Nach der Verabschiedung des „Anti-Pädophilie-Gesetzes“ hat die Debatte um die Vereinbarkeit von Ungarns rechtsstaatlicher Entwicklung mit seiner EU-Mitgliedschaft neue Fahrt aufgenommen. Kommissionspräsidentin von der Leyen nannte das Gesetz eine Schande, der niederländische Premier Rutte forderte Ungarn auf, die Union zu verlassen. Auch Europas Presse diskutiert, ob nun härtere Schritte angebracht wären.

Ein Mann mit Orbán-Maske protestiert in Berlin gegen die Diskriminierung Homosexueller durch das neue ungarische Gesetz. (© picture-alliance/Markus Schreiber)
Ein Mann mit Orbán-Maske protestiert in Berlin gegen die Diskriminierung Homosexueller durch das neue ungarische Gesetz.
Kann Ungarn weiter EU-Mitglied bleiben?

Nach der Verabschiedung des „Anti-Pädophilie-Gesetzes“ hat die Debatte um die Vereinbarkeit von Ungarns rechtsstaatlicher Entwicklung mit seiner EU-Mitgliedschaft neue Fahrt aufgenommen. Kommissionspräsidentin von der Leyen nannte das Gesetz eine Schande, der niederländische Premier Rutte forderte Ungarn auf, die Union zu verlassen. Auch Europas Presse diskutiert, ob nun härtere Schritte angebracht wären.

THE IRISH TIMES (IE)

Den Geldhahn zudrehen

Brüssel sollte den ungarischen Premier endlich dort treffen, wo es ihm und seiner Regierung wirklich weh tut, fordert The Irish Times:

„Mit Ungarns von Hass geprägtem Anti-LGBTI+-Gesetz wurde eine rote Linie überschritten. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte soll Viktor Orbán gefragt haben, warum er in der EU bleiben wolle, und Ungarn vorgeschlagen haben, aus der Union auszutreten. Orbán steht gegen fast alles, wofür die EU steht, aber er hat keinen Anreiz, diese zu verlassen. Im Gegenteil: Der Fluss von EU-Geldern trägt dazu bei, ihn an der Macht zu halten. Es ist höchste Zeit, dass diese finanziellen Mittel zurückgehalten werden.“

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DER STANDARD (AT)

Ausschluss wäre Unsinn

Europa muss sich für die Bürger in Ungarn stark machen, fordert Der Standard:

„Viktor Orbán, der als junger Mann als liberaler Politiker begonnen hat, … hat das Gesicht verloren. Er hat nicht begriffen, was die Rechts- und Wertegemeinschaft EU im Kern ausmacht. Er ist Antieuropäer. Dennoch wäre es ein großer Fehler, jetzt den Kopf zu verlieren, gar den EU-Austritt Ungarns anzuregen, wie Rutte das im Zorn getan hat. Ganz im Gegenteil. Orbán ist nicht Ungarn. Die EU und ihre Staaten müssen umso mehr um die Ungarn, um die Bürger dort kämpfen. … Orbán zu Fall bringen, das müssen die Ungarn selbst erledigen – am besten bei den nächsten Wahlen, wenn sie erkennen, auf welchen Irrweg sie ihr Anführer gebracht hat.“

Thomas Mayer
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LA STAMPA (IT)

EU-Spaltung zeigt sich immer deutlicher

Der Streit um Rechtsstaatlichkeitskriterien wird für die EU immer mehr zur Zerreißprobe, befürchtet La Stampa:

„Das lange politische Hinauszögern jeglicher Entscheidung, die notwendig wäre, um die EU als einen Raum gemeinsamer Werte zu retten, scheint sie an den Rand des Abgrunds gebracht zu haben. Die ungarische Frage wird unausweichlich, nicht nur wegen ihrer Schwere, sondern auch, weil sie verschiedene Ebenen des Bruchs innerhalb der Union markiert. Die äußerst harschen Worte der Kommissionspräsidentin haben im Europäischen Rat, in dem die Regierungschefs der Mitgliedstaaten tagen, wenig Resonanz gefunden. Nur 17 von 27 Staaten haben eine ähnliche Position eingenommen. … Der Gegensatz zwischen den obersten Institutionen der Union wurde bereits Ende letzten Jahres deutlich, als der Europäische Rat das Parlament demütigte und dessen Text bis zur Bedeutungslosigkeit verwässerte.“

Vladimiro Zagrebelsky
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LE SOIR (BE)

Zeit für eine Klage in Straßburg

Diskussionen und Maßnahmen im Rahmen von EU-Prozessen reichen nicht mehr aus, schreibt ein Kollektiv von Akademikern in Le Soir:

„Diese Maßnahmen muss man im breiteren Kontext der bewussten Erosion der liberalen Demokratie in Ungarn sehen. … Die Mittel der Europäischen Union, dagegen vorzugehen, sind begrenzt. Warum also nutzen wir dann nicht Europa im größeren Sinne, den Europarat, die Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? Es ist Zeit für eine Klage in Straßburg: ‚Belgien und 16 andere Mitgliedstaaten gegen Ungarn‘, um die Diskriminierung und die Angriffe auf die Meinungsfreiheit anzuprangern, derer sich die ungarischen Institutionen schuldig machen und die gegen die europäische öffentliche Ordnung verstoßen.“

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Schlappe für Merkel und Macron: EU gegen Putin-Treffen

Angela Merkel und Emmanuel Macron wollten nach dem Biden-Putin-Gipfelden eigenen außenpolitischen Gestaltungsanspruch der EU unterstreichen und hatten deshalb kurz vor dem EU-Gipfel letzte Woche vorgeschlagen, ein Treffen mit Russland abzuhalten. Das scheiterte nun vor allem am Widerstand Polens und des Baltikums. Auch andere Mitgliedsländer fühlten sich überrumpelt.

HANDELSBLATT (DE)

Schlechtes Zeichen

Der Vorschlag zeigt, wie Außenpolitik in der EU nicht funktioniert, kritisiert das Handelsblatt:

„Auch die beiden mächtigsten Politiker in Europa können ihre Kollegen aus dem Osten nicht an einen Tisch mit Wladimir Putin zwingen. … Dass man sich nun auch noch bei Russland auf offener Bühne miteinander streitet, ist ein schlechtes Zeichen. Merkel und Macron hätten das mit ein paar Anrufen vermeiden können. Stattdessen tat Merkel nach dem EU-Gipfel so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis man die anderen Staats- und Regierungschefs von einem Treffen mit Putin überzeugt habe. Diese Haltung macht eine Einigung schwierig.“

Christoph Herwartz
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Osten möchte nicht übergangen werden

Den nordosteuropäischen EU-Ländern konnte die Idee nicht gefallen, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:

„Zwischen den Falken im Osten, vor allem den Balten und Polen, sowie Ländern wie Italien, Griechenland, aber auch Österreich und Ungarn liegen Welten. Erstere sehen Russland als eine existenzielle Bedrohung, Letztere verbinden mit ihm in erster Linie wirtschaftliche Chancen. … In Bezug auf Russland wird die EU auf lange Sicht also kaum handlungsfähig sein. Das ist bedauerlich. In manchen osteuropäischen Ländern verbindet sich damit aber noch ein anderes Gefühl: Die Niederlage von Frau Merkel wirkt beruhigend. Es ist zwar übertrieben, doch aus historischen Gründen irgendwie nachvollziehbar: Diese Länder fürchten eine Verständigung zwischen Berlin und Moskau, die über ihre Köpfe hinweg geschieht.“

Andreas Ernst
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NAFTEMPORIKI (GR)

Übertriebene Angst vor dem „russischen Bären“

Die baltischen Länder sollten ihre Haltung überdenken, schreibt Naftemporiki:

„Schließlich haben die baltischen Länder, die im ‚Kalten Krieg‘ gegen Russland an vorderster Front zu stehen scheinen, Verhaltensweisen in ihrer Liste, die mit den angenommenen europäischen Werten nicht übereinstimmen. In den baltischen Ländern werden die SS-Bataillone offiziell geehrt, während die russische Minderheit mit Problemen und Diskriminierung konfrontiert ist. … So wie die stalinistische Unterdrückung das Achsenbündnis und den weit verbreiteten Antisemitismus in diesen Ländern während des Zweiten Weltkriegs nicht rechtfertigen kann, so kann die derzeitige Angst vor dem ‚russischen Bären‘ nicht den Versuch rechtfertigen, eine europäische Annäherung mit Russland zu untergraben.“

Moisis Litsis
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RIA NOWOSTI (RU)

Angelsachsen-Fraktion zersetzt die EU

Ria Nowosti sieht in dem fehlendem Konsens ein Zeichen für die Schwäche der EU:

„Berlin setzte auf seine Macht und seine Fähigkeit, eine Entscheidung durchzudrücken, zumal nach dem Ausscheiden Großbritanniens: Wenn Berlin und Paris an einem Strang ziehen, wer sollte da noch gegenhalten? Höchstens der sture Orbán. Doch wie sich zeigt, widersetzt sich die pro-amerikanische und pro-angelsächsische Fraktion in der EU dem Willen der franko-deutschen Allianz. Und nimmt der EU damit nicht nur den Mut, sondern auch die Selbstständigkeit, die Handlungsfreiheit und die strategischen Pläne. Sie macht also das, was man immer Russland vorwirft: die EU zu zersetzen.“

Pjotr Akopov
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Juni 2021 | Zeitgeschehen | Kommentieren