Noch im Sommer war Deutschland stolz auf seine Pandemieantwort: viel weniger Tote als Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien. Und das, obgleich der Lockdown so soft war wie kaum anderswo. Ein halbes Jahr später ist von diesem Stolz nichts mehr geblieben. Deutschland ist wie erwartet und wie fast ganz Europa in eine zweite Welle gerutscht. Erst langsam, dann immer schneller, inzwischen stehen in manchen Regionen Sachsens Kliniken kurz vor dem Kollaps. Wobei in Sachsen – wir erinnern uns – an vorderst-mitläufrigen Blödmännern und, (für diesmal politisch korrekt: Blödmänner*Innen) Front mit der eingängigen Aussage demonstriert wird, es sei Corona eine Erfindung von geldgeilen Kapitalisten.
Und, unfaßbar, demonstrieren diese Tumblinge immer noch mit gleichen oder ähnlichen Aussagen – zu schlechter Letzt befeuert von denen, die (a propos „Geldgeil“) mihilfe jener Dumpfbacken auch und noch immer und nicht so knapp, einen Haufen Euro auf ihrem Privatkonto sammeln.
Und, die €-Überweisung bitte deklariert als Schenkung und nicht als Spenden. Wer (Corona-Unternehmer des Jahres und „Querdenker“ Michael Ballweg rechts im Bild rechts) dahinter steckt, erklärt uns (ab 7`20 im Video) der Satiriker Böhmermann aufschlußreich und hervorragend recherchiert. Und die Zahlen – was Wunder – sinken nicht.
Die nämlich haben auch mit dem Föderalismus zu tun: Einzelne Bundesländer, die im Frühjahr kaum betroffen waren, blockierten im Herbst gesamtdeutsche Lösungen. Noch Mitte Oktober wollte etwa Sachsen keinen Lockdown, sondern die Regeln nur leidlich verschärfen. Heute gehört das Bundesland zu den am stärksten Betroffenen.
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Die Antwort auf die Frage des Scheiterns hat auch mit unserem Lebensstil zu tun: damit, dass wir Europäer – wie Devi Sridhar, Professorin für Globale Gesundheit an der University of Edinburgh kürzlich schrieb – trotz Pandemie alles wollten: das Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren, unsere Daten schützen und bitte auch nicht aufs Reisen oder andere Freiheiten verzichten.
Und natürlich hat das alles auch mit Vertrauen in Politik und Behörden zu tun, was hochgradig bedeutsam wird, wenn diese martialische Regeln durchsetzen, die das Privatleben von Menschen beschneiden – aber auch, wenn diese an die Bürger appellieren, sich an Regeln zu halten und sich verantwortlich zu verhalten.
Zuletzt hat es auch mit dem Fakt zu tun, dass Deutschland sich im Vergleich zu anderen Ländern öffentliche Gesundheit zu wenig kosten lässt. Das RKI steht finanziell viel schlechter da als andere Public-Health-Institute, etwa in Großbritannien oder den USA (wo es andere Probleme gibt, aber hier geht es ja um unsere), und Ärzte in Gesundheitsämtern verdienen deutlich weniger als Klinikärzte. Während die Individualmedizin in Deutschland hervorragend ist, ist die Öffentliche Gesundheit unattraktiv fürs Personal. Wer daran auf politischer Seite etwas ändern will, sieht sich schnell mit einem schweren Erbe konfrontiert: Im Nationalsozialismus brachte das staatliche Gesundheitswesen sehr viel Leid über sehr viele Menschen. Es hat also seine Gründe, warum der Amtsarzt bis heute kein mächtiger Entscheider ist, sondern ein unauffälliger Staatsdiener, der vermeintlich zwischen staubigen Zimmerpflanzen sitzt.
Zumindest genauso entscheidend aber wie diese (nennen wir die mal so) „kleinen Gründe“ könnte ein großer sein, der mit ihnen natürlich wiederum verbunden ist: Es geht um die Art und Weise, wie die deutsche Politik auf existenzielle Krisen reagiert. Beziehungsweise: wie sie auf diese bisher nicht reagierte, weil sie das vielleicht auch nicht musste oder nicht zu müssen glaubte, und wie sie sich nun schwertut, einen neuen Modus zu finden.
Wobei „die Politik“ nicht etwa isoliert zu betrachten ist
Wenn nämlich die Covid-Pandemie bis heute eines gezeigt hat, dann ist es dies: Es fehlt nicht nur an der Entschlossenheit, radikale Maßnahmen, wenn geboten, durchzusetzen (zumindest was den Kern des Problems angeht, das Virus selbst, und weniger vielleicht, wenn es um Dinge wie Wirtschaftshilfen geht). Es fehlt auch an der Basis für solche Maßnahmen: der Anerkenntnis, dass Krisen wie diese Pandemie oder, um sie nun auch endlich im Wortlaut zu erwähnen, die Klimakrise eben genau das sind, existenziell – wie weit weg sie manchen Wählern auch immer noch von ihrer Lebensrealität erscheinen mögen.
Schon die Vorbereitung auf die Ankunft des neuen Virus in Europa lief nicht optimal: Lange herrschte ein falsches Gefühl der Sicherheit, der Kauf von Atemschutzmasken wurde verschleppt, Gesundheitsämter, seit Jahren überlastet, wurden nicht aufgestockt. Wirklich sichtbar aber wurde das Unvermögen der deutschen Politik im Angesicht existenzieller Probleme so richtig erst am Ende des ersten Lockdowns. Der Lockdown selbst war noch ein beherzter Schritt gewesen, vielleicht mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass er von einzelnen politischen Protagonisten wie Armin Laschet früh als einmalige und temporäre Äußerstmaßnahme verkauft wurde, von der es nach Ostern schon zügig zurück in eine „verantwortbare Normalität“ gehen werde.
Nie fehlte es an einer Vision
Auch wenn das disziplinierte Handeln im ersten Lockdown so vielleicht mit falschen Hoffnungen erkauft wurde und auch wenn das vielleicht auch ein Grund für einen heutigen Mangel an Eigenverantwortung und Disziplin im zweiten Lockdown ist: Der erste Lockdown kam viel früher als in anderen Ländern und wurde so zum Erfolg. Dann aber war es mit der Entschlossenheit endgültig vorüber. Anfang Mai beschlossen Bund und Länder, Deutschland wieder zu öffnen, erst langsam, dann immer schneller und bisweilen kopflos. Zu groß war das Murren, zu gering die Geduld, zu sehr fehlte es vielleicht auch an einer Vision, wie man denn nun auf lange Sicht hätte mit diesem unerfreulichen Virus umgehen sollen.
Aber stimmt das? Fehlte es wirklich an einer Vision? Und zwar ganz grundsätzlich und nicht nur bei den zwischen Christian Drosten und Hendrik Streeck hin und her eiernden Entscheidern?
Nein, schon im Frühjahr sagten viele: Die beste Strategie gegen das Virus ist, es radikal einzudämmen. Am besten ist es, die Übertragungen auf nahe null zu senken und dann, wann immer das Virus wieder auftaucht, mit aller Härte zu reagieren, also mit massiven Tests, strenger Quarantäne und haargenauer Fallnachverfolgung. Viola Priesemann war eine, die eine solche Herangehensweise ins Spiel brachte. Die Physikerin vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation modelliert die Fallzahlentwicklung und den Einfluss möglicher Maßnahmen. Sie meinte noch im Juni, dass man „ferner darüber nachdenken“ könnte, „ob es für alle ein lohnenswertes Ziel wäre, das Virus lokal konsequent auszurotten“. Gleiches schlug auch Devi Sridhar gleich zu Beginn der Pandemie vor. Die Bundesregierung wusste von derartigen Forderungen, entschied sich aber gegen ihre konsequente Umsetzung.
Stattdessen trat Deutschlnd in eine Phase der Pandemie ein, in der die Stimmen, die die Politik noch gut durch die erste Welle gelotst hatten, im Gewirr anderer Stimmen untergingen. Die Botschaft, dass diese Pandemie nicht vorbei sei und es einer langfristigen, nachhaltigen Strategie für die nächsten Jahre (sic!) bedürfe, schien die Politiker und ihre Wähler kaum noch zu erreichen. Ganz im Gegensatz zu Stimmen, die wolkig vom Leben mit dem Virus redeten, ohne dabei je konkret zu werden, oder die begannen, mit ergoogelten Thesen, aus sozialen Medien aufgeschnappten Behauptungen und statistischen Pseudoauswertungen alles zu bezweifeln, auf dem die Antwort auf diese Pandemie fußte und fußt: die Validität von PCR-Tests, die Gefährlichkeit des Erregers, manchmal gar seine Existenz.
Antworten auf diese Pandemie gehen nicht an biologischen Realitäten vorbei
Aber war das denn so falsch, dass in einem Moment der Entspannung auch wieder andere Stimmen hörbar wurden als die der Mahner aus der Charité oder dem Robert Koch-Institut? Nun, natürlich speisen sich politische Pläne nicht allein aus wissenschaftlichen Berechnungen, und natürlich gibt es noch andere Erwägungen als epidemische, staatsrechtliche zum Beispiel oder auch kulturelle und nicht zuletzt ökologische und ökonomische, die Wirtschaft. Zudem werden Politiker immer ein Stück weit von den Meinungsströmungen ihrer Wähler geleitet. Hier greift in besonderer Weise das Präventionsparadox: Nicht nur erntet, wer es schafft, Unheil abzuwenden, dafür keinen Ruhm. Mancher sieht in ihm, der mutmaßlich unverhältnismäßige Freiheitseinschränkungen gefordert oder beschlossen hatte, sogar einen Feind der Bevölkerung.
Corona-Warn-App:
Ist Virenschutz jetzt wirklich wichtiger als Datenschutz?
Dementsprechend ist hier auch erst mal keine individuelle Schuld zu verteilen, nur festzustellen: Wäre die Politik dem Rat mancher Instanzen gefolgt, hätte sie, statt lockerzulassen, einen Langfristplan entworfen, dann könnte Deutschland heute da stehen, wo Länder längst sind, die sowohl in Sachen Staatsform als auch bezüglich Geografie, Wohlstand und Klima unterschiedlicher kaum sein könnten: China (so allerdings dort hätte sich das hierzulande wohl kaum wer gefallen lassen), Südkorea, Neuseeland, Vietnam und Norwegen etwa rutschen nicht von Lockdown zu Lockdown, sondern feiern – mittlerweile einer wirklichen Eindämmungs- oder Zero-Covid-Strategie wegen – teilweise sogar Partys mit Zehntausenden Teilnehmern. Sie haben auch kaum Tote zu beklagen und ihrer Wirtschaft geht es tendenziell besser als der vieler anderer Länder.
Natürlich wird, wer solche Strategie einführt, Rückschläge erleben. (In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul geht das Virus gerade stärker um als jemals in dieser Pandemie, und auch Norwegen kämpft mit einer zweiten Welle). Es ist auch nicht leicht, sie umzusetzen. Sie ist in gewisser Weise radikal (wenn auch auf lange Sicht deutlich weniger radikal als eine Abfolge von Lockdowns), denn sie greift in die Freiheiten der Bürger ein: in Südkorea dank digitaler Überwachung in die Privatsphäre, und in Neuseeland oder Uruguay etwa in das Recht, sich frei über die Landesgrenzen hinweg zu bewegen. Gleichzeitig scheint sie die sinnvollste Reaktion auf ein Virus zu sein, das – würde es sich in Deutschland frei ausbreiten – rund ein Prozent aller Infizierten, also mehrere Hunderttausend Menschen, töten würde.
Die erfolgreichen Antworten auf Corona haben – versuchen wir mal, das zu kapieren – eines gemeinsam: Sie gehen nicht an den biologischen Realitäten des Virus vorbei. Ganz anders in Deutschland, wo mit dem Aufkommen heterogener Befindlichkeiten – die Wirtschaft! die Bildung! die Theater! –, politischer Stimmungen und falscher oder aus dem Kontext gerissener Informationen die Pandemiepolitik ihren Weg verlor. Traurige Sinnbilder davon (und Anlässe, von individueller Schuld zu reden) waren Feiern mit Tausenden Gästen an Orten, an denen das Virus noch zirkulierte, oder das Treffen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer mit den Corona-Verharmlosern Sucharit Bhakdi und Stefan Homburg.
Politik, die Extremes unter allen Umständen vermeiden will
Wie aber lässt sich nun hoffen, dass das in Zukunft alles besser wird? Vielleicht ja, indem wir es erst mal als symptomatisch zu begreifen versuchen: Die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft haben sich in vielfältiger Hinsicht als krisenunfähig erwiesen. 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, nach Jahrzehnten des relativen Wohlstands und des weitgehenden Ausbleibens brenzliger historischer Momente, die unmittelbar individuelles und individuell politisches Handeln würden erfordert haben, stellt sich eben die Frage, ob Deutschland (und mit ihm weite Teile der westlichen Welt) es noch schafft, richtige Antworten auf wirkliche Krisen zu finden. Wenn nicht, wäre das natürlich auch deshalb fatal, weil nicht nur die Corona-Krise existenzieller Natur ist, sondern die Klimakrise in noch viel größerem Ausmaß. Und, weil die einzig vernünftige Antwort auf diese Krisen eine radikale ist – Zero Covid für die Pandemie, Zero Emissions für das Klima –, will man nicht immer weitere Probleme provozieren, neue Lockdowns einerseits, Extremwetterlagen in Dauerschleife, den Anstieg des Meeresspiegels und einen in Teilen unbewohnbaren Planeten auf der anderen.
Der Journalist Bernd Ulrich hat die Mechanismen hinter dem Scheitern an den Herausforderungen der Klimakrise in seinem Buch Alles wird anders treffend beschrieben. Wer sein Buch, das vor der Pandemie erschienen ist, heute liest, findet darin eine Beschreibung politischer Prozesse, die für die Corona-Krise treffender nicht hätten sein können. „Die Kultur der deutschen Politik“, schreibt er, sei eine, „die in allen ihren Reflexen darauf ausgerichtet ist, Extremes zu vermeiden und zu negieren“. Als Antwort auf die ideologischen Extreme des 20. Jahrhunderts ist eine solche politische Kultur wohl sinnvoll. Im Angesicht existenzieller Krisen aber wird sie zum Hemmnis. Und indem sie – in der zum Beispiel Corona-Krise – zuletzt immer die Mitte zwischen zwei lauten Lagern suchte, versäumte sie es, sich tatsächlich sinnvoll zum eigentlichen Problem zu positionieren, das dann – wie Ulrich es beschreibt – förmlich kleingestutzt wird, damit gängige politische Lösungsstrategien darauf passen.
Dieses Streben hat dann aber keine Zeit mehr, sich wirklichen Lösungsansätzen zu widmen: Seit Monaten wiederholt der Harvard-Epidemiologe Michael Mina in Dauerschleife, dass wir uns aus dieser Pandemie förmlich heraustesten können. Würde sich jeder Mensch, sagt Mina, mit einem zu Hause anwendbaren, leidlich akkuraten Selbsttest alle paar Tage testen und bei einem positiven Test in Quarantäne gehen, könnte man die Übertragungen des Virus vollständig durchbrechen. Mina hat in wunderbaren Modellierungen dargelegt, wie genau das geschehen könnte. Erschienen sind sie in angesehenen Fachzeitschriften (New England Journal of Medicine: Mina et al., 2020). Passiert aber ist wenig, auch weil dafür die Anstrengung nötig wäre, mit Wucht eine teure Maßnahme durchzuboxen, die wiederum mit behördlichen und mentalen Traditionen bricht und, ja, eben auch von Desinformatoren und Zweiflern, die Restunsicherheit routiniert für allgemeine Diskreditierung missbrauchen, angreifbar wäre: Heute muss jeder positive Schnelltest im Grunde genommen mit einem PCR-Test bestätigt werden, damit die Gesundheitsämter ihren Buchhaltungspflichten folgend auch schön einen Strich machen können. Dazu kommen Bedenken, dass Menschen den Abstrich nicht selber nehmen können. Da kann es auch Studien geben, die zeigen, dass die meisten Menschen einen Nasenabstrich nach einer Anleitung vielleicht nicht perfekt, aber schon ganz in Ordnung hinbekommen (Jama: Altamirano et al., 2020). Es grassiert, so beschreiben es Mediziner und Laborexperten, die eine breite Einführung solcher Schnelltests fordern, ein Perfektionismus. Man traue den Menschen nicht zu, sich selbst zu testen und verantwortungsvoll mit dem Ergebnis – ob positiv oder negativ – umzugehen. Auch den Blick fürs große Ganze der öffentlichen Gesundheit vermissen manche. Denn bei der Testung Tausender Menschen sind falsche Ergebnisse nicht unbedingt dramatisch, weil Schnelltests auf der Bevölkerungsebene und nicht der Individualebene ihre Wirkung entfalten, indem sie helfen, Infektionsketten aufzuspüren und zu durchtrennen.
Verstehen wir Krisen erst, wenn wir sie spüren?
Natürlich sind manche der Einwände gegen eine wiederholte Durchtestung mit Schnelltests absolut gerechtfertigt – und niemand garantiert, dass die Durchtestung gelänge. Aber befinden wir uns nicht gerade in einer Pandemie, an deren Erreger Hunderttausende Menschen sterben und Volkswirtschaften zerbrochen sind und – oder – zerbrechen werden? Wann, wenn nicht jetzt, ist Zeit, groß zu denken und Bedenken, Perfektionismus und Bürokratie beiseitezuschieben? Warum wagen wir nicht zumindest einen Versuch? (Der Fairness halber: Erste, gewichtige Stimmen betonen die Wichtigkeit der Schnelltests: Ärzteblatt: Gottschalk et al., 2020.)
Freilich: Diese Gedanken kann man nun haben, im Sommer (genau in dieser Zeit wurde viel versäumt, aber,) wären sie kaum mehrheitsfähig gewesen. Die Frage ist aber, ob sie nicht dennoch hätten politikfähig sein müssen. Im Grunde ist der Verlauf dieser Pandemie seit Mitte oder Ende Januar recht vorhersehbar gewesen. Alledem zum Trotz gab es eine Kombination aus Optimismus und einer verzweifelten Hoffnung darauf, dass die Geschichte sich nicht wiederholen würde. Statt Pläne zu machen für eine zweite Welle, schien mancher deutsche Politiker ernsthaft von der zweiten Welle der Pandemie überrascht, oder zumindest von ihrer erwartbaren Heftigkeit, als wäre nicht völlig klar, dass ein Virusinfekt, der so gut durch den Sommer kommt, sich im Herbst und Winter verhält, wie er sich halt nun mal voraussehbar verhalten würde: sich in Innenräumen, fern von Wind und UV-Licht, wieder viel besser verbreiten.
Es ist selten zu spät und niemals zu früh …
Es ist nun noch längst nicht zu spät, dem Virus mit der nötigen Radikalität entgegenzutreten: Vor wenigen Tagen sprachen sich Epidemiologen, Virologen und Experten der öffentlichen Gesundheit in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet dafür aus, europaweit auf eine konsequente Eindämmung des Virus zu setzen: (Priesemann et al., 2020). Man darf also noch hoffen, dass die falsche Politik der Mäßigung auch in Deutschland ihr Ende findet.
Zwei – freilich extreme – Antworten sind denkbar (zwischen denen freilich diverse Graustufen liegen): Entweder Deutschland entscheidet sich frank und frei – als offen zynisches Gemeinwesen – gegen den Schutz und für das Risiko. Oder Wähler formulieren auch vor dem Hintergrund individueller Covid-Erfahrungen der Politik gegenüber den klaren Anspruch, dass es ihr Job ist, das Realwerden existenzieller Krisen zu verhindern – ob diese nun ihren Ausdruck in überfüllten Intensivstationen, traumatisierten Pflegern und Zehntausenden Toten finden, oder in einem Planeten, der in hohem Maße lebensfeindlich ist. Das ist, wie immer, die Hoffnung: dass irgendwo in alledem eine Lehre liege. Die allerdings müsste in diesem Fall dafür sorgen, dass deutsche demokratische Politik zukünftig kompetent auf Krisen reagieren kann, ohne solcherweise ihre Legitimation zu verlieren.
Dieser Impuls kann aber logischerweise gar nicht aus der professionellen Politik kommen, die Mehrheiten müssen ihn ihr geben – jaja, wir haben gut reden.
Und, nochmal ja: Von Corona- oder Ökodiktatur brauchte dann auch keiner mehr zu reden.