Wenige Tage vor der Entscheidung im Auslieferungsverfahren von Julian Assange hat Reporter ohne Grenzen (RSF) eine Petition mit mehr als 108.000 Unterschriften gegen eine Auslieferung des Wikileaks-Gründers bei der britischen Regierung eingereicht. RSF fordert zudem, Assange sofort freizulassen und ihn nicht länger für seine Beiträge zu journalistischer Berichterstattung zu verfolgen. Am Montag (4. Januar) entscheidet ein Londoner Gericht, ob Großbritannien dem Auslieferungsersuchen der USA stattgeben soll. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Kofler äußert sich (am 30. Dezember 2020) besorgt zum Auslieferungsverfahren von Julian Assange.
„Die US-Anklage gegen Julian Assange ist eindeutig politisch motiviert,
die USA wollen ein Exempel statuieren und eine abschreckende Wirkung auf Medienschaffende überall auf der Welt erzielen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wenn die USA mit ihrem Auslieferungsantrag erfolgreich sind und Assange vor Gericht stellen, droht dasselbe Schicksal künftig jedem Journalisten weltweit, die geheime Informationen von öffentlichem Interesse veröffentlichen. Hier stehen die Zukunft von Journalismus und Pressefreiheit weltweit auf dem Spiel.“
Am Montag um 10 Uhr Ortszeit verkündet Richterin Vanessa Baraitser im Central Criminal Court (Old Bailey) in London in einer voraussichtlich kurzen Sitzung ihre Entscheidung. Damit endet das Auslieferungsverfahren, das im Februar 2020 mit Anhörungen von Vertretern der USA sowie von Assanges Anwaltsteam begann und im September mit Zeugenanhörungen fortgesetzt wurde.
Montag, 04. Januar 2021, 13.26 Uhr – Das Urteil steht fest:
Assange wird nicht an die USA ausgeliefert.
RSF bemüht sich um Zugang zum Gericht
RSF hat das Verfahren von Anfang an intensiv beobachtet und wird versuchen, den Termin entweder vor Ort im Gericht oder über einen Videolink mitzuverfolgen. Im September hatte Richterin Baraitser allen beobachtenden NGOs den Videolink-Zugang entzogen, so dass RSF sich seitdem jeden Morgen aufs Neue um einen der wenigen für die Öffentlichkeit reservierten Plätze in einem Nebenraum im Gerichtsgebäude bemühen musste.
RSF war die einzige internationale NGO, der dies gelang und die das Verfahren somit kontinuierlich beobachtete. Die Organisation kritisierte in diesem Zusammenhang immer wieder, dass diese Hürden in einem eklatanten Widerspruch zum Grundsatz eines transparenten Verfahrens standen.
Mehr als 108.000 Unterschriften an britische Regierung übergeben
RSF hat zum 31. Dezember 2020 seine deutsche und seine internationale Petition zur Nichtauslieferung Assanges beendet. Vor der Gerichtsentscheidung am 4. Januar hat RSF die Liste von insgesamt mehr als 108.000 Unterschriften bei der britischen Regierung eingereicht. Als die Organisation am 7. September versucht hatte, gemeinsam mit Assanges Lebensgefährtin Stella Moris eine vorläufige Unterschriftenliste anzugeben, verweigerte das Büro des Premierministers die Annahme. Die anschließende Einreichung per E-Mail wurde nie bestätigt.
Dieses Mal hat RSF die Liste per E-Mail an das Büro des Premierministers sowie das Justiz-, Innen-, Außen-, Commonwealth- und Entwicklungsministerium geschickt. Zudem hat RSF eine Grafik mit den Namen aller Unterzeichner auf seinen Webseiten und auf allen deutschen und internationalen Social-Media-Kanälen veröffentlicht.
RSF begrüßt Einsatz für Assange in Bundesregierung und Bundestag
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, hat (siehe Link oben) an die britischen Behörden appelliert, Assanges körperlichen und psychischen Gesundheitszustand bei der Entscheidung über die Auslieferung unbedingt zu berücksichtigen. Sie erinnerte Großbritannien zudem daran, dass es an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden ist, „auch mit Blick auf das mögliche Strafmaß und die Haftbedingungen“. RSF begrüßt dieses deutliche Zeichen aus der Bundesregierung ausdrücklich.
Ebenso begrüßt RSF die Gründung der fraktionsübergreifenden Arbeitsgemeinschaft „Freiheit für Julian Assange“, die Vertreter aller Bundestagsfraktionen außer der AfD kurz vor Weihnachten ins Leben gerufen haben. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie die Nichtauslieferung Assanges, seine Freilassung aus der Haft aus medizinischen Gründen und ein faires Verfahren.
Die richterliche Entscheidung am 4. Januar wird, egal wie sie ausfällt, dem Auslieferungsverfahren kein Ende setzen. Es wird erwartet, dass beide Seiten Berufung einlegen werden, sollte die Entscheidung nicht zu ihren Gunsten ausfallen. Eine endgültige Entscheidung kann sich Experteneinschätzungen zufolge mindestens bis in die zweite Jahreshälfte 2021 hinziehen. Angesichts des immensen Drucks, der auf Julian Assange lastet, und seines lebensbedrohlichen Gesundheitszustands sind dies äußerst besorgniserregende Aussichten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Großbritannien Platz 35,
die USA belegen Platz 45 von 180 Staaten.
07.Jan..2021, 17:25
Julian Assange soll erstmal nicht in die USA ausgeliefert werden, hat eine Londoner Richterin gestern entschieden, die ihr Urteil allerdings nicht mit dem Argument der Pressefreiheit begründete, sondern auf Assanges Depression hinwies. Die USA gehen in Berufung, ein vorläufiger Sieg, der bitter schmeckt, schreibt Bernd Pickert in der taz: „Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden – keine*r von ihnen durfte aus Sicht der angegriffenen staatlichen Strukturen ein normales Leben weiterführen. Die staatlichen Bemühungen, ihr Handeln zu ahnden, sind ungleich größer als jene, die Verbrechen zu verfolgen, die sie aufgedeckt haben.“
Der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou beschreibt die Bedingungen, die in einem Sicherheitsgefängnis auf Assange gewartet hätten: „Er ist 23 Stunden am Tag in einer kleinen Zelle mit den Maßen 2 mal 3 oder 4 Metern eingesperrt. Nur für eine Stunde darf er durch eine kleine Tür am Ende seiner Zelle in einen Käfigbereich gehen, der etwa 5 mal 5 Meter groß ist, um eine Stunde im Kreis zu gehen. Aber er hat keinen menschlichen Kontakt. Das Essen wird durch einen Schlitz in der Tür hereingereicht. Er kann mit niemandem sprechen. Er kann niemanden sehen. Hat keinen Zugang zu Radio oder Fernsehen und keinen Briefkontakt. Da dreht man durch.“
Die Gegenseite hatte Assange im Prozess mit einer problematischsten Aktionen von Wikileaks attackiert, der Veröffentlichung von Dokumenten ohne Schwärzung von Namen beteiligter Personen.Richtig ist, dass sich Assange mit der Veröffentlichung der unredigierten Dokumente angreifbar gemacht hat und die USA nun versuchen, diesen wunden Punkt auszunutzen. Journalisten und Nachrichtenmedien wissen, dass die Pressefreiheit nicht grenzenlos ist und einen verantwortungsvollen Umgang mit Informationen und Informanten verlangt.“ Das ändert aber nichts am „Kern des Problems, dass wir nämlich dank Assange Kenntnis von Kriegshandlungen haben, die etwa von der amerikanischen Regierung vertuscht werden sollten.“
Wie soll es für Assange jetzt weitergehen? Muss er im Gefängnis bleiben? „Die USA haben bereits angekündigt, in Berufung zu gehen. Beide Seiten können dies vor dem Appeal Court und dem britischen Supreme Court tun. Sind die Instanzen in Großbritannien ausgeschöpft, könnte zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg über die Auslieferung entscheiden. Was bedeutet, dass es noch Jahre dauern kann, bis endgültig klar ist, ob Julian Assange einer Auslieferung in die USA und einer dortigen erneuten Anklage tatsächlich entgehen kann. So ist der Rechtsweg. Umso wichtiger ist die Frage, wo und wie Assange in dieser Zeit untergebracht ist. Denn das gesamte bisherige Verfahren zeigt, dass er keineswegs fair behandelt wird.
Maximilian Harden