Grafisch offenbarte Ratlosigkeit: die neuen SPD-Plakate

Wohin will die SPD? Schaut man sich die im Internet geleakten Entwürfe für die neuen Wahlplakate an, geht die Reise zurück in die Vergangenheit, als Klassenkampf noch keine hohle Phrase war. Man reibt sich die Augen. Hat es die älteste Volkspartei nötig, sich in die Ästhetik der Studentenbewegung zurück zu bomben? Roter Konstruktivismus als Bildgrund, davor die revolutionären Akteure, fotografisch schwarz-weiß hinein collagiert. Ja, so sahen sie aus, die Agitationsflugblätter der KPD-ML, oder waren es die von der Vierten Internationale? (Pass auf, wer die verwechselt, hat den Revisionismus-Verdacht an der Backe!)

Das Willenskinn von Genossin Esken mag für ein Double von Clara Zetkin noch durchgehen. Doch Walter-Borjans wirkt selbst bei gestikulierender Rednerpose zu jovial. Brille ab, Schlips weg, trag‘ die Schirmmütze, Genosse, leicht in den Nacken zurückgeschoben. So gibst du, von fern betrachtet, einen feschen Thälmann ab.

Wo man hinschaut: leere, linke Pathosformeln. Es lässt tief blicken, dass die Genossen dem Grafikbüro zur Gestaltung noch keine konkreten Losungen vorlegen konnten. So bleibt es bei jenen pseudolateinischen Wortfolgen, wie sie das Layout bei Festlegung der Buchstabentype zu benutzen pflegt. Haben uns die Sozis denn gar nichts mehr zu sagen? Die grafisch offenbarte Ratlosigkeit bezeugt die Identitätskrise des Kleinen Bruders in der GroKo. Beim bloßen Ausscheren in rote Rhetorik verschwimmt das Profil gegenüber der Linkspartei.
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Retro-Stil für Alt-68er
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Das Selbstbild dreht sich in der stilistischen Endlosschleife zwischen den politisierten Siebzigern, die ihrerseits die  russische Agitprop der 20er-Jahre zitierte. Die Plakate könnten höchstens noch nostalgische Alt-68er meiner Generation hinter dem Ofen hervorlocken. Bei der heutigen Jugend wird kein Staat zu machen sein mit abgetragenem Retro-Stil. Als ich wem aus der Generation Z, Fridays for Future, kommentarlos das rot-weiß-schwarze Wimmelbild zeigte, meinte er, ja, jener kleine, schwarze Mann, surfend auf roter Welle, erinnere sie an ein Plakat für einen alten James-Bond-Film.
Deutschlands älteste Volkspartei, ist sie reif fürs kulturhistorische Museum? Diese Plakate dokumentieren Agitationsfolklore. Radikalisieren, das tun sich doch schon die Anderen. Dagegen könnte doch bei zunehmender Polarisierung in der Politik ein Fels in der Brandung das Alleinstellungsmerkmal sein:
„Vorwärts und nicht vergessen“ – schließlich hat doch die Arbeiterbewegung – damals –  Bismarcks Sozialistengesetze, die SPD das Kaiserreich, zwei Weltkriege und die Nazis überlebt.

Ach ja, vergessen wir nicht die sich im Tal der Tränen tummelnde CDU: Nachdem die Kretschmannschen Grünen die Wahl in Baden-Württemberg haushoch gewonnen haben, hat die CDU hat in ihrem einstigen Stammland abgewirtschaftet und findet offenbar keinen Draht mehr zur Bevölkerung. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ist das für die Union ein verheerendes Signal.

Die große Zeit der alten Volksparteien ist endgültig abgelaufen

Was sich gerade in Baden-Württemberg vollzogen hat, ist nicht mehr und nicht weniger als eine tektonische Verschiebung zulasten von SPD und CDU geradezu dramatischen Ausmaßes. Zusammen kommen beide Parteien auf gerade noch rund 35 Prozent; vor vier Jahren lag die Summe von Schwarz und Rot immerhin noch ganz knapp unter 40 Prozent – immerhin …

März 2021 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Senioren, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren