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Österreich startet Nachtzug-Offensive in Europa

[1]Die österreichische Staatsbahn will 750 Millionen Euro in die Nightjet-Züge investieren. Aktuell fehlt es europaweit vor allem an modernen Schlaf- und Liegewagen.In den kommenden Jahren soll die Flotte mit einem Investitionsaufwand von insgesamt 750 Millionen Euro erneuert und kräftig aufgestockt werden.

Aus dem Klimazug von Berlin nach Brüssel ist bislang nichts geworden. Dabei hatten die vier Europa-Abgeordneten Hannah Neumann (Grüne), Hildegard Bentele (CDU), Gabriele Bischoff (SPD) und Martina Michels (Linke) schon im Herbst 2019 Bahnchef Richard Lutz, die Bundeskanzlerin und den Verkehrsminister aufgefordert, ein „starkes Signal für eine klimabewusste Ratspräsidentschaft 2020“ zu senden. Die Hoffnung der Parlamentarierinnen, dass ab Juli ein Nachtzug zwischen Berlin und Brüssel pendelt, wurde enttäuscht.

Das liegt nicht allein an dem mangelnden Willen des Bahnmanagements und der Politik. Ausgebremst werden derzeit die Nachtzugpläne aus einem anderen Grund: Es sind  nicht genügend Schlaf- und Liegewagen verfügbar. Jedenfalls keine, die den Qualitätsstandards eines EU-Abgeordneten oder gar eines Ministers genügen würden.

Immerhin: Es gibt einen Lichtblick.

Die österreichische Bundesbahn ÖBB, zurzeit einziger Hoffnungsträger der Nachtzug-Fraktion, will kräftig investieren. In den kommenden Jahren soll die Flotte mit einem Investitionsaufwand von insgesamt 750 Millionen Euro erneuert und kräftig aufgestockt werden.

Doch bis es so weit ist, müssen Enthusiasten warten. Vor dem Fahrplanwechsel im Dezember 2022 dürfte kein weiterer Schlafwagenzug auf die Strecke gehen. Siemens muss erst einmal die Züge liefern.

Gut 90 Prozent der Flotte sind im Besitz von Staatseisenbahnen und meist gebunden. Die schwedische Eisenbahn etwa fährt Nachtzüge bis hinauf zum norwegischen Erzhafen Narvik, eine 19-Stunden-Tour. Allein für diese Strecke brauchen die Schweden mindestens vier komplette Zuggarnituren. Eine große eigene Flotte betreibt noch die polnische Staatsbahn PKP.

Private Bahnfirmen haben laut SCI-Analyse den Staatsbahnen im Laufe der Jahre etwa 160 alte und meist abgeschriebene Waggons abgekauft, setzen die aber nur im buchungssicheren Saisonverkehr ein. Wie RDC, der ehemalige Betreiber des Hamburg-Köln-Expresses. RDC fährt seit Juli den neuen Alpen-Sylt-Express zwischen Westerland und Salzburg. Das Angebot besteht vorerst nur bis November.

Von Wien über München nach Paris

Neben RDC zählen zu den größeren Privatanbietern Regiojet aus Tschechien, Wagonservice aus der Slowakei, Euro-Express aus Deutschland und Snälltaget (Transdev) aus Schweden. Sie alle trauen sich jedoch nicht an dauerhafte Linienverkehre heran wie ÖBB.

Bahnfans und Politiker schwärmen mit Blick auf den Klimaschutz zwar von einer Renaissance der Nachtzüge, weil das Fliegen wegen der hohen Emissionen in Verruf ist. Doch Bahnexpertin Leenen dämpft die Erwartungen. „Die begrenzte Verfügbarkeit gebrauchter Wagen verhindert den kurzfristigen Einstieg von Wettbewerbern.“

Jetzt zeichnet sich ab 2023 eine – auch für Deutschland – interessante neue Verbindung ab

Von Wien über München nach Paris. Die ist ein persönlicher Wunsch des ÖBB-Chefs Andreas Matthä. „Man kann ja auch von Paris träumen“, sagte er dem Handelsblatt auf die Frage, welche neuen Nachtzüge die ÖBB in Planung habe. Die Chancen für eine solche Strecke stehen gut. Denn sowohl die Schweizer SBB als auch die französische Staatsbahn SNCF wollen den Nachtzugverkehr wieder forcieren.

Dabei spielt die ÖBB eine zentrale Rolle. Die Staatsbahn der Alpenrepublik ist bis heute das einzige Bahnunternehmen in Westeuropa, das Nachtzüge als „essenziellen Bestandteil unseres Mobilitätsangebots“ betrachtet, wie Matthä es formuliert.

Andere Bahnen müssen eher von der Politik dazu gedrängt werden. Paris beispielsweise knüpfte seine milliardenschwere Pandemiehilfe für die SNCF daran, dass die Staatseisenbahn neue Nachtlinien einrichtet.
Die ÖBB ist entschlossen, mit Rückendeckung der Wiener Regierung ihr aktuell 16 Linien umfassendes Netz auszubauen. 2019 hat die Staatsbahn rund 1,5 Millionen Fahrgäste in ihren Nachtzügen gezählt, ein Rekord. Aber es fuhren 36 Millionen Kunden im Fernverkehr. Schlafzüge, das ist auch der ÖBB klar, sind eine Nische.

Das Jugendherbergsfeeling im Sechser-Liegewagen ist out.

In diesen Corona-Tagen sind die Nightjets aber das Angebot der Wahl. Laut ÖBB liegt die Auslastung jetzt schon wieder bei 90 Prozent des Niveaus aus Vor-Corona-Zeiten. Im normalen Fernverkehr berichten ÖBB wie auch DB nur von 50 bis 60 Prozent. Nach dem Shutdown seien die Nachtzüge das Produkt, das am schnellsten zurückgekommen sei, heißt es. Kunden wüssten die Privatsphäre eines Schlafwagenabteils zu schätzen.

Auch deshalb wird es in den völlig neu konzipierten Nightjets von Siemens künftig komfortable Schlafwagenabteile mit Dusche und Toilette sowie Mini-Suites vergleichbar japanischen Kapselhotels geben. Das Jugendherbergsfeeling im Sechser-Liegewagen ist out.

Wirtschaftlich sind diese Abteile eher von Nachteil

Bei einer reinen Einzelbuchung würden nur zwölf Fahrgäste einen einzigen Schlafwagen nutzen. Aber selbst bei Mehrfachbelegung der Abteile gibt es einen gravierenden Unterschied zu Tageszügen. Schlaf- und Liegewagenzüge können allenfalls die Hälfte der Passagiere eines Intercity transportieren, stehen den halben Tag ungenutzt herum. Dazu kommt ein personalaufwendiger Hotelbetrieb, Versorgung der Gäste, Betten wechseln. Das alles kostet Geld.

Deutsche Bahn ist ausgestiegen

Die meisten europäischen Bahngesellschaften haben sich aus diesem Grunde aus dem Geschäft zurückgezogen oder das Angebot stark reduziert, 2016 fuhr der letzte City Night Liner der Deutschen Bahn. Die machte zuletzt zwar 90 Millionen Euro Umsatz mit Schlafwagenzügen, aber eben auch 30 Millionen Euro Verlust. Einen Teil der Strecken hat die ÖBB übernommen, ebenso einige der Fahrzeuge.

Nach Angaben des Unternehmens fuhr der Nightjet im vergangenen Jahr erstmals „knapp kostendeckend“. Reich, sagt ÖBB-Chef Matthä immer, könne man mit Nachtzügen nicht werden. Aber die ÖBB macht mittlerweile gut ein Fünftel des Umsatzes im Fernverkehr mit Nachtzügen.

Die Deutsche Bahn hat keine Ambitionen, selbst wieder ins Geschäft einzusteigen. Allenfalls in Zusammenarbeit mit der ÖBB. Der Bundesverkehrsminister zeigt sich zwar „prinzipiell offen“, drängt das Staatsunternehmen aber nicht. Zurzeit heißt es bei der Bahn nur, man sei in Gesprächen.

Die ÖBB ist mit derzeit 160 Schlaf- und Liegewagen in vielen Nachbarländern unterwegs und komplett ausgelastet. Mit Zürich-Berlin und Zürich-Hamburg gibt es inzwischen auch Linien, die österreichisches Staatsgebiet nicht mehr tangieren. Anfangs wollte die ÖBB nur Linien fahren, die den touristischen Interessen der Alpenrepublik dienen. Doch inzwischen hat das Management Gefallen daran gefunden, den Systemführer für Nachtverkehr in Europa zu spielen.

ÖBB-Chef Matthä muss ernsthafte Konkurrenz zwar vorerst nicht fürchten

Aber er muss aufpassen, dass ihm private Anbieter keine lukrativen Strecken wegschnappen. Deshalb investiert der Bahnchef kräftig. 13 neue Züge (ohne Lokomotiven) sind schon bei Siemens für 250 Millionen Euro bestellt, Auslieferung ab 2022. Und 20 weitere Züge – jeweils sieben Wagen plus Lokomotive – sind von der österreichischen Regierung genehmigt.

Dann wären weitere bis zu 500 Millionen Euro fällig. Es muss noch der ÖBB-Aufsichtsrat zustimmen. Insgesamt wäre das eine Flotte von 231 neuen Schlaf- und Liegewagen.

Das gewaltige Investment will gut überlegt sein: Die ÖBB versichert, dass sie den Kauf aus eigenen Mitteln finanzieren will. Und er wird sich rechnen, ist das Unternehmen überzeugt. Erst recht, wenn es eine europäische Lösung gibt. Aus dem milliardenschweren Green Deal der EU könnte etwas für ein europaweites Schlafwagennetz abfallen. Die Unterstützung der vier Abgeordneten aus Berlin dürfte sicher sein.