Heidelbergs Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner weiß – und reagiert darauf: Stadt und Kultur gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille. Die Kultur ist immer so gut wie das städtische Leben. Wo kein städtisches Leben pulsiert, kann auch keine interessante Kultur entstehen. Umgekehrt – da sind wir mit ihm, mit uns und mit Immanuel Kant einer Meinung – also, umgekehrt gilt das freilich auch: „Städtisches Leben ohne Kultur ist blind, Kultur ohne städtisches Leben ist leer“ – Genau: O-Ton („sapere aude“) Kant; und unser, der Rundschau Motto: „Kultur vermittelt Sinn, der allerdings inhaltsleer bliebe, würde er nicht auf den Boden auch des wirklichen Lebens heruntergeholt“. Manche politische Themen, die man einstmals als gesellschaftliche Probleme zu betrachten geneigt war, etwa Frauen als Hexen oder japanischstämmige Amerikaner als Verräter im Zweiten Weltkrieg, ein Kulturbeauftragter ohne akademischen Abschluss und so weiter, muss später allenfalls Halluzination genannt werden dürfen. Einige Lebensumstände hingegen, die man – wie etwa Armut – heute als Probleme ansieht, verstand man lange Zeit als Teil der natürlich-gottgewollten Ordnung, nicht als zu lösendes Problem.
Probleme freilich werden in einem fort konstruiert, dekonstruiert und interpretiert – dies alles diente und dient politischen Zwecken. Mit gegensätzlichen Bedeutungen und unterschiedlichen Arten, die jeweils die entsprechenden Ideologien und moralischen Haltungen reflektieren und fördern. Oder dies zu tun vorgeben.
Kultur? Politik? Oder doch Ionesco?
„Kultur ist von der Politik nicht zu trennen. Kultur, Politik, das ist unser Leben. Tatsächlich bilden die Künste, die Philosophie, die Metaphysik, die Religion oder andere Formen des Geisteslebens wie die Naturwissenschaften die Kultur. Doch hat die Politik, die im Grunde das Wissen um unsere Beziehungen und die Kunst sie zu organisieren sein sollte, um das Leben in der Gesellschaft, das eigentlich kulturelle Leben, zu ermöglichen, heutzutage die anderen Manisfestationen des Geistes überrundet. Die Politik, die die Organisation jeder Gesellschaft sein sollte, ist oft auf chaotische Weise zu einer Organisation um der Organisation willen geworden; das führte zur Desorganisation des kulturellen Bereichs auf Kosten der Metaphysik, der Kunst, der Spiritualität – und auch der Wissenschaft.“
Dies herbe Urteil Ionescos über die zeitgenössische Situation von Kultur und Politik hätte (auch) zu einer Diskussion dazu in Heidelberg führen können – wäre es denn um eine solche überhaupt gegangen. Auch Ionescos Aussagen und Fragen beruhen auf der immer wieder ignorierten Selbstverständlichkeit, daß Kultur und Politik in einem unauflöslichen Zusammenhang der gegenseitigen Beeinflussung stehen. Heidelberg steht, wie andere Kommunen auch, mit dem Rücken an der Wand: Steigenden Soziallasten bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit zwingen die Städte, regional unterschiedlich freilich, in die Knie.
Geld regiert die Welt
Dieser Satz wurde schon in der Vergangenheit vielfältig variiert. Aus „Money makes the World go round“ (Zeitgeist) oder „Wo Geld voran geht, sind alle Wege offen“ (Shakespeare) folgt im Umkehrschluß: „Ohne Moos nix los“. Wenn die Finanzen knapp werden, drohen Initiativen zu ersticken, wird Politik zum bloßen Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen. Gemeinden können nur sehr eingeschränkt über ihre Ausgaben entscheiden. Das gleiche gilt für ihre Einnahmen.
Es werden finanzielle Ressourcen entzogen, um Politik zu gestalten, da sind drastische Sparmaßnahmen angesagt, die oft genug nicht einmal vor traditionellen Kulturinstitutionen halt machen können. Mehr noch allerdings werden es diejenigen Bereiche sein, die arbeitsvertraglich nicht abgesichert sind. Aktive Kulturförderung durch die öffentliche Hand ist in der Tat nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gefährdet. Standen die Reformideen der letzten Jahre noch ganz im Zeichen einer „Politik der Lebensqualität“, welche qualitative Gestaltung der Lebensverhältnisse als öffentliche Aufgabe auswies, wird der Ökonomie als Zentralbereich der Gesellschaft heute mehr Regulierungskraft zugetraut. Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut – wir kennen die Formel.
Memento moriendum esse – und an die Nächste, egal welche Wahl …
Kultur, dieser zuweilen geringgeschätzte „vorpolitische“ Raum hat längst die Bedeutung eines Kristallisationspunktes gewonnen. „Lebensstile“ als kulturelle Ausdrucksformen werden künftig noch stärker als bisher den Ausschlag dafür geben, ob und wo das Kreuzchen gemacht wird.
Klassen- und Sozialstruktur, selbst Bildungsgrad (und aber schon gar nicht Konfessionszugehörigkeit) erlauben keine zuverlässigen Prognosen mehr, „Normalbiographien“ werden rar. Die Bedeutung von Lebensstilen, ihren ästhetischen und „irrationalen“ Manifestationen macht Kulturbürokratien allüberall zu schaffen. In zahlreichen Diskussionen über Stadtgesellschaft, Wertewandel und Kultur arbeitet sie sich nichtsdestotrotz wacker, zäh und tapfer an die Problematik heran.
Ja:
Es gilt, für die Freiheit des Denkens, der Rede und der Kritik, für die Freiheit, diese Welt nicht nur zu diskutieren, sondern sie tätig zu erkennen und zum Besseren zu verändern, einzutreten.
Aber:
Die Beliebtheit anderer, nämlich geistiger Auseinandersetzungen, wird nur von ihrer Seltenheit übertroffen. In Heidelberg hatten wir beispielsweise die Auseinandersetzung um die (siehe) Schreiterschen Entwürfe für – den Beschluss, das noch einzig jetzt vorhandenen eingebaute „Physikfenster“ wieder zu entfernen hatten wir das Vergnügen, in der Synode zu verhindern – die Heiliggeistfenster die freilich von der Öffentlichkeit als solche wegen der Berichterstattung darüber als auch geistige nicht zur Kenntnis genommen werden konnte. Andernorts gibt es viele berühmte Beispiele: Jesus und die Schriftgelehrten, von den Kirchenvätern bis zum Streit zwischen Dr. Luther und Dr. Eck, Goethe und die Newtonianer, auf den Konzilen der sozialistischen Bewegungen auch – und findet eben heute noch immer statt; aber eben nicht unter jenen Leuten, die das Stichwort berühmt gemacht haben und nicht müde werden, nach geistiger Auseinandersetzung zu rufen. Aber: Der Geist weht, von wannen er will und – allemal auch – wohin …