Klimawandel, Massenmigration, Pandemien, Wirtschaftskrisen. Die Probleme unserer Zeit verlangen nach pragmatischen Lösungen. Doch die Kunst, in einer auch mit harten Bandagen geführten Diskussion kühlen Kopf zu bewahren, scheint verloren zu gehen. Wie könnte eine neue Debattenkultur aussehen? Die Öffentlichkeit unserer zerstrittenen Spätmoderne ist in einer desolaten Lage.
Klug und scharfsinnig untersucht Bernd Stegemann ihren Zustand, benennt ihre Feinde und Bedrohungen und stellt die Schicksalsfrage: Wie können wir eine zukunftsfähige Öffentlichkeit schaffen? Ein hochaktuelles, aufrüttelndes Debattenbuch. Die Öffentlichkeit ist der zentrale Wert unserer Demokratie. Nur wenn sich freie Meinungen ohne Angst begegnen, können sie das verhandeln, was alle angeht.
Ohne eine funktionierende Öffentlichkeit kann niemand seine Interessen formulieren oder seine Meinung bilden. Doch die spätmoderne Öffentlichkeit sieht sich in einer paradoxen Lage. Je mehr Menschen durch die sozialen Netzwerke Zugang haben, desto chaotischer werden ihre Debatten. Radikale Vereinfachungen führen zu einer polarisierten Öffentlichkeit, in der es nur noch Freunde und Feinde gibt.
Wie kommt es zur Diskursverweigerung?
Eine Ursache dafür ist offensichtlich ein wenig reflektierter Hochmut. Es wird ja unausgesprochen unterstellt, dass der eigene Standpunkt moralisch überlegen ist. Und daraus wird die Berechtigung abgeleitet, dem anderen seine Meinung zu verbieten.
Diese bedenkliche Entwicklung ist für eine demokratische Gesellschaft gefährlich und muss unterbunden werden. Eine an den Idealen der Aufklärung orientierte Diskurskultur wird in einem solchen Umfeld zunehmend schwierig, teilweise sogar unmöglich.
Schutzraum für gefährliche Gedanken
Als Leitlinie für das hohe Gut der freien Meinungsäußerung besonders an den Universitäten mag eine Aussage des Komparatisten Hans Ulrich Gumbrecht stehen, der bis vor wenigen Jahren an der Stanford University gelehrt hat. Gumbrecht sagte sinngemäß, dass die Universität ein Kloster für gefährliche Gedanken sei. Das bedeutet, dass Universitäten Schutzräume auch für kontroverse Gedanken schaffen müssen.
In diesem Zusammenhang ist jeder begründete Standpunkt wert, diskutiert zu werden, solange er nicht mit der Verfassung in Konflikt gerät.
In solchen Diskursen, die gerne auch mit harten Bandagen geführt werden dürfen, sollte es allerdings um Argumente gehen und nicht darum, welche Einstellung man dem Diskutanten unterstellt und ob sie einem persönlich genehm ist. Wer auf sachliche Informationen und einen rationalen Diskurs hofft, wird immer häufiger enttäuscht – wobei unsere Gesellschaft auf eine doppelte Katastrophe zusteuert. Die Zersplitterung des Sozialen nimmt in wachsendem Tempo zu und die Veränderungen des Anthropozäns zeichnen sich immer drohender am Horizont ab. Es ist also höchste Zeit, die Ursachen der zerstrittenen Öffentlichkeit aufzuzeigen.
Denn sonst stehen wir bald vor einem brennenden Haus, und, statt zu löschen, schreien wir uns alle weiter an.