Text und Melodie des von Frierich Gundolf (1880-1935) geschaffenen Lieds war zunächst im aus der Jugendbewegung hervorgegangenen „Grauen Orden“ verbreitet, dessen Leiter Willi Graf später der Widerstandsgruppe (Weiße Rose) angehörte. Da es auch das Lieblingslied von (Bild) Sophie Scholl war, gilt es heute als das „Lied der Weißen Rose.

Schließ Aug und Ohr für eine Weil
vor dem Getös der Zeit.
Du heilst es nicht und du hast kein Heil
als wo dein Herz sich weiht.

Dein Amt ist Hüten, Harren, Sehen
In die Ewigkeit.
So bist du schon im Weltgeschehen

Befangen und befreit.
Die Stunde kommt da man dich braucht
Da sei du ganz bereit
und in das Feuer das verraucht
wirf dich als letztes Scheit.

„Schließ Aug und Ohr“ galt während der NS-Zeit als eine Art „Besinnungslied“ unter den verbotenen und damit illegalen Jugendgruppen. Der Text stammt von dem jüdischen Dichter und Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf, zu dessen Studenten 1921 pikanterweise auch der berüchtigte spätere NS-Propagandaminister Goebbels zählte, der Gundolf verehrt haben soll.

„So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.“ – Sophie Scholl am Tag ihrer Hinrichtung

Gundolf selbst gehörte – wie etwa auch Rainer Maria Rilke – zum Kreis um Stefan George, dessen Lyrik und Weltbild die Jugendbewegung stark beeinflussten. Gedruckt wurde das Lied erstmals in der Zeitschrift „Jugendland“ im Wolff-Verlag, fand seine größte Verbreitung dann aber durch die Aufnahme in das 1933 erschienene und überaus populäre Heft „Lieder der Südlegion“. Das Stück war abgehoben und „vergeistigt“, ja in Teilen vielleicht sogar esoterisch, was aber in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich und für den George-Kreis (und, wir haben es in den Gruppen der dj1. 11. – auch vorzeiten – in Heidelberg gesungen). Dies Lied galt auch als Lieblingslied des „Grauen Ordens“, dessen Leiter Willi Graf später der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ angehörte. Hier war es insbesondere Sophie Scholl, die „Schließ Aug und Ohr“ so populär machte, dass es schließlich als „Lied der Weißen Rose“ galt.

Entstehung

Friedrich Gundolf (1880–1931) schrieb das Gedicht noch während seiner schweren Krankheit bald vor seinem Tod. Gundolf (eigentlich Gundelfinger) war Dichter und Professor der Germanistik, über sein Fachgebiet hinaus bekannt vor allem durch seine Übersetzungen (u.a. mit Stefan George Shakespeare in deutscher Sprache, 10 Bände) und zahlreichen Abhandlungen zur deutschen Literatur. Er war Mitglied im Kreis um Stefan George (1868–1912), dem auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg angehörte. Über Veröffentlichungen und Vorträge prägte der George-Kreis Teile der Jugendbewegung in politischer und kultureller Hinsicht. Schließ Aug und Ohr ist entstanden unter dem Einfluss des Symbolisten und Neuromantikers Stefan George, mit dem Gundolf zeitweise eng befreundet war.

Erstmalig im Druck erschienen ist das Lied Anfang 1931 in der Zeitschrift Jugendland. Jungenblätter des Bundes. In bündischen Kreisen wurde Schließ Aug und Ohr als Lied populär, nachdem es der der Jugendbewegung nahestehende Verlag Günther Wolff, Plauen, 1933 im Heft Lieder der Süd-Legion herausbrachte. Die Melodie „musikalischer Nähe zum russischen Liedgut“ (www.museenkoeln.de) ist im Tahoe-Ring entstanden, der zum vor allem in Berlin aktiven Jungenbund Südlegion wurde. Ein Grund, weshalb in manchen nach 1945 erschienenen Liederbüchern als Urheber der Melodie mal Tahoe-Ring, mal Südlegion, mal beide Gruppierungen genannt werden. Die ebenfalls vorzufindende Nennung Alfred Zschiesches (1908–1992, Komponist einiger 100 Lieder der Jugendbewegung, u.a. Wenn die bunten Fahnen wehen) ist darauf zurückzuführen, dass Zschiesche eine eigene Melodie komponiert hat. Leicht variierende Weisen stammen von Karl Marx (1952) und Paul Becker (1951).

Rezeption 1933 bis 1945

Die Südlegion löste sich bereits 1934 offiziell auf, um der Eingliederung in die Hitler-Jugend zu entgehen. Heimlich und auf Auslandsfahrten wurde Schließ Aug und Ohr weiterhin gesungen. Handschriftliche Fassungen wurden im Geheimen weitergereicht, so z.B. bei der „Deutschen Jungenschaft“ in der Illegalität (1934-1945; erstes Verbot der bündischen Jugend 1934; neugefasste Verordnung 1938), die das Lied der Inneren Emigration für sich als Hymne gewählt hatte.

Verbot der Bündischen Jugend

Schließ Aug und Ohr

(www.museenkoeln.de)

Auffällig ist, dass das Lied bis etwa 1939 in keinem weiteren gedruckten Liederbuch auftaucht – weder in bündischen noch anderen Liederbüchern. Während der Nazizeit galt es als eine Art ‚Besinnungslied‘ unter den verbotenen Jugendgruppen. In NS-Liederbüchern war für solch ein Lied kein Platz, zumal Friedrich Gundolf aus einer jüdischen Familie stammte. Nach dem Verbot „bündischer Umtriebe“ hatte es keine Chance, in anderen Liederbüchern zu erscheinen. Um 1939 wagte es Günther Wollf, sogar nach dem Verbot seines Verlages 1938, erneut das Lied in Lieder der Süd-Legion mit dem Impressum „Günther Wolff i.V. Röderdruck, Leipzig“, herauszubringen (Archiv Schendel, www.deutscheslied.com). Und so wurde das Lied Ostern 1940 bei einer bündischen Jugendtagung in Altenberg (bei Köln) gesungen. Das Lied galt auch als Lieblingslied des aus der Jugendbewegung hervorgegangenen, 1938 verbotenen „Grauen Ordens“, dessen Leiter Willi Graf später der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ angehörte. Hier wiederum war es insbesondere das Schicksal Sophie Scholls, das dazu beigetragen hat, Schließ Aug und Ohr so populär zu machen, dass es schließlich als „Lied der Weißen Rose“ galt (vgl. www.museenkoeln.de).
Handschriftlicher Auszug aus einem zwischen 1936 und 1941 entstandenen Liederbuch

Der Autor

 

Friedrich Gundolf (Friedrich Leopold Gundelfinger), jüdischer Literaturwissenschaftler und Dichter, wird 1880 in Darmstadt geboren. Er schließt sich dem Kreis um Stefan George an und ist in Heidelberg seit 1916 Professor an der Universität. Wegen der Liebe zu Elisabeth Salomon wird sein enges Verhältnis zu Stefan George mehr und mehr belastet. Als Gundolf sie 1926 heiratet, bricht George jede Beziehung zu ihm ab und stürzt ihn in eine schwere Krise. Vergeblich versucht er in Briefen und Gedichten die Gunst des glühend verehrten «Meisters» wiederzuerlangen. 1927 erkrankt Gundolf schwer und muß sich einer Krebsoperation unterziehen. Er stirbt 1931 in Heidelberg. Obwohl der George-Kreis in mancher Hinsicht deutliche Berührungspunkte mit der nationalsozialistischen Ideologie hatte (vgl. die Texte des «Jahrbuchs für die geistige Bewegung»), werden 1933 Gundolfs Schriften von den Nazis verboten – weil er Jude war.

 

 

«… Es war das Eigentümliche der deutschen Situation seit der Judenbefreiung gewesen, daß, ganz im Gegensatz zu Frankreich und besonders England, das Judentum, soweit es schaffend oder eingreifend in deutscher Sprache vortrat, dies stets in fortschrittlichem, wenn nicht revolutionärem Sinne getan hatte. In dem Kreise, der sich um Stefan George im Laufe der 90er Jahre bildete, bot sich den Juden zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre konservativen Tendenzen in fruchtbare Beziehung zum Deutschtum zu setzen. Unter denen, welche Georges Lehre von der priesterlichen Sendung des Dichters, seinen Hinweis auf Nietzsche, Hölderlin, Jean Paul, auch auf katholisches Erbgut, aufnahmen und kommentierend bekräftigten, stehen als Juden an erster Stelle Karl Wolfskehl (geb. 1860) und Friedrich Gundolf (geb. 1880)…» (Walter Benjamin in: Encyclopaedia Judaica, Berlin 1928)

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Sep 2020 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Senioren | 2 Kommentare