Ein gutes Buch verleitet uns zu Nachforschungen über den Autor. Was aber halten wir noch davon, wenn er sich als Schuft entpuppt?
Die Person eines Autors interessiert mich nur dann, wenn er ein grossartiges Buch geschrieben hat. Schreibt einer miserable Romane, kann er daneben das aufregendste Leben führen, als Künstler bleibt er mir gleichgültig. Doch darin liegt die biographische Falle: Die Qualität des Buches zwingt mich zur Suche nach der Person des Autors, die Person des Autors aber wiederum verändert die Qualität des Buches. Diese wirkt sich erneut auf mein Bild vom Autor aus und das so veränderte Bild wieder auf das Buch. Das Buch kann darüber immer besser oder aber immer schlechter werden.
Eine kleine Untersuchung an einem Beispiel zeigt, was es mit der Biographiefalle auf sich hat. Es handelt sich um einen kurzen Ausruf: «Ihr guten Leute und schlechten Musikanten!» Sein Wortlaut hat sich mit der Zeit verändert. In der zitierten Form wird seine Brisanz sofort klar. Sie stellt eine Opposition auf, in der eine Unterstellung steckt. Die additive Verbindung zweier Aussagen: «Ihr seid gute Leute, und ihr seid schlechte Musikanten», drängt sich durch die Knappheit als kausale Verbindung auf: «Ihr seid gute Leute, deshalb seid ihr schlechte Musikanten!» Damit aber liegt die Behauptung in der Luft, ein guter Mensch könne nie ein großer Künstler sein. Zu einem grossen Künstler brauche es einen Einschlag von – ja was nun? – Schuftigkeit? Gaunerei? Niedertracht? Verbrecherseele sogar? Auf jeden Fall ein moralisches Zwielicht.
Dagegen könnte man zunächst einwenden, die Grußformel «Ihr guten Leute und schlechten Musikanten!» unterstelle keineswegs, dass jeder gute Künstler Dreck am Stecken haben müsse. Denn indem auch die Kontrastformel «Ihr schlechten Leute und guten Musikanten!» darin stecke, besage sie höchstens, dass auch ein bedenklicher Charakter glänzende Kunst hervorbringen könne. Das aber wird man doch wohl noch sagen dürfen. Darf man es wirklich?
Subversive Potenz
Paul Celan schreibt in einem Brief an Hans Bender vom 18. 5. 1960: «Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte.» Das steht in einer langen Tradition. Ben Jonson, der Freund und Konkurrent Shakespeares, schreibt in der Einleitung zu seinem Stück «Volpone» (1607): «Würden die Menschen das Amt und die Aufgabe eines Dichters unvoreingenommen betrachten, so kämen sie ohne weiteres zu dem Schluss, dass man unmöglich ein guter Dichter sein kann, ohne zuvor ein guter Mensch zu sein.» Und in einer tragischen Affäre der deutschen Literaturkritik hat Schiller Gottfried August Bürger mit diesem Argument künstlerisch und existenziell gebrochen. Entsprechende Parolen sind sogar noch viel älter als Schiller und Ben Jonson. Dieses Prinzip wäre grossartig, gäbe es nicht die biografische Falle. Grossartig nämlich wäre es, wenn man daraus die logische Folgerung ziehen könnte: Wer ein herrliches Gedicht geschrieben, ist zwingend auch ein guter Mensch. Diese Schlussfolgerung ist in Wahrheit dessen Konsequenz.
Der Unterschied besteht nur darin, dass der eine Satz, «Nur ein guter Mensch kann ein guter Dichter sein», vom Menschen auf das Werk schliesst, während der andere, «Hier ist ein guter Dichter, also ist er ein guter Mensch», vom Werk auf den Menschen schliesst. Auf der Stelle erkennt man, dass der Ausruf «Ihr guten Leute und schlechten Musikanten!» jene Regel sabotiert, wonach nur der gute Mensch ein guter Dichter sein könne.
Wo kommt der Satz her? Seine ursprüngliche Form steht 1804 in Brentanos Lustspiel «Ponce de Leon». Valerio, eine Harlekinfigur, hat den Auftrag, Musikanten aufzutreiben. Er findet einige musikalische Dilettanten und gibt die Anweisung: «Diese schlechten Musikanten und guten Leute also werden sich unter Eurer Anführung im Walde versammeln.» Das ist schon alles. Wir würden darüber hinweglesen. Doch da gab es zu Berlin einen Mann, der selbst ein Künstler war, Autor und Musiker zugleich, und dem fuhr die Stelle in die Knochen. Er erkannte ihre subversive Potenz, und als er sie später zitierte, hatte sie in seinem Kopf die Form angenommen, in der sie berühmt wurde. Sie war zur Anrede geworden: «Ihr guten Leute und schlechten Musikanten!» Jener Mann war E. T. A. Hoffmann.
Genie oder Talent
In zwei Fällen kommt dem Satz eine Schlüsselfunktion zu: bei Hoffmann selbst sowie bei Heinrich Heine. Im Kreisler-Roman, dem vielleicht wichtigsten Werk Hoffmanns, leitet das Zitat die Rede des Kapellmeisters Kreisler über die Künstlerliebe ein. Das geschieht nach dem Bericht über einen Maler, der dem Wahnsinn verfiel, weil er die Frau, die ihn zu seinen grössten Werken begeisterte, leibhaftig lieben und umarmen wollte. Er wurde darüber zum Tier, das man in Ketten legen musste. Kreisler entwickelt auf diesem Hintergrund die radikale Theorie vom Künstler, dessen Kunst von der Liebe zwar entzündet wird, der aber mitsamt seiner Kunst zugrunde geht, wenn er diese Liebe leibhaftig leben will. «Musikanten» und «gute Leute» werden dabei zu Gegenbegriffen. Indem er so «alles Menschenvolk» in «zwei verschiedene Haufen» teilt, macht er kein Hehl aus seiner Verachtung der «guten Leute» und ihrer Art, die Kunst zu konsumieren wie warme Suppe. Die «Musikanten» dagegen leben am Rand von Wahnsinn und Verbrechen.
Heinrich Heine war dem Ausruf nicht weniger zugetan als vor ihm E. T. A. Hoffmann. Besonders wichtig wird die Wendung in Heines Vorrede zum «Atta Troll», einer Versdichtung aus der Zeit, als er wegen seines Börne- Buchs in Deutschland attackiert wurde. Börne stellte man als Heiligen, Heine aber als elenden Lumpen hin. Im Verlauf dieser Polemik setzte sich jenes Schlagwort durch, das mehr als ein Jahrhundert lang alle Debatten um Heine einfärben sollte: Er sei ein Talent, aber kein Charakter. Die Opposition dieser zwei Begriffe ist für uns nun interessant. Sie erinnert an die Opposition zwischen den Musikanten und den guten Leuten. Tatsächlich greift Heine im Zusammenhang mit genau dieser Diffamierung seiner sittlichen Person auf unser Zitat zurück. Er schreibt:
«Die scheelsüchtige Impotenz hatte endlich ihre grosse Waffe gefunden gegen die Übermüten des Genius; sie fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter. Es war fast persönlich schmeichelhaft für die grosse Menge, wenn sie behaupten hörte: die braven Leute seien freilich in der Regel sehr schlechte Musikanten, dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei in der Welt die Hauptsache, nicht die Musik.»
In der Heine-Polemik schneiden sich beide Traditionslinien. Die Regel, wonach ein schlechter Mensch kein gutes Gedicht schreiben könne, blieb darin ebenso virulent wie die Regel, wonach gute Menschen schlechte Musikanten seien. Das Wort Talent steht hier nämlich im unausgesprochenen Gegensatz zum Wort Genie. Ein Talent kann man zwar sein, auch wenn man ein charakterloser Kerl ist, ein Genie aber, so die stumme Unterstellung, wäre mit Charakterlosigkeit denn doch nicht vereinbar (also kann nur ein guter Mensch ein genialer Dichter sein).
Heine muss diese polemische Nebenbedeutung im Begriff «Talent» gewittert haben. Deshalb erklärt er in der zitierten Passage gleich zu Beginn, die «Antithese von Talent und Charakter» sei erfunden worden als Waffe «gegen die Übermüten des Genius». Damit setzt er Genie und Talent demonstrativ gleich und unterläuft so die tückische Unterstellung. Rhetorisch war ihm wirklich keiner gewachsen.
Produktiver Widerstreit
Schreiben wirklich nur wahre Hände wahre Gedichte? Es gibt darauf keine Antwort, es gibt nur den fortdauernden Disput. So wurde die Differenz von Talent und Charakter eines Tages neu inszeniert als die Differenz zwischen dem Literaten und dem Dichter, wobei auch hier dem Dichter das Genie zugesprochen wurde, dem Literaten aber die Oberflächlichkeit. Diese Opposition überlagerte sich zusätzlich mit jener zwischen Zivilisation und Kultur. In Deutschland musste der Literat daher bald mit weiteren Attributen versehen werden, einerseits mit Zivilisation, was ihn zum Zivilisationsliteraten machte, andererseits mit Asphalt, was ihn zum Asphalt-Literaten stempelte. Der Begriff «Zivilisationsliterat» wurde eigens für Heinrich Mann geschaffen, als offene Insultation von Seiten seines Bruders Thomas Mann. Die Affäre war so spektakulär wie einst die Fehde zwischen Börne und Heine.
In Thomas Manns «Betrachtungen eines Unpolitischen» gerät der «Zivilisationsliterat» zur leibhaftigen Verkörperung alles dessen, was nicht Kultur ist, sondern Zivilisation, nicht deutsch, sondern französisch, nicht tief, sondern oberflächlich, nicht Seele, sondern Intellekt, nicht Krieg, sondern Pazifismus, nicht heroisch, sondern human, nicht monarchistisch, sondern demokratisch . . . Die Vendetta wurde von Thomas Mann losgetreten, weil Heinrich Mann gegen die Kriegsbegeisterung von 1914 war und sich weigerte, von seiner republikanisch-liberalen Haltung und seiner Verehrung der französischen Kultur abzurücken. Thomas las Heinrichs Essay über Zola von 1915 als persönlichen Angriff und geriet darüber in einen Furor, der drei Jahre dauerte und zu einem Buch von 611 Seiten führte. Es ist ein glänzendes und abscheuliches Buch. Nie hat ein reaktionärer Kopf besser geschrieben. Ein guter Musikant ohne Zweifel. Man zieht den Hut und knirscht mit den Zähnen.
Und wenn wir die Entwicklung Thomas Manns im Anschluss an die «Betrachtungen» genau studieren, dann dämmert uns, dass die Raserei gegen den Bruder zur unabdingbaren Voraussetzung wurde für seinen grössten Roman, den «Zauberberg». Genau dieses Duell nämlich inszenierte er dort als Komödie der politischen Philosophie.
Heinrich Manns politische Klarsicht und stilistische Brillanz hatte Thomas Mann in seinen mehrjährigen Raptus versetzt. Aus diesen wüsten Krämpfen erwuchs zuletzt nicht nur der unvergleichliche Roman, sondern auch die Versöhnung der feindlichen Brüder; Versöhnung so sehr, dass die beiden schliesslich Seite an Seite antreten konnten im Kampf für die Humanität und Demokratie in Deutschland.
Der Weg zum Kunstwerk ist offenbar ein verschlungener. Landkarten gibt es dafür keine.
Peter von Matt
Der Autor ist emeritierter Professor für neuere deutsche Literatur. Seine vielfach ausgezeichneten Bücher sind weit über Fachkreise hinaus bekannt. Heute, am 3. 2. erscheint im Hanser-Verlag sein neuer Essay-Band «Das Wilde und die Ordnung», der auch den hier gekürzt abgedruckten Beitrag enthält.