetisch macht.

Frankreich hat es in den Augen der Reaktionären besser, weil die Académie française einfach das Gendern verboten hat, angeblich weil es die Klarheit und Verständlichkeit der französischen Sprache unterminiere. In Wirklichkeit, so steht es zu vermuten, weil es als angelsächsische Torheit gilt. Man hat in Frankreich lange Zeit Schutzquoten für Musik mit französischen Texten im Radio und Fernsehen gesetzlich vorgeschrieben, und es gibt ja auch genügend prominente Französinnen, die sich mit der Meinung zu Wort melden, sexuelle Anzüglichkeiten und Macho-Verhalten seien Teil der französischen Kultur, die sie nicht missen wollen. Nun denn.

Das deutsche Pendant zur Académie française ist die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Schon bei Vorlage ihres Berichts zur Lage der deutschen Sprache 2017 sah ihr Mitglied Peter Eisenberg in den amtlichen Vorschriften zur Verwendung gendergerechter Sprache, wie sie etwa in Berlin gelten, „sprachpolizeiliche Allüren“. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Eisenberg: „Solche Eingriffe in die Sprache sind typisch für autoritäre Regimes, aber nicht für Demokratien.“ Für ihn bedeutet die Verwendung des Gendersternchens oder von Kunstbildungen wie „Geflüchtete“ statt „Flüchtling“ eine Vergewaltigung der Sprache. Die Politiker seien „gewählt worden, um den Willen ihrer Wähler zu verwirklichen. Und was machen sie als Erstes: Sie wollen die erziehen“.

Hätte also die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung eine auch nur ähnliche Macht wie ihr Pendant in Paris, wäre es bald um die gendergerechte Sprache geschehen – jedenfalls in amtlichen Schriftstücken. Niemand könnte es einer Dichterin verwehren, sie dennoch zu benutzen. Da allerdings liegt die Häsin im Pfeffer: Gerade in amtlichen Dokumenten stören der Genderstern und andere Versuche der Inklusion nicht wirklich; wir haben uns daran gewöhnt, dass solche Texte ohnehin schwer verständlich oder doch sehr umständlich sind. Dichter und Dichterinnen jedoch werden kaum von diesen sprachlichen Möglichkeiten oder Marotten Gebrauch machen.

Auf dass sich die Gedanken nicht entgrenzen

Die deutsche Sprache ist ohnehin dank ihrer Endungen äußerst silbenreich, was deutsche Texte oft lang macht. In einem früheren Leben war ich hauptberuflicher Übersetzer, und bei der Übertragung englischer Texte ins Deutsche wurden sie um ein Viertel länger. Wolf Biermann schrieb über seine Nachdichtung der Sonette William Shakespeares: „Wie kriegt man einen breiten deutschen Hintern in die schmale englische Hose … Fünf Hebungen wie im Original sind zu wenig. Ich brauchte eigentlich Verse mit fast sieben Füßen, das entspräche in etwa dem quantitativen Unterschied der Sprachen.“ (Übrigens nahm sich Biermann die Freiheit heraus, die ersten 77 Sonette, die nach Meinung der meisten Shakespeare-Expertinnen an einen jungen Mann gerichtet sind, an eine Frau zu richten. Er dürfe das, so Biermann, auch „weil das Englische so oft unklar ist in Bezug auf das Geschlecht …“.)

Wir wollen also – jenseits offizieller Dokumente – eine Sprache, die so „unklar in Bezug auf das Geschlecht“ und gleichzeitig so „schlank“ sei wie das Englische; jedenfalls wollen wir das, wenn wir uns nicht partout gegen jede Veränderung stemmen; ein Widerstand, der sich oft genug unter dem Deckmantel des Schutzes der Sprache in Wirklichkeit gegen die Sache wendet, die Gleichberechtigung und das Sichtbarwerden von Frauen, Schwulen, Lesben, queeren und trans Personen, und daher genauso „erzieherisch“ und „sprachpolizeilich“ gemeint ist wie die von Eisenberg kritisierten Vorschriften. Wenn die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt sind, wie Ludwig Wittgenstein meinte, dann wollen Reaktionäre die Sprache eingrenzen, auf dass sich die Gedanken nicht entgrenzen.

Interessanterweise ziehen die Anti-Gender-Kreuzzügler selten oder nie ernsthaft gegen die Anglisierung der Sprache zu Felde, obwohl sie das Deutsche mindestens so verbiegt wie die Gendergerechtigkeit: Verben wie „downloaden“, „liken“, „outsourcen“ oder „googeln“ vermischen englische Phonetik mit deutscher Grammatik, widersprechen den Regeln deutscher und englischer Rechtschreibung und Grammatik: „Ich habe seinen Post geliked.“ Die selektive Blindheit der angeblichen Sprachpuristen erinnert an die Haltung der Gegnerinnen der „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder, die nie ein Wort verlieren gegen Hochspannungsmasten, Schornsteine, Bürotürme und Automassen, die seit Jahrzehnten Stadt und Land viel mehr verschandeln.

Die Aufgabe, eine zugleich elegante und inklusive Sprache zu entwickeln, bleibt. Einstweilen schadet es keiner und keinem, wenn in Verordnungen und Gesetzestexten das Gendersternchen und möglichst nur genderneutrale Formulierungen – „Lernende und Lehrende“ etwa statt „Schüler und Lehrer“ – benutzt werden. Den Gebrauch in akademischen und schulischen Arbeiten vorzuschreiben, geht allerdings zu weit. Verbote und Gebote schaffen kein Umdenken, sondern nur böses Blut.

Die Weisheit der Menge wird Formulierungen finden, die jenseits von Stern und Schluckauf die Mängel der Sprache kompensieren; Dichter und Dichterinnen können dabei helfen. Und damit das geschieht, sollten Stern und Schluckauf als Stachel im Fleisch des Sprachkörpers bleiben. Sie werden aber, davon bin ich überzeugt, nicht das letzte Wort bleiben.

Genau deshalb sollte sich aber der Kulturkampf wieder um die Sache selbst drehen, um die Rolle von Genderkonstruktionen und die Überwindung von Klischees in der Gesellschaft. Mein Enkelsohn ist kein halbes Jahr alt. Ich wäre froh, wenn er sich nicht wie ich mit Erwartungen an sein Männlichsein herumschlagen müsste, die aus einer anderen Welt stammen. Wie Ray Davies sang: „Boys will be girls and girls will be boys.“ Nur die Sprache dafür haben wir noch nicht. Kommt noch.

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