Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur den drögen Klimaschutzplan der schwarz-roten Bundesregierung als ungenügend entlarvt. Die Richter verlangen von der deutschen Politik nichts Geringeres als eine administrative Revolution. Seit Jahrzehnten treffen Regierungsverantwortliche hierzulande kurz- bis mittelfristige Entscheidungen: Meist jedoch liegt ihr Fokus auf der aktuellen, allenfalls noch den nächsten beiden Legislaturperioden. Was danach kommt, spielt keine Rolle. Selbst wenn Abgeordnete, Minister und die Kanzlerin in Sonntagsreden wortreich die „Zukunft“ beschwören, lautet ihr Motto – insgeheim:

Nach uns die Sintflut

So ist es beim Rentensystem, so ist es bei der Umweltpolitik, so ist es beim Klimaschutz. Durch diese Kurzsichtigkeit werden die enormen Kosten und Risiken des demografischen Wandels, des Artensterbens und der Erderhitzung allein den jungen Bürgern und künftigen Generationen aufgebürdet: Sie sollen dann ausbaden, was wir heute anrichten.

Beim – zumindest – Klimaschutz ist damit jedenfalls Schluss

In ihrem epochalen Urteil haben die Richter das Klimaschutzgesetz der schwarz-roten Koalition in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Es verletzt die Freiheitsrechte junger Generationen, weil es nicht konkret regelt, wie nach 2030 der Treibhausgasausstoß gedrosselt wird. Der zentrale Satz lautet: „Der Gesetzgeber hätte zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern.“ Die Folgen der politischen Unverbindlichkeit – massive Umweltschäden, schwindende Lebensqualität, eingeschränkte Gestaltungsfreiheit – verletzen die Grundrechte der Jungen.

In Zahlen sieht das so aus:

Bisher definiert das Gesetz zwar Obergrenzen für Energie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Dadurch sollen die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Doch was danach kommt, bleibt unklar. Dem vagen Ziel des Pariser Abkommens, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, fehlt die Untermauerung durch Verordnungen und Gesetze. Doch die Zeit wohlfeiler Wünsche und folgenloser Appelle ist nun vorbei.

Als führendes Industrieland braucht Deutschland einen langfristigen Plan, um die Welt gedeihlich zu erhalten: Das jedemfalls ist die zentrale Botschaft der Richter, und sie reicht weit über die deutschen Grenzen hinaus. In mehr als 40 weiteren Staaten sind gegenwärtig ähnliche Klagen anhängig, dort wird man sich das deutsche Vorbild genau ansehen. So könnte nach all den Gipfeltreffen von Kyoto über Kopenhagen bis Paris nun ausgerechnet aus Karlsruhe der entscheidende Impuls kommen, um dem globalen Klimaschutz seine angemessene Stellung zu verschaffen: als wichtigste Aufgabe unserer Zeit.

Im deutschen Politikbetrieb beginnt man das langsam zu begreifen

Dort jedenfalls löst das Urteil Unruhe aus. Auf der einen Seite versuchen Regierungsverantwortliche wie SPD-Umweltministerin Svenja Schulze und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ihr bisheriges Versagen hinter Worthülsen zu verbergen. Auf der anderen Seite trompeten Oppositionsvertreter wie Annalena Baerbock und Michael Kellner von den Grünen ihre Genugtuung in die Welt. Zwischen den Stühlen sitzen Unionspolitiker wie Norbert Röttgen und Markus Söder, die auch nach der Bundestagswahl oben mitmischen wollen und ihre Lernfähigkeit (oder Wendehalsigkeit?) unter Beweis zu stellen versuchen, indem sie den Grünen das Klimathema abluchsen.

Die Spitzen von CDU und CSU wären gut beraten, das Urteil  genau zu studieren. Es ist nicht nur eine Rüge für die lasche Klimapolitik der Merkel-Regierung. Es ist auch eine Warnung für den Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der den Kohleausstieg erklärtermaßen hinauszögern will. Die Richter haben die Defizite der CDU entlarvt: Die Partei hat keinen Plan für Deutschlands Zukunft und keine Vorstellung davon, wie künftige Generationen in Sicherheit und Wohlstand leben können. Laschets Beschwörung eines „Modernisierungsjahrzehnts“ ist bisher nur ein Luftballon: Pikt man hinein, entweicht – immerhin heiße – Luft. Seine miesen Umfragewerte lassen vermuten, dass viele, zumal jüngere Bürger dies durchschauen.

Ihnen hat die CDU, die sich so schwer mit ihrer Neuaufstellung tat, bislang keine glaubwürdige Zukunftsperspektive zu bieten. Bleibt das so, können die Grünen im Herbst mit Rückenwind rechnen und haben in der Tat die Chance, erstmals die Führung der Regierung zu übernehmen. Will sie das Kanzleramt verteidigen, braucht die Union schleunigst ein glaubwürdiges Konzept für eine nachhaltige Klima- und Umweltpolitik. Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr.

Apr. 2021 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Senioren | Kommentieren