In Ihrem neuen Buch geht es nicht nur um leckere Gerichte, sondern auch darum, die Welt zu retten.
Das ist ein bisschen dick aufgetragen. Aber unser Essverhalten hat einen wesentlichen Einfluss auf Ökonomie, Ökologie, unser Sozialverhalten, unsere Gesundheit. In der Diskussion um Nachhaltigkeit geht es mir zu viel um Verzicht. Mit etwas Kreativität muss keiner verzichten.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben mich schon immer interessiert. Dann aber habe ich einen Betrieb in Deutschland übernommen und alle meine moralischen Vorstellungen über Bord geworfen, weil es mir nur noch um Profit ging. Wo der Lachs herkommt, wie die Produzenten arbeiten und wie es mir selbst damit geht, das hat mich nicht interessiert. Ich bin davon krank geworden, Herzprobleme mit drohender OP, das volle Programm. Diese Lebenskrise hat mich verändert. Das klingt jetzt plakativ, aber der Wendepunkt war ein Bio-Ei vom Markt. Es schmeckte wie damals, als ich mit fünf in Kroatien die Hühner von meinem Opa gejagt habe. Mir wurde wieder klar, welche Verantwortung ich als Koch trage. Teile unserer Lebensmittelbranche sind krank und machen krank.
Hat sich während der Lockdowns nicht einiges verändert? Viele kochen wieder selbst, haben Tomaten angepflanzt, essen weniger Fleisch.
Da bin ich nicht so optimistisch. Fleischskandale werden schnell vergessen. Die Verantwortlichen machen weiter, die Leute kaufen die gleiche Ware. Ist halt billig.
Womit fange ich an, wenn ich mich nachhaltig ernähren möchte?
Früher habe ich Brötchen für 15 Cent gekauft und die weggeschmissen, wenn sie hart waren. Das Gleiche bei Gemüse. Seitdem ich teure, hochwertige Ware kaufe, das Brot sieben Euro pro Kilo, ist es schon mal länger haltbar. Wird es hart, mache ich Knödelbrot daraus. Ich verschwende nichts mehr. Wenn das Gemüse vom Markt angeschlagen ist, dann koche Suppe draus. Ich spare Geld und esse besser. Das ist ein guter Anfang.
Verstehen Sie, wenn die Leute sagen, dass sie keine Zeit haben, selbst zu kochen? Es gibt ja alles fertig zu kaufen.
Es geht um die Frage, was man sich selbst wert ist. Ich war es mir nicht wert, für mich selbst zu kochen, bis ich mit 32 Jahren ziemlich fertig war. Aber einige meiner schönsten Kindheitserinnerungen haben mit hausgebackenen Vanillekipferln zu tun. Sobald ich den Duft rieche, löst das in mir was aus. Essen ist Emotion. Wer für seine Kinder kocht, schenkt ihnen außergewöhnliche Momente.
Sie haben auch Retro-Re-zepte wieder ausgegraben, wie Soleier und Stohsuppe.
Die Stohsuppe habe ich mal bei einer Bäuerin gegessen. Die war so gut, ich dachte, das ist ein irrsinniger Aufwand, aber es sind nur drei Zutaten drin: Kartoffeln, Sauermilch, Fond. Da habe ich wieder an meinen Opa denken müssen, der hatte auch eine Kuh. Die Milch war komplett anders als heute. Wenn man die rausgestellt hat, ist sie zu Sauermilch geworden. Mir war es wichtig, das Rezept im Buch zu haben, weil der CO2-Abdruck von Kuhmilch angeblich so hoch ist. Das gilt sicher für unsere kranke Milchindustrie und deren Produkte, aber nicht für Kreislaufwirtschaft.
Leider wohne ich, wie die meisten Menschen, nicht neben einem Biobauernhof.
Es ist nicht immer einfach, an gute Produkte zu kommen. Qualität zu erkennen muss man erst einmal lernen. Aber vor allem in Großstädten gibt es viele Biobauern aus dem Umland, die Gemüsekisten anbieten. Hochwertiges Gemüse zu bekommen ist auf dem Land kurioserweise manchmal schwieriger.
Sie empfehlen auch ein Pesto aus Karottengrün. Ich wusste gar nicht, dass man das essen kann. Wann haben wir dieses Wissen verloren?
Seitdem wir an Lebensmitteln bewerten, was edel ist und was nicht. Wie beim Fleisch, da wollen wir auch nur das Filet. Alles, was die Natur uns gibt, ist edel. Auf meinem Lieblingsmarkt gibt es sensationelle Biokarotten mit wunderschönem Grün. Fünf Leute vor mir haben das Grün wegschneiden lassen.
Dabei kann man Suppe daraus machen, Pürees, oder man kann es entsaften. Oder eben Pesto.
Ich wusste auch nicht, dass es mehr als 15 verschiedene Sorten Rote Beete gibt.
Rote Beete gilt ja als Wintergemüse. Aber im Frühjahr gibt es andere Sorten, die komplett anders schmecken. Eine Winterkarotte schmeckt auch anders als eine im Frühjahr. Sie braucht mehr Stärke gegen den Frost, deswegen ist sie süßer. Man muss ein Gespür entwickeln für die Zutaten. So, wie es die guten Bauern machen, die wissen, welchen Einfluss das Wetter auf den Geschmack ihrer Feldfrüchte hat.
Meine Mutter ist in der Nachkriegszeit aufgewachsen und musste als Kind Kartoffelpuffer aus Schalen essen. Für sie war es ein Glück, in der Wirtschaftswunderzeit zu erfahren, dass alles im Überfluss da ist. Ein Gericht wie Ihre „Knusprigen Kartoffelschalen“ fände sie total abwegig.
Das kann ich verstehen.
Kindheitserinnerungen sind eben nicht immer nur positiv. Sie hat auch eine Aversion gegen Steckrüben, weil es einen Winter lang kaum etwas anderes gab. Dass die jetzt als In-Gemüse gelten, findet sie albern.
Mein Papa hat mir erzählt, dass er sich damals gefreut hat, wenn das Fleisch so richtig zäh war. Dann konnte er ewig darauf herumkauen und fühlte sich satt. Gerade wegen Erinnerungen wie diesen sollten wir respektvoll mit unseren Ressourcen umgehen. Unsere Generation hat ja das Glück, dass wir wirklich alles haben. Deswegen sind wir zum Teil auch so ignorant.
Sie selbst sind kein Vegetarier, oder?
Nein. Ich schätze 80:20. Damit fühle ich mich am wohlsten.
Warum gibt es in Ihren Restaurants keine Fleischersatzprodukte?
Es gibt da ein paar gute Sachen und sehr viele schlechte. Es ist wie mit der Bezeichnung bio. Das gilt automatisch als gesund, aber in Bio-Cola ist auch zu viel Zucker. Im „Tian“ wollte ich die Natur in den Vordergrund stellen. Damit haben viele dieser industriell hergestellten Ersatzprodukte nichts zu tun
STOHSUPPE MIT SOLEIERN
Zutaten
Für 4 Personen
Für die Stohsuppe 250 g mehligkochende Kartoffeln; 1 EL Butter; 20 g Mehl; Salz; 1 l kräftiger Gemüsefond; 500 ml Sauermilch; 500 ml saure Sahne; ½ EL Kümmel, frisch gemahlen (z. B. Pannonischer Kümmel)
Für 12 Soleier 1 l Wasser; 4 Pimentkörner; 1 EL Senfkörner; 1 ½ EL Salz; 1 Lorbeerblatt; 2 Wacholderbeeren; 1 TL Kümmelsamen; 1 Zweig Rosmarin; 1 Zwiebel mit Schale; 12 Wachteleier
Zubereitung:
Stohsuppe: Die Kartoffeln schälen, waschen und in 3–4 cm kleine Würfel schneiden. Die Butter in einem Topf schmelzen lassen und die Kartoffelwürfel darin 5 Minuten auf mittlerer Stufe anschwitzen. Mit Mehl bestäuben und leicht salzen. Mit Gemüsefond aufgießen und diesen mindestens 10 Minuten um die Hälfte reduzieren lassen. Dabei gelegentlich rühren, sodass nichts anbrennt (das kann wegen der Kartoffeln und des Mehls passieren). Sobald die Flüssigkeit reduziert ist, die Sauermilch, die saure Sahne und den Kümmel hinzugeben. Alles langsam aufkochen und mit dem Stabmixer gut mixen. Mit Salz und nach Belieben mit etwas Kümmel abschmecken.
Soleier
Alle Zutaten, bis auf die Wachteleier, in einem Topf einmal aufkochen und anschließend abkühlen lassen. Um die Farbe des Fonds zu intensivieren, mehr Zwiebelschalen zugeben. Anschließend auskühlen lassen und durch ein Sieb in ein sauberes verschließbares Glas (500 ml Inhalt) gießen (je länger der Fond nicht abgesiebt wird, umso schöner wird später die Maserung der Eier). Die Wachteleier in kochendem Wasser 1 ½ Minuten kochen und sofort in Eiswasser abschrecken.
Die Eier rundherum leicht anschlagen und in den Fond geben. Mindestens 2 Tage gekühlt lagern. Durch die eingeschlagenen Risse im Ei entsteht eine Maserung und das Ei erhält eine schöne Würze. Soleier zusammen mit der Stohsuppe servieren.
Die Eier halten im Solei-Fond 7 Tage