Wahrlich, wie Trump sich – dreist und dumm zumal – direkt in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland einmischt, das ist nicht zu fassen – und nicht hinnehmbar. Mit unverfrorenen Lügen, die sich lesen, als kämen sie direkt von Pegida oder anderen Dumpfbacken. „Das deutsche Volk wendet sich gegen seine Führung“, twitterte Trump hämisch und log, „die Kriminalität in Deutschland steige steil an. Ein großer Fehler überall in Europa, wo man Millionen Menschen hereingelassen hat, die die Kultur so stark und gewaltsam verändert haben.“
Anfang Mai hatte Horst Seehofer, der Schönrechnerei in diesem Bereich eher unverdächtig, die neueste Kriminalstatistik vorgelegt. Sie belegt, dass die Zahl der erfassten Straftaten in Deutschland auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken ist.
Doch der Fake-News-King im Weißen Haus legte noch einmal nach. „Die Kriminalität in Deutschland ist um zehn Prozent gestiegen, seit Migranten akzeptiert wurden“, erfand Trump und fantasierte im Stil von Verschwörungstheoretikern: „Die Behörden wollen diese Verbrechen nicht erfassen. In anderen Ländern ist es noch schlimmer. Sei smart, Amerika!“

Und was sagt die Bundeskanzlerin dazu? Mehr oder weniger gar nichts. Sie verwies lediglich lahm auf die Kriminalitätsstatistik. Die spreche für sich. Nein, das tut sie eben nicht. Angela Merkel hätte sprechen müssen, laut und deutlich. Warum verbittet sich die Kanzlerin nicht die Unverschämtheit eines anderen Regierungschefs, schadenfroh über ihren Sturz zu spekulieren? Warum sagt sie nicht geradeheraus, dass Trumps Tweets zu dem Thema allesamt Lügen und Erfindungen sind? Und warum lässt sie nicht den US-Botschafter Richard Grenell einbestellen? Der fanatische Trump-Anhänger hat sich in Interviews zuvor ähnlich provozierend in die deutsche Innenpolitik eingemischt wie sein Chef. Warum sagt ihm niemand, dass er sich gefälligst einen neuen Job suchen möge, wenn das so weitergeht?

Das Auswärtige Amt schwieg vornehm

So blieb es dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker überlassen, das zu sagen, was Merkel hätte sagen müssen: „Diese massive Einmischung in deutsche Innenpolitik muss man in aller Schärfe zurückweisen. Herr Trump mag die USA regieren, er regiert nicht Europa.“
Jetzt müsste auch dem Letzten im Berliner Regierungsviertel klar geworden sein, mit wem wir es hier zu tun haben. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten ist nicht Europas Freund. Er ist auch nicht Europas Partner. Er ist Europas Feind. Ein erbitterter Gegner und Ultra-Nationalist, den Außenpolitik nur interessiert, wenn er sich wie ein Imperator in Szene setzen kann.
Bei dem grotesken Gipfel mit Kim Jong Un führte Trump noch einmal der ganzen Welt vor Augen, um wie viel besser er sich mit Diktatoren versteht als mit der deutschen Kanzlerin, der er während ihres Antrittsbesuchs minutenlang den Handschlag verweigerte. Über den stalinistischen Despoten sagte er dagegen allen Ernstes, der sei „klug“, „lustig“, „sehr talentiert“ und „er liebt sein Volk“. Das dürften die geschätzt 200.000 Nordkoreaner, die Kim in grausamen Arbeitslagern foltern und versklaven lässt, etwas anders sehen.

Haltung, bitte!

Machen wir uns nichts vor: Die deutsch-amerikanische Freundschaft, jahrzehntelang Garant für Frieden und Freiheit, ist längst nur noch eine Farce. Das transatlantische Bündnis liegt in Trümmern, G7 ist ebenfalls Geschichte – und niemand weiß, wie lange es die NATO in ihrer jetzigen Form noch gibt. Uns und die von Trump und seinen Lakaien geführten USA verbindet politisch kaum noch etwas. Gemeinsame Werte und Ideale? Das war einmal.
Der mächtigste Mann der Welt hat mit seinen Lügen und seiner Hetze sein eigenes Land tief gespalten und das innenpolitische Klima der USA auf viele Jahre vergiftet. Wir müssen uns von ihm abwenden und nicht länger so tun, als sei sein Land unser Verbündeter.

Klare Worte sind gefragt – und Taten

Kann sich dieser Präsident noch Hoffnungen auf eine Wiederwahl machen? Außerhalb der USA wollen das viele nicht glauben. Präsident nämlich wird nicht, wer die Mehrheit der amerikanischen Bürger hinter sich weiß. Vermeintliche Belege dafür jedenfalls, dass Donald Trump nie und nimmer wiedergewählt werden könne, gibt es zuhauf. Das Problem aber ist: All das ist Wunschdenken. Von einer Mehrheit der Deutschen, das ja sowieso, aber auch von vielen anderen zivilisierten Demokraten auf der ganzen Welt. Ja sogar von der Mehrheit der US-Amerikaner.

Das muss Trumps Ende sein

Jetzt gerade ist man sich mal wieder furchtbar einig: Das, was in den vergangenen Wochen geschehen ist, ist Trumps Ende. Es muss Trumps Ende sein! Hier nur kurz die absoluten Tiefpunkte seines jüngsten Versagens: Statt früh, entschieden und angemessen auf die Corona-Pandemie zu reagieren, hat Trump das Virus erst geleugnet und dann als laues Schnüpfchen verniedlicht.

„Es gibt 15 Infizierte, und diese 15 werden in ein paar Tagen nahe null sein“, erklärte er am 26. Februar. Heute sind es rund zwei Millionen Infizierte. Am 9. März twitterte er, dass im vergangenen Jahr 37.000 Amerikaner an der gewöhnlichen Grippe gestorben seien. Nichts sei deshalb stillgelegt worden. „Momentan gibt es 22 Tote. Denkt mal drüber nach!“, so der US-Präsident. Trump wollte Corona wegtwittern. Viel zu spät rang er sich ohne jede innere Überzeugung zu Kontaktsperren durch. Viel zu früh lockerte er sie wieder. Dass er auch noch dazu anregte, zum Schutz gegen das Virus Desinfektionsmittel zu trinken, wirkte da fast schon harmlos.

Die USA haben die wohl schlechteste Corona-Bilanz der Welt. Dass inzwischen rund 40 Millionen Amerikaner ihren Job verloren haben, gehört auch dazu. Die am schlimmsten vom Virus betroffene Bevölkerungsgruppe sind übrigens die Schwarzen: Sowohl was die Zahl der Arbeitslosen betrifft, als auch die Zahl der Todesopfer.

Ohne jede Empathie beim Tod von George Floyd

Und dann reagierte Trump auf den Mord an George Floyd, begangen von vier weißen Polizisten, ohne jede Empathie. Dass am Rande der Proteste ein paar Menschen gewaltsam wurden, schien den Präsidenten weit mehr zu interessieren als die Verzweiflung von Millionen Mitbürgern über rassistisch motivierte Polizeigewalt oder die Trauer über den Tod eines Menschen.

Vorige Woche missbrauchte Trump George Floyd dann sogar, um sich selbst und eine winzige Trendwende am Arbeitsmarkt zu feiern. „Hoffentlich sieht George jetzt zu von da oben und sagt sich: Das ist eine tolle Sache, die unserem Land widerfährt“, erklärte der Präsident und fügte hinzu: „Das ist ein toller Tag für ihn!“ Von allen moralischen Bankrotterklärungen Donald Trumps war dies eine der verstörendsten.

Aktiv in den Swing States

Wie also ist es um Himmels Willen überhaupt denkbar, dass ein solcher Mann wiedergewählt wird? Als Präsident der immer noch stärksten Demokratie der Welt? Man muss an dieser Stelle noch mal kurz an Folgendes erinnern: Präsident wird nicht, wer die Mehrheit der amerikanischen Bürger hinter sich weiß. Ginge es darum, wäre Trump nie Präsident geworden. Entscheidend sind aufgrund des sehr speziellen Wahlrechts in Amerika einige wenige Staaten, die sogenannten Swing States. Und dort ist Trump sehr aktiv.

Dann ist es keineswegs so, dass die bisherigen Unterstützer Trumps ihm in großem Stil den Rücken gekehrt hätten. Dafür ist seine Propaganda, die kaltschnäuzige Umdeutung von Fakten zu seinen Gunsten, zu erfolgreich. Trump hat die Kommunikation über politische Vorgänge schon jetzt massiv verändert. Insofern geht die alte Rechnung nicht mehr auf, wonach Fakten, die gegen einen sprechen, auch wirklich gegen einen sprechen.

Nicht auf Umfragen vertrauen

Auch auf Umfragen, die Trumps demokratischen Konkurrenten Joe Biden vorne sehen, sollte man nicht allzu sehr vertrauen. Im Jahr 2015 sahen alle Umfragen Trumps Konkurrentin Hillary Clinton klar vorne – auch in den entscheidenden Swing States. Noch am Wahltag im November 2016 sah die „New York Times“, auf Grundlage aller demoskopischen Daten, die Chancen Trumps, Präsident zu werden, bei rund einem Prozent. All diese Fehleinschätzungen könnten auch jetzt wieder aktuell sein.

Zudem zeichnet sich ab, dass Trumps Gegenspieler Joe Biden keine Idealbesetzung ist. Biden ist ein kontrollierter, bedächtiger Mann. Aber das hohe Alter macht sich bei ihm deutlicher bemerkbar als beim ebenfalls betagten Donald Trump. Mit seiner Ruchlosigkeit und Brutalität könnte Trump Biden in den großen TV-Duellen an seine Grenzen bringen – so wie er bislang noch jeden Konkurrenten der Lächerlichkeit preisgegeben hat.

Natürlich kann alles auch ganz anders kommen, und Trump geht im November mit jenem desaströsen Wahlergebnis nach Hause, das er verdient. Man sollte nur eben nicht fest darauf vertrauen.

Okt. 2020 | Allgemein | Kommentieren