Oder ist er das vielleicht doch, ein Irrtum der amerikanischen Geschichte?
In der Tat ist dies der US-Präsident nicht, und zwar nicht, obgleich er in nur vier Jahren den politischen Betrieb auf den Kopf gestellt hat, sondern weil er genau eben das getan hat, womit er nämlich vielen (amerikanischen jedenfalls) Bürgern aus dem Herzen gesprochen zu haben scheint. Und, es stellt sich die Frage: Was bleibt nun in der Post-Trump-Ära zu denken (und was zu tun)? Mehr als die Hälfte der Amerikaner fühlt sich in der Öffentlichkeit als Raum der Repräsentation nicht mehr zu Hause. Mit ambivalenter Nostalgie kommen in den Corona-entvölkerten amerikanischen Universitäten jetzt die Erinnerungen an jene Periode des Protests auf, die vor genau vier Jahren einsetzte, nachdem – viel schneller als in der vergangenen Woche – die Entscheidung über den neuen Präsidenten gefallen war.
Bald schon marschierten damals unermüdliche Gruppen von Studenten und Professoren Tag für Tag von einem zum anderen Ende des Campus und skandierten sich mit dem beliebten revolutionären Zweizeiler «El pueblo unido / jamás será vencido» («Das geeinte Volk wird nie besiegt werden») in immer neue Hochstimmung.
Inhaltlich unpassender hätte diese grosszügig-akademische Solidarität mit dem „Volk“ allerdings nicht sein können. Denn gerade war der (nicht nur) unter Intellektuellen verachtete Donald Trump ja gerade von unterprivilegierten Wählerschichten ins Weisse Haus gespült worden.
Als dann aber – was Wunder – die Energie der gutgemeinten Entrüstung abflaute, nahm die Schärfe der politischen Analysen kaum zu. Über herablassende Gesten der Distanzierung von ihrem Land und über die Beschimpfung von Trump und seinen Anhängern als „Faschisten“ sind „die Gebildeten“ während der letzten vier Jahre nur selten hinausgekommen. Deshalb wirkte der selbstkritische Gestus eines kürzlich erschienenen Leitartikels in der – zur Pflichtlektüre aller Trump-Gegner aufgestiegenen – „New York Times“ am Tag nach der neuen Wahl wie die sprichwörtliche Morgenröte eines zu lange verschobenen Aufbruchs. Unabhängig vom Endergebnis, so stand dort zu lesen, sei es angesichts des massiven Anwachsens der Unterstützung für Trump um sechs Millionen Stimmen nicht mehr angemessen, ihn als einen Wahlirrtum des Jahrs 2016 von der „amerikanischen Seele“ abzusetzen, die sein Herausforderer und nun auch designierter Nachfolger Biden so gerne heraufbeschwört.
Mit anderen Worten: Erst im Moment der Niederlage und im Blick auf sein politisches Ende, viel zu spät jedenfalls, ist die Gestalt von Donald Trump für die amerikanischen Intellektuellen zu einem historischen Ernstfall der Gegenwart geworden, der Analysen und produktive Reaktionen herausfordert. Gerade die Verspätung setzt uns Berufsdenker einer dreifachen Verpflichtung aus:
Es ist höchste Zeit, dass wir unsere unterkomplexen Erklärungsmuster für Trumps Faszination revidieren; wir müssen zweitens endlich plausible Hypothesen über die Gründe und Grenzen des Trump-Syndroms entwickeln; und auf dieser Grundlage sollten wir drittens innovative Strategien entwickeln, die es ermöglichen, Trumps Anhänger (Bild) aktiv in die veränderten politischen Prozesse der Zukunft einzubeziehen.
Viel deutlicher freilich sehen die Unvereinbarkeiten zwischen Trump und dem Faschismus aus. Säbelrasselnder Militarismus à la Mussolini oder Hitler gehörte nicht einmal zu den Randbeständen seines rhetorischen oder aussenpolitischen Repertoires. Und vor allem war Trump nie darauf aus, seine Äusserungen in der geschliffenen Kohärenz einer Ideologie festzulegen.
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Trump: Ein Faschist?
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Was genau aber wäre etwa am fast schon selbstverständlich gewordenen Gebrauch des Begriffs „Faschismus“ zur Beschreibung des Trump-Syndroms auszusetzen? Vor allem, dass es sich dabei – wie so oft in politischen Debatten – um einen Ausdruck der Empörung hinter der Maske eines typologischen Vergleichs handelt.
Wer ernsthaft von Trump als einem „Faschisten“ (oder auch „Rassisten“) redet, der macht damit eher eine selbstzufriedene Aussage über sich als über Trump und mag übersehen, dass solche impliziten Vergleiche zugleich unerwartete Erkenntnischancen eröffnen. Denn so wie der Faschismus als Nationalsozialismus verbindet auch Trumps Stil sowohl traditionell als „links“ und als „rechts“ angesehene Elemente (etwa die als „populistisch“ verteufelte Öffnung der Politik für bildungsferne Schichten als aber auch Steuerentlastungen für Höchstverdiener).
Was genau aber wäre etwa am fast schon selbstverständlich gewordenen Gebrauch des Begriffs „Faschismus“ zur Beschreibung des Trump-Syndroms auszusetzen? Vor allem, dass es sich dabei – wie so oft in politischen Debatten – um einen Ausdruck der Empörung hinter der Maske eines typologischen Vergleichs handelt.
Wer ernsthaft von Trump als einem „Faschisten“ (oder auch „Rassisten“) redet, der macht damit eher eine selbstzufriedene Aussage über sich als über Trump – und mag übersehen, dass solche impliziten Vergleiche zugleich unerwartete Erkenntnischancen eröffnen. Denn so wie der Faschismus als Nationalsozialismus verbindet auch Trumps Stil traditionell als „links“ und als „rechts“ angesehene Elemente (etwa die als „populistisch“ verteufelte Öffnung der Politik für bildungsferne Schichten und Steuerbelastungen für Höchstverdiener).
Viel deutlicher freilich sehen die Unvereinbarkeiten zwischen Trump und dem Faschismus aus. Säbelrasselnder Militarismus à la Mussolini oder Hitler gehörte nicht einmal zu den Randbeständen seines rhetorischen oder aussenpolitischen Repertoires. Und vor allem war Trump nie darauf aus, seine Äusserungen in der geschliffenen Kohärenz einer Ideologie festzulegen.
Trump: ein Resonanztier
Weniger automatisiert, aber vielleicht allzu geistreich wirkt der andere gängige (und biographisch zutreffende) Verweis auf Trumps Erfahrung als Showmaster in der Unterhaltungsbranche – die er wohl mit einer wachsenden Zahl anderer Politiker teilt. Der Vorwurf, er habe Politik wie die Episoden einer Netflix-Serie gehandhabt, sollte sich aber die Rückfrage nicht ersparen, wie viel Naivität denn die unterstellte Alternative eines erfolgreichen öffentlichen Handelns ganz ohne Inszenierungsdimension voraussetzt.
Praktische Politik ist immer schon von einem Kontrast zwischen öffentlicher Erscheinung und widerständigen Alltagsproblemen ausgegangen. Und zu Trumps rhetorischen Manövern des Ausweichens in die Dimension „alternativer Wirklichkeiten“ hatte es ja im philosophischen Zeitalter von „Konstruktivismus“, „Pragmatismus“ und der „Pluralität der Welten“ hoch-und wertgeschätzte akademische Vorgänger gegeben.
Wenn Intellektuelle an dem Anspruch festhalten wollen, ausserhalb ihrer eigenen Spezialistenkommunikation wahrgenommen zu werden, dann müssen sie über solche Revisionen von Denkbequemlichkeit hinaus auch die Entwicklung bestimmter demokratischer Kompetenzen ins Auge fassen. Dabei können ausgerechnet einige Stärken von Donald Trump als Motivation und Messlatte helfen:
Mit der Bereitschaft, die zum Ritual gewordene Klage über die Spaltung der Gesellschaften in zwei unversöhnliche Lager durch eine Initiative zu Gesprächen mit solchen Fellow-Citizens hinter sich zu lassen, die sie bislang als „Faschisten“ oder „Rassisten“ verurteilt und auf hygienischer Distanz gehalten haben? Ist Konsens das zwingende Ideal einer politischen Gesellschaft? Joe Bidens freundliches Versprechen, ein „Präsident aller Amerikaner“ zu werden, das ja ausser Trump alle Vorgänger im Amt gemacht haben, wird für nachhaltige Veränderungen keinesfalls ausreichen.
Besser, weil konkreter, war seine Bemerkung, er könne „die Frustration der Anhänger von Präsident Trump über die Wahlniederlage aus der Erfahrung eigener Niederlagen nachvollziehen“. Doch derzeit wissen wir „Linksliberalen“ ja nicht einmal, wo wir jene „anderen Amerikaner“ finden könnten, von Diskussionen mit ihnen ganz abgesehen. Vor allem und im Blick auf die kommenden Wochen sollten wir uns darauf einstellen, dass es das – für seine Gegner – unangenehme Recht eines Politikers wie Trump ist, die praktisch gegebenen Möglichkeiten der Machterhaltung skrupellos und mit machiavellistischer Rationalität auszuschöpfen. Auch hier läuft Entrüstung allenfalls auf geistige Bequemlichkeit und auf existenziellen Verzicht hinaus.
Wer jedoch ernsthaft die Frage nach den Gründen für Donald Trumps Erfolg bei seinen Stammwählern stellt, muss zu der Diagnose einer akuten und prägnant umschreibbaren Krise in der institutionellen Form der parlamentarischen Demokratie gelangen. Nach ihrem Stil kann man Trumps Zuwendung zu Schichten von Amerikanern, die sich seit Jahrzehnten von der Entwicklung des Alltags im wörtlichen Sinn „abgehängt“ fühlen, als „Resonanzkommunikation“ charakterisieren. „Resonanz“, deshalb, weil sich ihre Wirkung nicht in spezifischen Inhalten und ihrer jeweiligen Perspektivierung erfüllt, sondern allein in dem Eindruck, von diesem Präsidenten in den eigenen – meist vagen – Affekten gehört, ernst genommen und eben auch mitgenommen zu werden. So verkörpert Trump für seine Anhänger eine Authentizität, die sie in der Öffentlichkeit verloren zu haben glauben.
Trump: Symptom einer Krise
Dieses Bedürfnis nach Resonanz und Nähe entsteht auf zwei verschiedenen Ebenen, die beide mit Funktionen der „Repräsentation“ als Grundstruktur der Demokratie zu tun haben. Ab 2016 gewann Trump die meisten seiner Wähler über das Motiv einer Diskontinuität gegenüber den an den Elitehochschulen des Landes geformten Berufspolitikern, von denen sie sich – wohl zu Recht – nicht mehr verstanden und vertreten fühlen.
Der erste Auftritt der zweifellos hochqualifizierten Kamala Harris als gewählte Vizepräsidentin im festlich-weissen Hosenanzug mag diesen Eindruck nur bestätigt haben. Für die hier einsetzende Frustration gibt es zahlreiche Anlässe, unter denen heute wohl die Asymmetrie zwischen den identitätspolitisch durchwirkten Diskursen der akademisch Gebildeten und den eher harten Klassenerfahrungen (wirtschaftliche Nachteile, soziale Hierarchien) der Bürger ohne College-Abschluss im Vordergrund steht.
Den kollektiven Eindruck, nicht vertreten zu sein, hat die fortschreitende Dominanz elektronischer Kommunikation im Alltag nur weiter intensiviert. Statt neue Möglichkeiten der Teilnahme an öffentlichen Debatten zu erschliessen, wie man während der kurzen Phase der „Piratenparteien“ in Europa meinte erhoffen zu dürfen, haben sich in der Welt der Handys, Laptops und Suchmaschinen ungeahnte Distanz, Kälte, Isolierung und Einsamkeit zum Kern einer neuen Lebensform zusammengeschlossen. Hyperkommunikation bringt mehr Freiheit, mehr Kontingenz und mehr Alltagskomplexität um den Preis eines Rückgangs von Präsenz und Wärme hervor, und auch diese Lücke hatte der, nennen wir ihn eben mal so – politische – Stil von Donald Trump gefüllt.
Fast die Hälfte der amerikanischen Bürger fühlt sich in der Öffentlichkeit als Raum der Repräsentation nicht mehr zu Hause, was erklärt, warum sie zögern, ihre Bedürfnisse und Präferenzen offenzulegen – und damit die klassisch-empirischen Umfragen unzuverlässig machen. Vielleicht steht dasselbe Misstrauen gegenüber der Repräsentation ja auch hinter einer neuen Faszination für Familienstrukturen als Strukturen der Politik. Nach den Kennedys der sechziger Jahre haben nun auch die Bushs und die Clintons Erinnerungen an monarchische Genealogien geweckt, die Donald Trump mühelos reaktivieren konnte.
Zu Recht überzeugt von der Unersetzlichkeit des Prinzips der Gewaltenteilung, tendieren Intellektuelle in Krisenzeiten dazu, an den klassischen Formen der parlamentarischen Demokratie als einer Art Orthodoxie festzuhalten. Diese Position sollten wir nicht aufgeben, weil gerade Probleme der Repräsentationsstrukturen – seit der Implosion der römischen Republik ins Kaiserreich – immer wieder zu Phasen der Diktatur geführt haben. Doch Verfassungskonservativismus allein hilft nicht weiter – und noch weniger der kurzsichtige Vorschlag, die Zahl der Richter am Supreme Court zu erhöhen, um politische Gleichheit in einem auf juristischer Rationalität fundierten Gremium herzustellen.
Kritisches – und selbstkritisches – Denken muss sich dagegen an der Frage üben, welche neuen institutionellen Formen zu einem breiten Vertrauen in die Wirksamkeit der Repräsentation zurückführen können. Diese Frage ist umso dringender, als derzeit niemand überzeugende Antworten parat hat. Dabei ist klar: Der Entschluss, nicht allein gebildete Mitbürger zu hören und politisch ernst zu nehmen, wäre der praktische Anfang einer solchen Antwort für die Regierung von Joe Biden und Kamala Harris.
ist der Albert Guérard Professor in Literature, Emeritus, an der Stanford University. Eben erschien bei Reclam seine Übersetzung des «Oráculo manual» von Baltasar Gracián und bei Suhrkamp die deutsche Übersetzung von „Prosa der Welt“ – Denis Diderot und die Peripherie der Aufklärung“.
19.Nov..2020, 07:29
Nicht nur Latinos und Schwarze haben bei der Präsidentschaftswahl 2020 häufiger für die Republikaner gestimmt als noch 2016. Auch Muslime, erzählt Erum Salam im Guardian. Nach einer Umfrage von Associated Press waren es 35 Prozent. Die Motive sind, wie immer, vielfältig. Eins davon: die Ablehnung von Abtreibung und Homosexualität. „Auch nach der Ernennung von Amy Coney Barrett zur Richterin am Obersten Gerichtshof ist Abtreibung ein heißes Thema und eine Schlüsselfrage für gläubige Wähler. Annette Khan schreibt ihre sozialkonservativen Ansichten zu Abtreibung und Sexualität auch ihrem Glauben zu und sieht sie in der republikanischen Partei unter Trump widergespiegelt. ‚Die Republikanische Partei ist gegen Abtreibung und gegen die Homo-Ehe, was ehrlich gesagt ein Widerspruch in sich ist. Denn die Homo-Ehe gibt es nicht für konservative und fundamentalistische Gläubige, seien sie Christen, Juden oder Muslime. Dies steht im Einklang mit dem islamischen Glauben‘, sagte sie.“
Manuel Harden