Die Kommentarspalten beherrscht diesmal ein einziges Thema: die Störaktionen im Bundestag während der Beratungen zum Infektionsschutzgesetz durch Besucher von AfD-Abgeordneten.

 

 

Der WESER-KURIER beschreibt die Geschehnisse genauer: „Ein Minister, der auf dem Weg in den Plenarsaal gefilmt und mehrfach angepöbelt wird. Mehrere Bundestagsabgeordnete, die ebenfalls auf diese Weise vorgeführt werden, Mitarbeiter von Abgeordneten, die sich sogar in ihren Büros einschließen, um nicht bedrängt zu werden. Und eine Partei, die sich ahnungslos gibt, sich aber zumindest in Teilen klammheimlich freuen dürfte über die Provokation, die durch die Aktion der vier Störer erzeugt wurde. Demokratie muss wehrhaft bleiben, das ist kein hohler Satz aus Feiertagsreden. Die Vorfälle im Bundestag müssen empfindliche Konsequenzen haben“, fordert der WESER-KURIER, der in Bremen erscheint.

Klare Worte wählt auch die PASSAUER NEUE PRESSE: „Frech, ungehobelt und primitiv: So haben sich jene Besucher des Bundestags verhalten, die auf Einladung von AfD-Abgeordneten die Gänge des Hohen Hauses unsicher machten. Sie führten sich auf, als ob sie hier das Sagen hätten und versuchten, einzelne Politiker zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zu nötigen. Das ist nicht nur ein justiziabler Vorgang, sondern eine absichtsvolle Verhöhnung des Parlaments und der freiheitlichen Demokratie“, urteilt die PASSAUER NEUE PRESSE.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU geht näher auf die Rolle der AfD ein: „Bislang war die AfD der parlamentarische Arm der Rechtsradikalen im halböffentlichen Sumpf des politischen Geschehens. Seit Mittwoch ist das anders: Drei AfD-Abgeordnete haben vier Demokratiegegnerinnen und -gegnern die Tür zum Bundestag geöffnet. Damit ist eine neue Grenze der Toleranz gefallen, ein neues Tabu gebrochen. Der Vorfall im Reichstag muss darauf untersucht werden, ob die Ausstellung eines Besucherausweises nur der Deckmantel für die Anstiftung zu Beleidigung und Bedrängnis war. Es braucht ein strafrechtliches Zeichen gegen diese perfide Methode“, betont die FRANKFURTER RUNDSCHAU.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beobachtet: „Die AfD-Fraktionsführung bedauerte die Vorfälle mit der ihr üblichen Unschuldsmiene. Die Fraktion habe nie Gäste mit dem Ziel eingeladen, das Parlament zu stören und Abgeordnete zu behindern. Wirklich? Vielleicht nicht im AfD-Milieu, aber im Rest der Welt sind die Gäste bekannt für ihre üblen Manieren. Bedarf es noch eines weiteren Beweises für die Täuschungsmanöver der Fraktion?“, überlegt die F.A.Z..

Die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG fühlt sich an die – Zitat – „widerlichsten Zeiten deutscher Parlamentsgeschichte“ erinnert: „Wer so agiert, legt absichtlich die Axt an die Wurzeln des Parlamentarismus und offenbart, wie gleichgültig ihm als Abgeordneter das demokratische System ist. Und damit auch das Grundgesetz. Der will ans Eingemachte. Und wenn Teile der AfD-Führung erneut so tun, als ob man vorher von nichts gewusst habe, so muss man entgegenhalten: Schon seit Tagen kursierten in Chat-Gruppen unter Beteiligung von AfD-Leuten Ankündigungen, dass das geschehen würde, was am Mittwoch geschehen ist“, ruft die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG in Erinnerung.

Dass es Hinweise auf mögliche Störaktionen gab, nimmt auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf: „Auch deshalb wurde die Regel, dass jeder Abgeordnete mehrere Personen unangemeldet als Besucher mit ins Reichstagsgebäude nehmen darf, aufgehoben. Die Störer feiern es als Erfolg, dass es ihnen trotz dieser verschärften Sicherheitsvorkehrungen gelungen ist, ins Parlament vor- und sogar einzudringen. Zugleich offenbart sich damit ein Dilemma. Es ist einerseits unstrittig, dass Politiker vor Angriffen geschützt werden müssen. Aber andererseits: Wie viel Abschottung der Volksvertreter vor dem Volk verträgt eine offene, liberale Demokratie?“, wägt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ab.

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG ist entschieden: „Wenn freigewählte Parlamentarier in ihrer Arbeit bedrängt, beleidigt, genötigt werden, dann muss das spürbare Konsequenzen haben. Man stelle sich nur einmal vor, solche Einschüchterungen fänden vor Wahllokalen statt. Welcher Bürger, welche Bürgerin könnte dann noch wirklich frei seine, ihre Stimme abgeben? Nach den indiskutablen Vorgängen im Bundestag gilt erst recht: Wehret den Anfängen!“, unterstreicht die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg.

Die BERLINER ZEITUNG erkennt einen – Zitat „neuen Grad der Demokratieverachtung“ bei der AfD, gibt aber zu Bedenken: „Gleichzeitig offenbart sich damit das Dilemma, das mit der Fraktion ganz rechts außen in den Bundestag eingezogen ist. Denn den übrigen Abgeordneten bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie ignorieren die AfD und lassen sie somit gewähren, wenn sie ihre Demokratiefeindlichkeit vor sich herträgt. Oder sie halten dagegen – und bieten der Partei eine Plattform, sich als Opfer darzustellen. Leider ist zu befürchten, dass Letzteres auch dieses Mal geschehen wird, obwohl oder gerade weil der Ältestenrat im Bundestag Konsequenzen angedroht hat“, heißt es in der BERLINER ZEITUNG.

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz kann dem Ganzen auch etwas Gutes abgewinnen: „Es eröffnet der schweigenden Mehrheit einen Einblick, was sich da zusammenbraut, unter der Klammer „Coronamaßnahmen-Kritiker“. Es ist ein großer Unterschied zwischen berechtigter Kritik und geradezu demokratiezersetzender Verächtlichmachung. In diesen Pandemie-Zeiten ist es nicht angebracht, selbst in großer Zahl auf die Straße zu gehen und deutlich zu machen, wer tatsächlich die Mehrheit stellt in diesem Land. Aber seine Stimme erheben gegen derlei Angriffe auf die Demokratie und ihre Repräsentanten – zumindest das muss man“, fordert die ALLGEMEINE ZEITUNG.

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG ist der Meinung: „Schlimmer als die Tatsache, dass es eine politische Kraft in Deutschland wagt, Nazidenkweisen zu huldigen und Andersdenkende einzuschüchtern, ist die Tatsache, dass sie überhaupt von einem doch beträchtlichen Teil der Bevölkerung gewählt wird. Wer sein Kreuz bei dieser Partei macht, der leistet einen Beitrag zur Zerstörung des demokratischen Zusammenhalts in diesem Land. Möglicherweise trägt der bewusst herbeigeführte Eklat vom Mittwoch dazu bei, dass mehr Menschen verstehen, worauf sie sich hier eingelassen haben. Der natürliche demokratische Reflex müsste jedoch darin bestehen, die AfD bei der nächsten Wahl einfach durchfallen zu lassen“, findet die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg.

Wenig hoffnungsvoll klingt der KÖLNER STADT-ANZEIGER: „Wer sich die Menschen, die in Berlin gegen das Infektionsschutzgesetz protestierten, angesehen und ihre Bereitschaft erlebt hat, auch den größten Unsinn zu glauben, dem kann Angst und Bange werden. Es sind normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die morgens Corona-Diktatur brüllen und abends zurück in ihr Reihenhäuschen fahren. Es deutet sich damit auch in Deutschland eine Entwicklung an, die in den USA schon lange zu beobachten ist. Fakten spielen in der politischen Auseinandersetzung keine Rolle mehr. Aus Diskurs wird Dauerempörung, aus politischen Gegnern werden Feinde. Am Ende steht die Spaltung der Gesellschaft“, konstatiert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.

Nov. 2020 | Heidelberg, Allgemein, Junge Rundschau, Politik, Senioren | Kommentieren