Am Morgen des 19. September 2017 können die Wähler in der SZ lesen, dass Strenz Geld von einer undurchsichtigen Firma bekam, die Lobbyarbeit für die autokratische Regierung von Aserbaidschan betrieben haben soll. Jetzt steht die Frage im Raum: Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Zahlungen und Strenz‘ Aserbaidschan-freundlichem Abstimmungsverhalten im Europarat?

Für eine Politikerin sind es unerfreuliche Nachrichten so kurz vor der Wahl.

Eine dreiste Lüge vier Tage vor der Wahl

Strenz braucht einen Tag, bis sie sich mit einer „Klarstellung nach der gestrigen Medienberichterstattung“ zu Wort meldet. Kurz vor der Wahl solle der Eindruck erweckt werden, sie würde ihr Mandat nicht unabhängig ausüben, so die CDU-Kandidatin. „Ich weise dies mit aller Entschiedenheit zurück,“ schreibt sie auf ihrer Facebookseite.

Strenz-Statement vom 20.9.2017
Strenz-Statement vom 20.9.2017 auf Facebook

Und Karin Strenz hat noch eine weitere Klarstellung zu machen – es geht um die Transparenzangaben zu ihrer infrage stehenden Nebentätigkeit: „Die Einkünfte hieraus habe ich entsprechend der Geschäftsordnung beim Bundestagspräsidenten ordnungsgemäß angezeigt sowie ordentlich versteuert. Allen rechtlichen Transparenzanforderungen wurde damit Genüge getan.“

Es sind noch vier Tage bis zur Bundestagswahl, und die CDU-Direktkandidatin hat den Menschen soeben eine dreiste Lüge aufgetischt. Die Einkünfte aus ihrer fragwürdigen Nebentätigkeit hatte Strenz nämlich keineswegs ordnungsgemäß beim Bundestag gemeldet – sondern monatelang vor der Öffentlichkeit verborgen, wie abgeordnetenwatch.de zusammen mit WDR und SZ kurz drauf nachweisen kann.

Erste Zweifel an Strenz‘ Behauptung waren gekommen, weil abgeordnetenwatch die CDU-Abgeordnete nicht als Politikerin bekannt war, die es mit den Transparenzanforderungen des Bundestags allzu genau nimmt. Zwei Jahre zuvor beispielsweise meldete sie ihren Posten als stellvertretende Vorsitzende der Interessenorganisation Deutsch-Kasachische Gesellschaft erst, als  sie auf den fehlenden Eintrag in ihrem Bundestagsprofil hingewiesen worden war.

Die Frage ist: Wie lässt sich überprüfen, ob Strenz ihren Beraterjob für die Lobbyfirma genau so transparent gemacht hat, wie es die Verhaltensregeln des Bundestages verlangen – und wie sie es selbst öffentlich behauptet?

Eine wenig bekannte Funktion auf der Internetseite des Bundestags

Auf der Internetseite des Bundestages gibt es eine wenig bekannte Funktion, mit der sich die Profilseite eines Abgeordneten so anzeigen lässt, wie sie zu einem bestimmten Datum einmal ausgesehen hat (sog. „Snapshots“). Bildlich gesprochen werden die Inhalte der Webseite von der Parlamentsverwaltung mehrmals im Jahr „eingefroren“ und ins Archiv gelegt, wo sie dann für Interessierte durchsuchbar sind.

Nach den Transparenzregeln des Bundestages musste Strenz ihre Tätigkeit für die Lobbyfirma namens Line M-Trade spätestens bis Februar 2015 beim Bundestagspräsidenten gemeldet haben – drei Monate nach Aufnahme ihres Beraterjobs im November 2014. Doch die Archivseiten von bundestag.de aus dieser Zeit zeigen keinen Eintrag zu der aus Aserbaidschan finanzierten Firma. Nicht am 17. Juli 2015 und auch nicht am 23. Dezember 2015.

Selbst am 4. Oktober 2016 findet sich in Strenz‘ Bundestagsprofil noch keine Angabe:

Zu diesem Zeitpunkt war der Öffentlichkeit seit mehr als eineinhalb Jahren verborgen geblieben, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete für die fragwürdige Firma Line M-Trade arbeitete und dafür zwischen 14.000 und 30.000 Euro erhielt. Desweiteren fehlen auf Strenz‘ Bundestagsseite: ihre Beteiligung an dem Unternehmen Extent GmbH, die Tätigkeit als Geschäftsführerin der Extent GmbH sowie der Posten als Vorsitzende der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft.

Wann genau die fehlenden Angaben im Profil der Abgeordneten nachgetragen werden, lässt sich nicht rekonstruieren – klar ist lediglich: Es muss nach dem 4. Oktober 2016 gewesen sein. Ab diesem Datum veröffentlicht der Deutsche Bundestag keine weiteren „Snapshots“ mehr. Ein Parlamentssprecher begründet dies mit technischen Problemen durch die Neugestaltung der Internetseite (Relaunch). Derzeit würden alle Möglichkeiten geprüft, so der Sprecher auf Anfrage. Eine umfassende, in die Tiefe gehende Webarchivierung müsse europaweit ausgeschrieben werden.

Mehr als eineinhalb Jahre passierte offenbar nichts 

Strenz und Aserbaidschan

Strenz hatte zwischen November 2014 und Januar 2015 einen Beratervertrag mit der Firma Line M-Trade und erhielt hierfür insgesamt zwischen 14.000 und 30.000 Euro. Die Firma war mit Geld aus Aserbaidschan vom früheren CSU-Staatssekretär Eduard Lintner gegründet worden, um über sie „Aktionen zu finanzieren“, wie Lintner (im SWR) erklärte. Da Strenz im Juni 2015 im Europarat als einzige deutsche Abgeordnete u.a. gegen eine Aserbaidschan-kritische Resolution stimmte, stand der Vorwurf der Abgeordnetenbestechung im Raum. Die CDU-Politikerin bestreitet dies. Eine vom Europarat eingesetzte Kommission sah im April 2018 den „starken Verdacht“, dass sich Abgeordnete an „Aktivitäten korrupter Art zugunsten Aserbaidschans“ beteiligten. Strenz wird in dem Bericht eine Verletzung mehrerer Verhaltensregeln sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Aufklärung vorgeworfen.

Als die Lüge nicht mehr zu bestreiten ist, gesteht Strenz gegenüber abgeordnetenwatch.de ein, dass sie schon seit gut eineinhalb Jahren von ihrem Verstoß gegen die Transparenzpflichten wusste. Bereits Anfang 2016 habe sie ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung darauf „hingewiesen“, dass sie ihre Nebentätigkeit „verspätet“ gemeldet habe. Offenbar hielt die Bundestagsverwaltung seinerzeit aber einen bloßen „Hinweis“ an die Abgeordnete für ausreichend – denn darüber hinaus passierte augenscheinlich: nichts.

Bewegung in die Sache kommt offenbar erst durch die Recherche von abgeordnetenwatch, die die Bundestagsverwaltung auf den Plan ruft. Ende November 2017, rund einen Monat nach deren Veröffentlichung, berichtet der Tagesspiegel:

„Die Bundestagsverwaltung prüft, ob Strenz die Transparenzregeln für Nebentätigkeiten eingehalten hat. Sie hatte die Einkünfte von der Firma des Aserbaidschan-Lobbyisten erst mit großer Verspätung gemeldet. Sollte ein Verstoß festgestellt werden, könnte das Präsidium des Bundestages ein Ordnungsgeld festsetzen.“

Geldstrafe ist ein einmaliger Vorgang

Es wird mehr als ein Jahr dauern, bis das Präsidium des Deutschen Bundestags einen „Verstoß gegen die Verhaltensregeln“ offiziell feststellt und die CDU-Abgeordnete Karin Strenz damit öffentlich rügt. Die öffentliche Rüge eines Bundestagsmitglieds ist die zweit-schwerste Sanktionsstufe und äußerst selten: Seit 2005 gab es lediglich acht Fälle. Doch wegen der schwere des Verstoßes verhängt das Bundestagspräsidium gegen Strenz auch noch ein Ordnungsgeld in Höhe von zwei Monatsdiäten, dies entspricht einer Summe von rund 20.000 Euro. Nach dem Abgeordnetengesetz wären Sanktionszahlungen von bis zu einer halben Jahresdiät, also rund 60.000 Euro, möglich gewesen.

Dass ein Bundestagsmitglied eine Geldstrafe bezahlen muss, weil es gegen die Transparenzpflichten verstoßen hat, ist ein bislang einmaliger Vorgang. Seitdem diese Regelung 2005 in Kraft trat, wurde ein Ordnungsgeld zwar schon zweimal verhängt, doch die betroffenen Abgeordneten Otto Schily und Volker Kröning (beide SPD) wendeten die Strafzahlung durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ab.

Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht

Ende Januar 2020 schließlich werden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main und des Bundeskriminalamtes gegen Karin Strenz sowie den Gründer der Lobbyfirma Line M-Trade, Eduard Lintner, bekannt. Beiden wird Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern im Zusammenhang mit den Geldern aus Aserbaidschan zu Last gelegt. Der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Staatssekretär Lintner soll, so der Vorwurf der Ermittler, über eine Briefkastenfirma rund 4 Mio. Euro aus Aserbaidschan erhalten haben mit dem Ziel, diese zum Teil an Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates weitergeleitet zu haben. Diese Abgeordneten sollen sich im Gegenzug in den Medien positiv über Wahlen in Aserbaidschan geäußert und sich bewusst gegen die Freilassung politischer Gefangener in Aserbaidschan ausgesprochen haben, obwohl sich der Europarat insbesondere dem Schutz der Menschenrechte verschrieben hat.

Strenz, so die Staatsanwaltschaft, habe sich als Mitglied des Europarates „mit pro-aserbaidschanischem Verhalten hervorgetan“. An die CDU-Politikerin sollen „mindestens 22.000 Euro geflossen sein“.


Vorkommende Politiker

Lizenz: Dieser Text steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0. – wovon wir mit der Veröffentlichung in der Rundschau Gebrauch gemacht haben.

März 2021 | Allgemein, Politik, Sapere aude, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren