Das sogenannte Sicherheitsgesetz der chinesischen Regierung für Hongkong zersetzt den eigentlich vertraglich garantierten Sonderstatus der Stadt – Hongkong kommt nicht zur Ruhe. Die Massendemonstrationen und -proteste fallen zwar seit Beginn der Coronavirus-Krise deutlich kleiner aus als noch vor einem Jahr, aufgehört aber haben sie nicht. Die politisch-gesellschaftliche Stimmung in der autonomen Stadt ist noch aufgeladener als 2019. Längst aber geht es den Menschen nicht mehr nur um das umstrittene Auslieferungsgesetz, das für die Massenproteste des vergangenen Jahres Auslöser war . Das Gesetz wurde im Herbst von Hongkongs Regierung angesichts des Widerstands in der Zivilgesellschaft eingestampft.
Inzwischen sorgt ein ganz anderes Gesetz für Aufsehen in der früheren britischen Kolonie: Das von der kommunistischen Führung in Peking auf den Weg gebrachte sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong. Nach Auffassung zahlreicher Völkerrechtlcher und westlicher Regierungen greift dieses Gesetz so eklatant ein in die autonome Justiz der Sonderverwaltungsregion, dass vom Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ nicht mehr viel übrig bleibt.
Immer autoritärer und rücksichtsloser
Vereinbart wurde dieser Sonderstatus Mitte der 1980er Jahre in der Gemeinsamen Chinesisch-Britischen Erklärung zu Hongkong. In diesem völkerrechtlich bindenden Vertrag regelten die Regierungen in London und Peking die Einzelheiten der Übergabe der Stadt an die Volksrepublik. Heute tut Chinas Staats- und Parteiführung so, als sei nicht mehr gültig, was in dem Dokument vereinbart wurde. Mitglieder der kommunistischen Führung haben in den vergangenen Monaten immer wieder betont: Es handele sich bei dem Übergabevertrag nur um ein historisches Dokument, das heute keine praktische Bedeutung mehr habe.
Diese Aussage ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der siebeneinhalb Millionen Hongkonger, die auf ihre Bürger- und Freiheitsrechte nicht verzichten wollen, dies alles ist auch auch eine Unverschämtheit gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft. Die muss endlich erkennen, dass Chinas Führung auch international immer autoritärer und rücksichtsloser auftritt. Die Hongkong-Krise ist dafür nur ein Beleg.
Missachtung internationaler Vereinbarungen
Auch in anderen Bereichen hält sich die chinesische Regierung nicht an internationale Vereinbarungen, sei es im Bereich des Welthandels oder beim Internationalen Seerecht. Im Südchinesischem Meer etwa schüttet China künstliche Inseln auf, um teilweise völkerrechtswidrige Territorial-Ansprüche durchzusetzen.
Gegen Australien hat die chinesische Führung in den vergangenen Wochen de facto Wirtschafts- und Handelssanktionen verhängt, weil ihr der chinakritische Kurs der Regierung in Canberra nicht passt. Seit mehr als einem Jahr sitzen in China aus fadenscheinigen Gründen zwei kanadische Staatsbürger im Gefängnis, ohne Anklage. Es gibt Hinweise auf Einzelhaft und Schlafentzug. Die beiden Kanadier sitzen ganz offensichtlich aus Vergeltung im Knast, weil im kanadischen Vancouver die Finanzchefin des chinesischen Technologiekonzerns Huawei Meng Wanzhou unter Hausarrest steht. Gegen sie wird im Nachbarland USA dubioser Finanzgeschäfte wegen ermittelt.
„Wandel durch Handel“ gescheitert
Die Liste der diplomatischen Verwerfungen Chinas mit anderen Staaten ließe sich noch weiter fortsetzen. Sie wird seit Jahren länger. Dieser Trend ist ein Beleg dafür, dass das im Ost-West-Konflikt so erfolgreiche Prinzip „Wandel durch Handel“ im Bezug auf China gescheitert ist. Es funktioniert nicht. Der Versuch, China durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem liberaleren und offeneren Land zu machen, ist gescheitert.
Und entgegen aller Beteuerungen öffnet die chinesische Führung das Land nicht international, sie verschließt es stattdessen weiter. Statt auf Kompromisse, internationalen Austausch und Verständigung setzt die Kommunistische Partei in Peking auf Drohgebärden, den Ausbau der eigenen Macht und die Unterdrückung Andersdenkender. Das Ganze geht einher mit einer zentral orchestrierten weltweiten Kampagne chinesischer Medien und Medienagenturen. Sie verbreiten zum Beispiel das staatliche Narrativ zum vermeintlich makellosen Umgang der chinesischen Führung mit der Coronavirus-Krise.
Und auch gegen die größtenteils demokratisch-liberal gesinnte Zivilgesellschaft Hongkongs richten sich die Kampagnen der chinesischen Regierung. Wobei wir wieder beim Ausgangsthema wären. Hongkong ist inzwischen der Dreh- und Angelpunkt im neuen weltweiten großen Systemkonflikt, dort ist dieser Konflikt Tag für Tag spürbar und sichtbar: Eine mehrheitlich liberal-freiheitliche Gesellschaft steht einem autokratisch und unfreiheitlichen System gegenüber. Ob man es gut findet, oder nicht: Dieser neue grundsätzliche Systemkonflikt hat längst begonnen. In Hongkong wird er offen ausgetragen.