CDU: Das Konrad-Adenauer-Haus ist nicht das Machtzentrum der Union.
Das Konrad-Adenauer-Haus ist nicht das Machtzentrum der Union. © Sean Gallup/​Getty Images

„Wir versuchen jetzt, die Brücken zu bauen, aber wir wissen nicht, wohin wir die genau bauen“, hatte Angela Merkel vor ein paar Tagen zu Mitarbeitern von Krisentelefonen gesagt. „Wir sehen das Ufer ja auch nicht.“ Die Bemerkung der Kanzlerin bezog sich zwar auf die neuesten Covid-Maßnahmen. Aber sie passt perfekt zur Lage der CDU – der Partei also, mit der das Regieren an sich und die Fehler der Pandemiepolitik identifiziert werden wie mit sonst keiner. Brücken ins Nichts, ohne rettendes Ufer: Die Krise der letzten christlichen europäischen Volkspartei ist spätestens seit den Landtagswahlen am Sonntag nun auch in harten Zahlen zu fassen. Plötzlich blitzt die Möglichkeit auf, im Herbst könnte die Union die Macht im Bund verlieren.

Merkel und Laschet sind sich in einem einig: Mit der Krise von 1999, der Spendenaffäre der Union, ist die jetzige Lage nicht zu vergleichen. Nicht nur, weil damals die Führungsriege der Partei bis hin zum ehemaligen Bundeskanzler beteiligt war und die Aufklärung verweigerte. Sondern auch, weil das Selbstverständnis der CDU seinerzeit völlig anders aussah. Man fühlte sich legitimiert, schwarze Kassen gegen den Sozialismus anzulegen und dabei fünfe gerade sein zu lassen. Für Merkel, die der Partei vor 22 Jahren den Abschied von diesem Weltbild abtrotzte, wäre seine Wiederkehr ein persönliches Desaster: Verlassen Sie die CDU so, wie Sie sie vorgefunden haben!

Viele in der Parteispitze sehen in den aktuellen Fällen von Korruption und Fehltritten der Herren Nüßlein und Hauptmann, in den Aserbaidschan-Connections der Abgeordneten Strenz und Fischer, in der Corona-Party des hessischen Abgeordneten Klaus-Peter Willsch eine schlagende Gemeinsamkeit: Alle diese Abgeordneten stehen für den konservativen Flügel der Partei, der seit Jahren gegen die Merkelsche Mittigkeit, die auch Laschets ist, wetterte und intrigierte. Ausgerechnet die zornigsten Islamkritiker, so spottet ein Präsidiumsmitglied, lassen sich von einem autoritären muslimischen Land schmieren! (siehe Seite 22) Mit seinem Leipziger Corona-Dinner und seiner Millionenvilla in Dahlem hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den Augen der Merkelianer auch in die Nähe dieser Truppe manövriert. Laschet wohnt seit ewigen Zeiten in einem Reihenhaus in Aachen-Burtscheid. Es kommt einmal mehr die Frage auf, wer in der CDU die eigentlichen Konservativen sind, was das überhaupt ist: konservativ.

Die vergangenen Tage verraten einiges über den Regierungsstil des Mannes, der im Herbst deutscher Bundeskanzler werden will. Laschet hatte am vorvergangenen Freitag davon erfahren, dass mit dem Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel auch ein CDU-Mann für die Vermittlung eines Maskendeals eine Provision in sechsstelliger Höhe kassiert hatte.

Der Parteichef hatte dann CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, einen persönlichen Freund Löbels, in Bewegung gesetzt, der sich erstens auf Twitter in starken Worten distanzieren und zweitens dafür sorgen sollte, dass Löbel sowohl sein Mandat als auch die Fraktions- und die Parteimitgliedschaft sofort niederlegt. Der Fall sollte hinter den Kulissen schneller und konsequenter gelöst werden als beispielsweise der des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, dessen Parteimitgliedschaft wegen einer Kinderpornografie-Affäre seit Jahren „ruht“. Schnell abräumen, erledigen – basta. Worauf Laschet verzichtete: die Lage politisch zu „erzählen“, also offensiv zu beschreiben, wofür die Partei jenseits der Maskenaffäre steht – und wofür nicht.

Alles muss sich ändern

Armin Laschet, Vorsitzender der CDU © Clemens Bilan/​Pool/​Getty Images

Wo ist das Machtzentrum der Union in der Krise? Das Konrad-Adenauer-Haus ist es jedenfalls nicht. Alle wichtigen Entscheidungen, was den Auftritt des neuen Parteichefs angeht, fallen in Düsseldorf. Sollte Armin Laschet „irgendwann zwischen Ostern und Pfingsten“ nach seinem Gespräch mit dem CSU-Chef Markus Söder Kanzlerkandidat der Union werden, wird er zwar auch für den Bundestag kandidieren. Aber das wird am Gravitationszentrum nichts ändern. Er bleibt Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Laschets Politik der ruhigen Hand wird aus München, dem zweiten Machtzentrum der Union, schon jetzt mit ausgestreckter Faust beantwortet. Am Montag, während der CDU-Vorsitzende noch im Präsidium die Schuld für die schlechten Unionsergebnisse auf den SPD-Koalitionspartner schob, stellte sich Markus Söder vor die Presse und sprach von einem „Schlag ins Herz der Union“. In den Wahlergebnissen stecke eine Kritik am „Management“ der Pandemiebekämpfung durch Minister (gemeint fühlen durften sich Jens Spahn und Peter Altmaier), der Söder sich vollumfänglich anschloss. Das Kabinett müsse „neu durchstarten“, daneben sollten „Zukunftsteams“ Hoffnung und Jugend verströmen.

In der CDU ahnt man dunkel zwei Dinge: Markus Söder will zwar nicht Kanzlerkandidat werden. Aber er wird so lange wie möglich so tun, als ob – auch dann noch, wenn es längst Armin Laschet geworden ist. Die Vorahnungen treffen sich mit Erinnerungen: an das Schisma der Union 2016, als man wegen der Flüchtlingskrise kurz vor dem Bruch stand. Es war die CSU, die für ihr Verhalten damals in den Landtagswahlen 2018 teuer bezahlte. Ist die Lektion doch nicht hängen geblieben?

Täglich Anschauungsmaterial

Und schließlich ist da die Fraktion, die zugleich Machtzentrum, Tatort der Krise und Reformmotor in einem ist. Wer darüber rätselt, wofür die Union steht – in Fragen wie Wirtschaftspolitik, Staatsauffassung, Machtverteilung –, der findet im Parlament täglich Anschauungsmaterial. Fraktionschef Ralph Brinkhaus, von Beruf Steuerberater, hat kürzlich in einem Gastbeitrag für die Welt nichts Geringeres als eine „Revolution“ auf allen Ebenen von Verwaltung und Staat gefordert, ausgerechnet von dem Land, in dem die Union so lange „gut und gerne“ gelebt hat. Sogar den Föderalismus hat Brinkhaus ins Visier genommen.

Der Historiker Andreas Rödder, der CDU eng verbunden, schließt sich ihm an. Für Rödder ist die innere Leere der CDU ein Produkt der politischen Fantasielosigkeit der Ära Merkel. Diese und der Mangel an prägnanten Figuren in der ersten Reihe ergebe „das vermeintliche Aphrodisiakum der CDU, das sich in Wahrheit als tödliches Gift“ entpuppt habe. Der Verlust eines CDU-Stammlandes wie Baden-Württemberg ist daher um ein Vielfaches bedeutsamer und schmerzhafter als ein paar korrupte Hinterbänkler.

In der Maskenaffäre sieht sich Brinkhaus, der seinen Dienstwagen schon mal selbst fährt und etliche Privilegien seines Vorgängers Volker Kauder abgeschafft hat, auch intern von zwei Seiten unter Beschuss. Ein Teil der 246 Abgeordneten möchte nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“. Nebeneinkünfte gingen niemanden etwas an, und es sei eine Unverschämtheit, die Nähe zur Wirtschaft unter Generalverdacht zu stellen. Einem anderen Teil reichen die Aufklärungsversuche der Fraktionsspitze nicht aus.

In einem klingen alle Beteiligten ähnlich: Genauso wichtig wie harte Reformen sei es, unter dem Ansturm der Kritik nicht in die völlige Selbstverleugnung zu verfallen. „Wir brauchen Lobbyismus im Bundestag“, meint der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg: „Lobbyismus von Gewerkschaften, von NGOs, von Mittelständlern und Kommunen. Es ist unser Job als Abgeordnete, diese Interessen anzuhören und gegeneinander abzuwägen.“

Alles muss sich ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist – für den Politologen Thomas Biebricher, Autor mehrerer Bücher über Konservatismus und Neoliberalismus, geht die Krise der CDU viel tiefer als die Maskenaffäre. „Man hat der Union nie übel genommen, dass sie ohne große inhaltliche Ausrichtung zurechtkam, weil sie eben eine gute Krisenmanagerin war. Aber wenn das dann nicht mehr klappt – dann gibt es ein Problem.“ Jetzt sei der mächtigste Verbündete der Union die Schwäche der anderen Parteien. Aber für die Zukunft schwant ihm nichts Gutes. „Ich habe Sorge, dass die Volkspartei zerbröselt und an ihrer Stelle überhaupt keine neue Hegemonie zustande kommt, von niemandem.“

März 2021 | In Arbeit | Kommentieren

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