Trump versucht, seine drohende Abwahl mit Lügen und gefährlichen konstitutionellen Tricks zu verhindern. Auch so mancher Republikaner hofft auf klaren Sieg Joe Bidens.
Zwei Tage nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten schrieb Masha Gessen in der New York Review of Books, er sei der erste Kandidat, der nicht die Präsidentschaft anstrebte, sondern die Autokratie. Warnend setzte sie hinzu: „Lasst euch nicht durch kleine Anzeichen der Normalität täuschen.“ Jetzt hat die Autorin – eine einflussreiche Intellektuelle, die eine Biografie Putins geschrieben hat – in ihrem neuen Buch Surviving Autocracy die Warnung wiederholt: Trump wolle einen „autoritären Mafiastaat“ errichten.
Gessen mag die Widerstandsfähigkeit und die Resilienz der amerikanischen Institutionen unterschätzen (so hat der Supreme Court, den Trump mit Juristen aus seinem intellektuellen Gefolge vollgepackt hat, ihm jüngst mehrere Urteile vorgesetzt, die ihn in Zorn ausbrechen ließen). Aber auch andere warnen vor den autokratischen Instinkten des fünfundvierzigsten US-Präsidenten. Sein – durchaus umstrittener – früherer Sicherheitsberater John Bolton wirft ihm in seinen am 14. August auf Deutsch erscheinenden Memoiren – Der Raum, in dem alles geschah, Inkompetenz und Überforderung vor; er dürfe keine zweite Amtszeit bekommen: Nicht anders urteilt seine Nichte Mary Trump in ihrem Enthüllungsbuch Too much and Never Enough; sie nennt ihren Onkel „den gefährlichsten Mann der Welt“. In der New York Times wird er als ein „instinktmäßiger Faschist, ein Möchtegern-Autokrat“ bezeichnet. Doch beruhigt das Blatt seine Leser: „Nach fast vier Jahren an der Macht hat er sich als unfähig erwiesen … Die Amerikaner haben beschlossen, ihn loszuwerden.“
Wahlen sind primär Abstimmungen über die Amtsinhaber
Nach der jüngsten Entwicklung möchte man in der Tat Entwarnung geben. Wahlen sind primär Abstimmungen über die Amtsinhaber, weniger über die Oppositionskandidaten. Nach diesem Maßstab durfte sich Donald Trump noch im März seiner Wiederwahl sicher sein. Seitdem jedoch sind seine Chancen drastisch gesunken. Nach heutigem Stand liegt er in den Umfragen neun Prozentpunkte hinter dem Demokraten John Biden zurück – selbst in den Swing States wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, deren Wechselwähler 2016 seinen Sieg sicherten; sogar in Florida und Texas liegt Biden vorn. In den Umfragen zeigen sich 71 Prozent wütend über den Zustand des Landes, 66 Prozent ist bange, nur 17 Prozent verspüren noch Stolz.
Trump hat auf eine boomende Wirtschaft gesetzt;
ihm diesen Gefallen zu tun tat sie jedoch nicht …
Verwunderlich ist dies nicht. Donald Trump ist ein gescheiterter Präsident. Er sah sich in erster Linie als dealmaker, aber selbst auf diesem Felde hat er wenig vorzuweisen. Als Krisenmanager hat er indes völlig versagt, und auf Krisenmanagement kommt es im Weißen Haus, innenpolitisch wie außenpolitisch, vor allen Dingen an.
Der Präsident hatte gehofft, auf dem Rücken einer brummenden, boomenden Wirtschaft aufs Neue ins Oval Office getragen zu werden. Doch hat Corona einen verheerenden Einbruch der Konjunktur bewirkt. Die Arbeitslosigkeit, vor dem Ausbruch der Seuche bei 3,5 Prozent, lag Anfang Juli bei 11,1 Prozent und sie wird gewaltig ansteigen, wenn jetzt die staatlichen Unterstützungszahlungen auslaufen und die Insolvenzen im Lande schlagartig zunehmen. Dreißig oder vierzig Millionen Menschen haben ihren Job verloren, die Wirtschaftsleistung ging um 32,9 Prozent zurück. Damit ist vor Wahlen kein Blumentopf zu gewinnen.
Schließlich hat Trump auch völlig versagt, als es darauf ankam, nach der Ermordung von George Floyd die weitverbreitete Empörung – Black Lives Matter! – in geordnete Bahnen zu lenken. Er setzte die Nationalgarde ein, missbrauchte das Militär, um Demonstranten zurückzutreiben, und ließ eine Bundespolizeieinheit die Stadt Portland besetzen („sonst gäbe es kein Portland mehr, es wäre niedergebrannt“, dabei gab es Gewaltaktionen in ganzen drei Blocks). Mit seinen Äußerungen spaltete er die amerikanische Gesellschaft täglich tiefer.
Und wie es ja überhaupt seine Art ist, politische Gegner auf Gossenniveau zu verunglimpfen und herabzuwürdigen („Sleepy Joe Biden“, „Crooked Hillary“, „Lamestream Media“), spricht er von den Demokraten nur als den „Do Nothing Radical Left Democrats“. Falls Biden Präsident würde, werde „das ganze Land zur Hölle gehen“; es würden „venezolanische Verhältnisse“ eintreten. „Linksradikalen Faschismus“ unterstellt er der Oppositionspartei. Hätte er auch nur ein Fünkchen historischer Bildung, würde er sie wohl Bolschewiken genannt haben.
Würde Amerika heute wählen, wäre Donald Trump morgen weg. Derzeit sieht es so aus, als ob die Wahl am 3. November nicht anders ausgehen wird. Die bloße Vorstellung macht ihn nervös. Daher versucht er, seine Abwahl durch gefährliche konstitutionelle Kinkerlitzchen zu verhindern: Er bringt eine Verschiebung der Wahl ins Spiel und lässt es bewusst offen, ob er eine Niederlage anerkennen oder anfechten würde.
„Hört auf mich. Ich glaube,
er wird die Wahl irgendwie verschieben“ –
hellsichtig sagt das John Biden im April – und tatsächlich twitterte Trump kurz darauf: „Mit allgemeiner Briefwahl wird die fehlerhafteste und betrügerischste Wahl in der Geschichte. Es wäre eine große Peinlichkeit für die USA.
Also die Wahl verschieben, bis die Leute wieder weidlich verlässlich und betriebssicher ihre Stimme abgeben können???“ Seit einiger Zeit hatte er die Briefwahl als unsicher hingestellt, obgleich es damit nirgendwo Schwierigkeiten gegeben hatte.
Nun verlangt er, dass das Ergebnis am Wahlabend feststehen müsse, nicht erst Monate oder gar Jahre später. Bei einem knappen Ausgang in den Swing States könnte er die Wahlen dort für rigged – manipuliert – erklären und Nachzählungen fordern. Zögen die sich hin, könnte – so einige Verfassungsrechtler – er es durchaus schaffen, weitere vier Jahre im Amt zu bleiben.