Die palästinensische Regierung begrüßte in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung die EU-Reaktion auf die israelische Ankündigung zum Siedlungsbau in der Westbank. Sie forderte die EU auf, „weiterhin Druck auf die israelischen Behörden auszuüben, um die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik einschließlich der gewaltsamen Vertreibung der Palästinenser, wie im Scheikh-Jarrah-Viertel geschehen, einzustellen. 

In ihrer Erklärung bekäftigte die EU erneut ihren Standpunkt

Nämlich dass „alle Siedlungen in dem besetzten palästinensischen Gebieten nach internationalem Recht illegal sind und die EU keine Änderungen in den Grenzen vor 1967 anerkennen wird, auch nicht in Jerusalem, außer denjenigen, die von beiden Seiten vereinbart wurden.“
Zuvor äußerte bereits der UN-Koordinator für den Nahost-Friedensprozess, Tor Wennesland seine große Sorge über seit Beginn des Monats Ramadan anhaltende Gewalt, insbesondere die Abrisse und Vertreibungen in Scheikh Jarrah. Er erinnerte daran, dass in den vergangenen Tagen zwei Palästinenser, eine Frau und der 16-jährige Said Yousef Mohammad Odeh bei verschiedenen Gewaltübergriffen der israelischen Besatzungsbehörden getötet wurden. Zudem warnte der UN-Koordinator ausdrücklich davor, dass, „wenn die Situation unangesprochen bleibt, könnte sie außer Kontrolle geraten“.

In einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung,
Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich heißt es
:

Wir fordern die Regierung Israels auf, ihren Beschluss zurückzunehmen, den Bau von neuerlich 540 Siedlungseinheiten im Gebiet Har Homa E des besetzten Westjordanlandes voranzutreiben, und ihre Politik des Siedlungsausbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten insgesamt einzustellen. Die geplanten Siedlungen verletzen geltendes Völkerrecht und gefährden die Aussichten auf eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Der israelische Beschluss würde die Perspektiven für einen lebensfähigen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt weiter verschlechtern.

Hintergrund sind die israelische Ankündigung mehr als 500 neue Siedlungswohneinheiten in der Siedlungs Har Homa in der besetzten Westbank zu errichten, aber auch die Zwangsräumungen in Sheikh Jarrah sowie die anhaltende Gewalt besonders in Jerusalem seit Beginn des Fastenmonats Ramadan.

Kritik und Mahnungen aus dem Ausland

Die EU und die USA verurteilten die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen und forderten ein sofortiges Ende der Gewalt in dem abgeschotteten Küstengebiet und im von Israel besetzten Westjordanland. „Auch wenn alle Seiten Schritte zur Deeskalation unternehmen (müssen), hat Israel natürlich das Recht, sein Volk und Territorium vor diesen Angriffen zu schützen“, betonte US-Außenminister Antony Blinken.

Scharfe Kritik an Israel kam indes von Saudi-Arabien, Jordanien und auch den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein, die ihre Beziehungen mit Israel in den vergangenen Monaten normalisiert hatten. Die „unverhohlenen Angriffe“ der „israelischen Besatzungskräfte“ würden gegen „alle internationalen Normen und Gesetze“ verstoßen, teilte das Außenministerium in Riad mit. Die Vereinigten Arabischen Emirate riefen Israel etwa dazu auf, Verantwortung zur Deeskalation zu übernehmen. Bahrain forderte ein „Ende der Provokationen gegen das Volk von Jerusalem“.

Vereinnahmung der Proteste

Die Gewalteskalation in Israel und den Palästinensergebieten findet vor dem Hintergrund des Konflikts um die Beschlagnahmung mehrerer Häuser palästinensischer Familien im Viertel Sheikh Jarrah in Ostjerusalem statt. Die Hamas versucht die Proteste zu vereinnahmen, zum Teil mit Erfolg. Hamas-Sympathisanten erledigen rund um den Tempelberg die Arbeit an der Basis, verteilen Hamas-Flaggen und stacheln zu Attacken auf Juden auf.

Am Montag geriet dort die Lage schon vormittags völlig außer Kontrolle. Rund 8.000 Palästinenser verbarrikadierten sich nahe der Al-Aksa-Moschee. Sie bewarfen Polizisten mit Steinen und Feuerkörpern, die Polizei antwortete mit Gummigeschoßen, Tränengas und Blendgranaten. Bereits gegen elf Uhr zählten Rettungsorganisationen 215 Verletzte. Auch 20 Polizisten wurden verletzt. Später war von über 300 Verletzten die Rede, 50 waren in Spitalsbehandlung, vier davon in ernstem Zustand. Unter den Verletzten war auch ein sieben Monate altes Baby. Ein Stein hatte es am Kopf getroffen. Palästinensische Jugendliche hatten zudem ein Auto mit jüdischen Insassen angegriffen. Der Wagen kam ins Schleudern, einer der Angreifer wurde überfahren, sein Zustand ist unbekannt.

Die Eskalation der Gewalt nahm mit den Zusammenstößen an der Al-Aksa-Moschee in Ostjerusalem ihren Lauf.
Foto: APA / AFP / Gounon

Auch am Abend lieferten sich Palästinenser und die israelische Polizei am Tempelberg neue Auseinandersetzungen. Dutzende Menschen seien verletzt worden, berichteten Augenzeugen. Zudem kam es auch im von Israel besetzten Westjordanland zu neuen Zusammenstößen. Augenzeugen sprachen von gewaltsamen Auseinandersetzungen unter anderem in Ramallah, Nablus und Hebron, bei denen es mehrere Verletzte gegeben habe.

Auch in Ortschaften im Norden und Süden Israels kam es nach Medienberichten zu zahlreichen gewaltsamen Demonstrationen israelischer Araber, bei denen Steine auf Polizisten geworfen wurden. Mehrere Fahrzeuge seien in Brand gesetzt worden. In der Stadt Lod wurde während Unruhen ein 25-jähriger Araber durch Schüsse tödlich verletzt. Nach Medienberichten handelt es sich bei dem Tatverdächtigen um einen jüdischen Einwohner der Stadt. Nach Polizeiangaben wurden bei den landesweiten Ausschreitungen Dutzende Menschen festgenommen.

Streit ums Narrativ

Der Jerusalemtag ist selbst in entspannteren Jahren emotional aufgeladen. Rechtsgesinnte jüdische Israelis marschieren in der Stadt auf, um das zu feiern, was sie „Wiedervereinigung“ nennen: die Eroberung Ostjerusalems und der Altstadt im Sechstagekrieg vor 54 Jahren.

Was aus israelischer Sicht eine Wiedervereinigung war, ist für die Palästinenser eine Geschichte der Vertreibung, Besatzung, Unterdrückung. Und genau das, die Vertreibung aus den eigenen Häusern, ist das, was die Demonstranten im Ostjerusalemer Viertel Sheikh Jarrah seit Tagen auf der Straße anprangern. Auch die Uno sieht Ostjerusalem als besetztes Gebiet, die Beschlagnahmung von Häusern ist nach humanitärem Völkerrecht dort daher nicht zulässig.

Slogans und Todeswünsche

Von Vereinigung spürte man in der Stadt am Montag jedenfalls wenig: Im Westen feierten die Menschen Partys und tranken Bier, im Osten flogen Steine und Tränengasgranaten. Es fügte sich also alles ineinander an diesem heißen Montag an der Stadtmauer Jerusalems – auf explosive Weise.

Als wäre das nicht genug, waren gegen Mittag auch rechte jüdische Nationalisten aufmarschiert, die Slogans für ein jüdisches Jerusalem skandierten – manche von ihnen auch explizit gegen Araber, denen sie den Tod wünschten. Erst in letzter Sekunde wurde der Marsch auf Drängen der Armee auf eine andere Route umgeleitet. Er hätte durch das Damaskustor in die Altstadt führen sollen – einen der Brennpunkte der Zusammenstöße.

 

Mai 2021 | Allgemein, Gesundheit, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren