Auf der einen Seite herrscht bei vielen fassungsloses Unverständnis darüber, dass es in Muckibuden unter Auflagen erlaubt ist zu schwitzen, nicht aber bei Tanz und Wein. Und auf der anderen Seite? Selbstgerechtes Aufatmen bei Söder und Co. – endlich wird in Sodom und Gomorra aufgeräumt.

Doch die Problematisierung von Partys ist scheinheilig, wenn man nicht auch die Arbeitsbedingungen in großen Lagerhallen oder Schlachthäusern reglementiert. Der Fokus auf das Nachtleben in der Corona-Bekämpfung – ob in Berlin, München oder Hamburg – offenbart, was in den letzten Monaten schon zu beobachten war: Vorhandene Vorurteile werden verstärkt, Ängste werden projiziert. Schuld an der Infektion sind immer die Anderen.

Die Schuld wird gerne denen zugeschrieben, die auch sonst Ressentiments ausgesetzt sind. Entweder es sind die Großfamilien, die zu einer Beerdigung laden, oder der Wanderarbeiter, der das Virus einschleppt, wie Armin Laschet dreist behauptete. Jetzt ist es eben wieder die feierfreudige Hauptstadt, die von der CSU als eine Gefahr für das ganze Land dargestellt wird. Sie galt bei Konservativen und Neurechten ja immer schon als linksgrünversiffter failed state.

Der Rückzug ins Private, ins Brave der vergangenen Monate hat der gesellschaftlichen Mitte auffällig gut gefallen: kein Exzess, nichts Verbotenes, keine Gefahren, bitte alles übersichtlich halten. Lieber Sicherheit als Freiheit. Im Zweifel für die Lustfeindlichkeit.

Party gilt in der Leistungsgesellschaft als hedonistisches Pfui-Pfui.

Doch so leicht kann man die Schuld für die steigenden Infektionszahlen nicht auf die Partyszene schieben. Das Gesundheitsamt in Berlin Reinickendorf sagt, die Raves in Parks zumindest hätten keine Auswirkungen gehabt. Erhöhte Fallzahlen bei Jüngeren könnten theoretisch auch Lern- oder Bolzgruppen zuzuschreiben sein. Das Problem werden in den kommenden Wochen die Zusammenkünfte in Innenräumen sein, bei denen man sich nahe kommt. Doch das ist nicht nur die wilde WG-Party. Sondern auch der 80. Geburtstag von Opa Klaus, die Bibelstunde einer freien Kirche, die Doppelkopf-Runde. Immerhin sind auch diese Veranstaltungen künftig von den neuen Regeln betroffen. Doch eine Denunzierung wie in der B.Z., die die „Feierwütigen“ mit Foto auf dem Titel dafür anklagt, einfach weiter zu feiern, müssen die Kartenspieler eher nicht fürchten.

Verstöße gegen Abstandsregeln gab es in den vergangenen Monaten überall, aber nicht alle wurden gleichermaßen verurteilt. Die Wahlparty der Kölner SPD zum Beispiel, die kürzlich ohne Masken stattfand, hat es – im Gegensatz zur berüchtigten Schlauchbootparty an Pfingsten in Kreuzberg – nicht zur überregionalen Bekanntheit gebracht.

Hier zeigt sich: Party gilt in der Leistungsgesellschaft als hedonistisches Pfui-Pfui. Gleichzeitig wird in Fabriken oder auch in kleinen Büros unter Missachtung der Hygieneregeln fleißig weitergearbeitet. Arbeit ist eben wichtiger als Freizeit, zumindest wenn die mit vermeintlich sinnentleerter Freude zu tun hat.

Für die Kritiker der Partyszene gaben die vergangenen Monate in Berlin guten Stoff her, auch wenn das befürchtete Superspreader-Event ausblieb. Trotzdem: Nicht in allen Clubs blieb das Licht aus. Hier und da wurde im Stillen für den Freundeskreis geöffnet, der immer auch Kundenkreis ist. Um die Hauptstadt herum gab es fast jedes Wochenende mehrere Partys und kleine Festivals oder Zusammenkünfte, die sich als Campingausflug tarnten. Natürlich wollen die Betreiber auch nur irgendwie überleben.

Aber gibt es für die Konsumenten ein Recht auf Party? Der ein oder andere Philosoph sagt, zumindest auf Rausch und Ekstase. Die Lautesten in den sozialen Medien sagen, auf keinen Fall. Denn die Party gilt als unsinnig, weil sie keine Optimierung bringt – etwas, das der Feiernde hingegen sehr schätzt. Seit jeher ist der Konsum von Rauschmitteln ein Akt der Freiheit, aber eben auch eine sehr egoistische Handlung. Gibt der Mensch dabei doch mit Ansage Verantwortung ab, ignoriert seine Außenwirkung, verlangt vom Umfeld im Notfall als Lebensretter tätig zu werden. Und in einer Pandemie wird diese Selbstzentrierung noch mal sichtbarer.

Es bleibt das Gefühl, dass mit Verboten wie der Sperrstunde eine Sittenwacht einhergeht, die so tut, als könne sie entscheiden, welches Zusammentreffen genügend sinnstiftend ist, um nicht öffentlich verurteilt zu werden. Eine problematische Fingerzeigerei. Doch auf der anderen Seite: Man kann sich – zumindest eine Zeit lang – auch hervorragend zu viert betrinken.

Okt. 2020 | €uropa | Kommentieren