Rätsel entsteht, wo mit Nachdruck eine Intention darauf sich regt, ein Gebild oder einen Vorfall, der nichts Sonderbares oder schlechterdings überhaupt garnichts zu enthalten scheint, der symbolisch-bedeutenden Sphäre anzunähern.

 

Da nun im Kern des Symbols das Geheimnis steht, so wird man versuchen, jenem Gebild oder Vorfall eine »geheimnisvolle« Seite abzugewinnen. Dieser Versuch aber ist – gegenüber »profanen« Gegenständen in einem engern Sinn – verurteilt, sein Ziel nie zu erreichen. Wenn er deren geheimnisvolle Seite in einer Darstellung einzufangen sucht, welche sich auf sie als das Rätsel auf seine Lösung bezieht, so bricht der Schein des Geheimnisses nur solange nicht, als die Lösung aussteht. Er ist m. a. W., da die Lösung objektiv feststeht, nur subjektiv. Objektiv ist allein jene Intention auf das Geheimnis, das Unlösbare im Gebild oder Vorfall, welche zuletzt enttäuscht wird. Dennoch wird sie nicht ganz enttäuscht, sofern es für jenen subjektiven Schein des Geheimnisses von Gebild oder Vorfall allerdings doch zuletzt einen objektiven Grund gibt. Nur liegt der nicht darin, daß Gebild oder Vorfall Geheimnis wären, sondern darin, daß sie(,) wie alles Seiende, am Geheimnis Anteil haben, ein Anteil (,) der niemals beim (P)rofanen zu selbständiger Existenz zu bringen ist, sondern immer in Gebundenheit steht: im Rätsel an die Lösung – im Wort an die Bedeutung. Denn eben als Wort steht alles Seiende aus der symbolischen Kraft des Wortes im Stande des Geheimnisses, und das »Rätselwort« ist in einem für das Wesen des Rätsels konsti-

18 Fragmente vermischten Inhalts tutiven Doppelsinn nicht nur dessen Lösung, als Vereitelung(,) sondern Intention, (nämlich) zugleich auch deren Bedingung, deren Grundlage und die »Erlösung« der versteckten Intention aufs Unlösbare in ihm. Weil nämlich im Wort, welches als solches schon »Rätselwort« ist, ein symbolischer(,) jenseits des in ihm mitge-teilten gründender Kern, das Symbol einer Nicht-Mitteilbarkeit ruht. Lösen ließen sich daher viele Rätsel durch das bloße Bild, erlösen aber nur durch das Wort. – Vielleicht sind für diesen Sachverhalt bezeichnender als Rätsel, welche, wie Buchstabenrätsel, Homonymen, Silbenrätsel u. dgl. schon vom Worte im Bau der Aufgabe aus-gehen und die zum Teil wohl relativ jung sein mögen, solche(,) welche, wie Rätsel primitiver Völker stets oder oft, von Sachverhal-ten ausgehen, welche als solche noch nicht im Wort zu stehen brau-chen. Nach denen die Frage gelöst aber nur werden kann im Worte, das in seiner ganzen Unmittelbarkeit hereinbrechend umso kräfti-ger der versteckten Intention des Rätsels zur Erlösung verhilft. Geheimnis vermag (e) ben sich letzten Endes nur in Akten durch das Lebendige, das sie vollzieht, zu denken, nicht aber in Dingen. Woraus folgt, daß sich das Symbol, welches ein Geheimnis ist, nur in einem Akt aus dem Lebendigen, das vollzieht beruhend denken läßt. Diese(s) Lebendige ist immer Gott(.) Die Namengebung des Adam an die Tiere in der Genesis richtet sich gegen die mythische Auffassung des Namens als eines Rätsels, das zu raten aufgegeben wird, wie z. B. in der »Regentrude« von (Theodor) Storm und sonst in Märchen es vorkommt. Der jüdi-sche Name (der hebräische) ist ein Geheimnis. S. Wolfgang Schultz: Rätsel (aus dem hellenischen Kulturkreise. Gesammelt und bearbeitet19°9-1912)

Okt. 2020 | €uropa | Kommentieren