Missbrauch, Vertuschung, Bevormundung, Eitelkeit, Habgier, Arroganz: Die scheinheiligen Würdenträger machen sich so vieler Sünden schuldig, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. In Köln treten Gläubige scharenweise aus der Kirche aus, weil sie jedes Verständnis für die selbstherrlichen Vertuschungstricks des Kardinals Rainer Maria Woelki im Missbrauchsskandal verloren haben – und niemand die Reißleine zieht. Eine Institution, deren Chefs ihre eigenen Werte derart systematisch verletzten, verliert ihre Glaubwürdigkeit. Das dämmert nun allmählich auch den Bischöfen, die sich ab morgen zu ihrer digitalen Frühjahrsvollversammlung treffen – und mancher bekommt es mit der Angst zu tun:
Wenn einmal der erste Bischof wird zurückgetreten sein, könne das „einen Erdrutsch zur Folge haben“, ist zu hören. Dabei wäre ein Erdrutsch vermutlich das Beste, was (noch) gläubigen Katholiken passieren könnte. Ein Neuanfang mit unbelastetem Führungspersonal und einschneidende Reformen dürften der einzige Weg sein, um diesen Laden noch zu retten.
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26.Feb..2021, 05:18
Rainer Maria Woelki rät also auf der Bischofskonferenz, eine Botschaft der Liebe zu verbreiten. Wie die aussehen soll, sagt er nicht. Dabei könnte Woelki vorangehen, der Erzbischof von Köln, der wegen eines Missbrauchsskandals und seines Umgangs damit im Moment wie kein Zweiter unter Beobachtung steht. Seine Amtsbrüder hätten es aber auch verdient.
Bald allesamt, wenn sie nicht alles daransetzen, in ihren Bistümern aufzuklären, transparent, und sich der Opfer anzunehmen. Woelki ist ja nur der eine, an dem gerade alles abgemacht wird, weil er Aufklärung in Aussicht stellt, noch dazu eine ohne Tabus, und die dann nicht liefert.
Das fordert, wenn es so weitergeht, sogar die Politik heraus. Der Bundesinnenminister, der Christsoziale Horst Seehofer, ist von Amts wegen für die Religionsgemeinschaften zuständig. Er muss ihnen wohl ins Gewissen reden. Denn es wird Zeit, dass die Kirche – nicht allein die katholische –, lernt: Die Zeiten ändern sich. Mag sein, dass ihre Geschichte gefühlt schon ewig währt, doch wenn die Zeichen der Zeit (Matthäus) nicht erkannt werden, ist eine unbegrenzte Fortdauer weiß Gott nicht gewiss.
Ja, das klingt dramatisch – und ist es auch. Denn nicht nur Woelki muss sich Fragen gefallen lassen. Die Blicke richten sich auf die Bischöfe von Berlin, Essen, Hamburg, Osnabrück, Trier. Nach Trier, wo der vormalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, der heutige Münchner Kardinal Reinhard Marx, früher gewirkt hat, und der gegenwärtige Vorsitzende, Georg Bätzing aus Limburg, Leiter des Priesterseminars war.
Aber nehmen wir nur einmal Berlin, weil es vor der Haustür liegt: 400 von 600 Seiten des Gutachtens zu sexuellem Missbrauch im hiesigen Erzbistum seit 1946 sind von der Veröffentlichung ausgenommen worden. Von Erzbischof Heiner Koch, und zwar „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, der Gefahr der Retraumatisierung der Betroffenen und um eine voyeuristische Darstellung zu vermeiden“. Zunächst soll eine sechsköpfige Kommission innerkirchlich prüfen. Das klingt … wie bei Woelki.
Das Bischofsamt hat mit Verantwortung zu tun – nicht nur mit Privilegien
Da kann auch noch etwas kommen – da muss auch noch etwas kommen. Aufklärung geht nur durch Aufklärung. Erzbischof Koch sagt, was nicht nur für Woelki gilt: Die Nichtveröffentlichung sei „zutiefst ärgerlich und zutiefst verletzend für die Opfer und für alle, die darauf warten“. Richtig, darauf warten alle: auf Konsequenzen.
Schließlich sind – sollen sein – Bischofsämter mit Verantwortung und Verantwortungsübernahme verbunden, nicht und aber vor allem nicht nur mit mit heftig genutzten Privilegien.
Manuel Grieshaber