Die Ausstellung versammelt etwa dreißig Werke von zwanzig Künstlern, darunter fünf Installationen und eine Video-Arbeit. Das mag angesichts des allenthalben blühenden Installationswesens konventionell erscheinen, ist aber ein getreues Abbild jener lokalen Künstlerszenen, von denen der Kunstmarkt nur wenig Notiz nimmt. Auf den ersten Blick auffällig ist das ästhetische Übergewicht der Fotografie. Obwohl nur sechs der gezeigten Arbeiten im strengen Sinn fotografisch sind, rücken sie sofort ins Zentrum der Wahrnehmung.
Ulrich Heemann stellt das Bild einer kauernden Frau auf einem Tragegestell neben die Aufnahme einer toten Robbe. Die Frau scheint mit dem Bildhintergrund, die Robbe mit dem Sandstrand zu verschmelzen.
Franziska Rutishausers Fotoserie zeigt einen Baumstumpf, aus dem ein Schwall weißer Flüssigkeit austritt wie Blut. Andrea Sunder-Plassmann hat sich selbst mit einer Plattenkamera in Langzeitbelichtung aufgenommen, so dass die Bewegungen des Kopfes und der Augenlider ihr Gesicht auf dem Abzug zur Maske erstarren lassen.
Der Tod, suggerieren diese Bilder, ist der kurze Triumph der Form vor ihrer Auflösung, der Augenblick ihrer höchsten Sichtbarkeit.
[2]Bei Catrin Wechler [3] ist der Auflösungsprozess schon im Gang, ihre verfremdeten Aufnahmen von Körpern auf einer Wasserrutsche rasen auf langen Stoffbahnen in die Unschärfe des Nichtseins. In Ute Fabers Installation ist aus der Bewegung ein Häuflein schwarzer Asche geworden. „Will I be missed“, steht darüber in blauer Neonschrift.
Ein Fragezeichen fehlt; der Satz wirkt dadurch noch stärker, bohrender, wie ein Appell.
In Themenausstellungen hängt das Unvereinbare scheinbar versöhnt nebeneinander: eine filigrane Bleistiftzeichnung neben einer groben Ölskizze; eine gemalte Pietà neben einem Setzkasten mit fauvistischen Holzfiguren. Gerda Berger liest aus ihrem Schüttbild aus Tusche und Motoröl ein Porträt der trojanischen Königin Hekabe heraus, Susanne Knaack entdeckt in der Gemengelage schwarzer und weißer Acrylfarbmassen auf der Leinwand einen Totenkopf und nennt ihr Werk deshalb „Memento Mori“. Zuletzt findet man sich doch abermals vor einem Figurengemälde wieder, dem einzigen in der Ausstellung.
[4]Michael Augustinskis „Totenwache für C. Pauly“ entstand erst vierzig Jahre nach dem Tod der Malerin und Schriftstellerin Charlotte Pauly, versammelt aber mit dem Knochenmann, dem Musiker und der Jungfrau noch einmal ein Trio expressionistischer Ikonen um den Leichnam im Bildzentrum. Die 1886 geborene Künstlerin, an die so erinnert wird, reicht mit ihrer Biographie in die Blütezeit des Berliner Künstlervereins hinein, als Adolph Menzel, Anton von Werner, Max Liebermann und Walter Leistikow zu seinen Mitgliedern zählten; später kamen noch Heinrich Zille, Hans Baluschek, Georg Kolbe und Emil Orlik hinzu. Das ist lange her, aber der Verein hat sich, trotz verminderter Bedeutung, seine Eigenständigkeit als künstlerisches Forum bewahrt. Das sieht man auch hier.
Tod – Berliner Künstlerverein – bis 29. November 2020