Hersteller bauen in Fahrräder zunehmend Chips und SIM-Karten ein. Das bietet Radlern nie gekannten Komfort – birgt aber auch Risiken. Ein Minichip nämlich krempelt gerade die Fahrradwelt um. Erste Hersteller haben ihn schon in den Rahmen eingebaut. Endlich werde das Fahrrad smart, preisen sie die Neuerung – so smart wie einst das Mobiltelefon, das zum iPhone wurde.

Tatsächlich erlebt das Fahrrad derzeit eine technische Revolution. Seit der Erfindung der Kettenschaltung im frühen 20. Jahrhundert hatte sich an der grundlegenden Konstruktion kaum etwas geändert. Selbst Elektrofahrräder gab es schon früher. Nun, im Zuge der Digitalisierung, wird das Fahrrad mit einer Funktionsfülle überschwemmt, die selbst im Auto noch vor wenigen Jahren als Science-Fiction galt.
Intern vernetzt sind E-Bikes bereits. Sensoren, Displays, Motoren, Akkus und Antriebskomponenten informieren sich gegenseitig und spielen so zusammen. „Zum Beispiel ist eine sinnvolle Motorsteuerung nur möglich, wenn die Daten von Trittfrequenz-, Drehmoment- und Geschwindigkeitssensor zusammengeführt werden“, sagt Dirk Sexauer, Geschäftsführer beim Branchenverband Verbund Service und Fahrrad in Berlin.

Apps werten Fahrdaten aus

Im E-Bike überträgt ein sogenannter CAN-Bus digitale Signale hin und her. Das System benötigt viel weniger Platz als ein klassischer Kabelbaum.
Auch über eigens entwickelte Funkstandards kommunizieren manche Komponenten schon: Kettenschaltungen wechseln die Gänge ohne Verkabelung, erste Teleskop-Sattelstützen für Mountainbikes haben keine Kabelverbindung zum Lenkerhebel mehr.

Mit der Außenwelt vernetzt sich das Rad derzeit übers Telefon. Als Apps für Smartphones und Tablets aufkamen, „war das der erste Schritt“, sagt Sportingenieur Kolja Oppel, der sich bei der Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft (ZEG) in Köln mit Vernetzung befasst. Ohne weiteren großen technischen Aufwand ließen sich über ein Bluetooth-Modul im Rad Daten auslesen: „Wie viele Kilometer Sie gefahren sind, die Höchstgeschwindigkeit, die Reichweite – das alles kann ich dann auf dem Handy sehen.“

Über Apps können E-Biker die elektrische Tretunterstützung ändern, das Licht lässt sich an- und ausschalten. Die kroatische Marke Greyp schraubt an ihre Bikes Front- und Heckkameras, die das Umfeld überwachen.

Zulieferer Shimano oder die Schweizer Speed-Pedelec-Schmiede Stromer spielen bereits neue Firmware für die Motorsteuerung auf. Die Daten erreichen das Rad „over the air“, also entweder per Mobilfunk oder über eine stabilere WLAN-Verbindung. Verkabelt wird nichts mehr.

Geklaute Fahrräder mit GPS und Internet finden

Gestohlene Fährräder aufspüren sollen GPS- oder GSM-Module, die Hersteller wie Stromer oder Vanmoof schon länger anbieten. Die Technik lässt sich auch für normale Fahrräder nachrüsten.

„Mit dem Modul werden Standortkoordinaten errechnet“, erläutert Oppel. „Notwendig ist zusätzlich eine SIM-Karte, mit deren Hilfe die Daten an den Kunden gesendet werden – meist über die Cloud des Herstellers“, erläutert Oppel. Die SIM ist fest verbaut, also eine sogenannte eSIM. Das e steht für embedded (eingebettet).
Vielversprechend für die Fahrradortung ist die neue Funktechnologie Narrow-Band-IoT. IoT kürzt den Begriff Internet of Things ab. Er beschreibt, wie das Netz Gegenstände miteinander verbinden kann.
Wenn – zum Beispiel das GPS gestört wäre, könne über Narrow-Band-IoT eine grobe Position ermittelt werden, diese sei bei hoher Gebäudedurchdringung zuverlässiger. Im Klartext: Dieben fällt es schwerer, geklaute Fahrräder in Kellern oder Hallen mit dicken Mauern von der Verfolgung abzuschirmen.

System erkennt Sturz und schlägt Alarm

Fürs aktuelle Modelljahr bewirbt eine Firma aus dem südhessischen Mühltal ihren RX Chip, die Abkürzung steht für „Rider Experience“. Dank ihm und einer eSIM muss der Radler für Antriebs-Updates nicht mehr in die Werkstatt. Die Technik ermittelt, wie Teile verschleißen und gibt die Informationen over-the-air weiter, ebenso die Parkposition. Zudem erstellt sie Fahrtstatistiken.

Andere Hersteller bieten schon weitere Funktionen an. Manche Räder der Marke Bulls melden Stürze, vergleichbar dem E-Call bei Autos. „Wird ein Unfall erkannt, benachrichtigt das System über Mobilfunk einen Notfallkontakt“, sagt ZEG-Ingenieur Oppel.

Dass es sich um einen Notfall handeln könnte, errechne ein Algorithmus. Dieser wertet Daten eines Beschleunigungs- und eines Lagesensors aus. Sinkt die Geschwindigkeit plötzlich auf null und liegt das Rad auf der Seite, startet ein Notruf-Countdown. „Geht es dem Radfahrer gut, kann er diesen jederzeit abbrechen.“

Wie sicher sind die Daten?

Solche Features kosten natürlich etwas. „Sobald das Mobilfunknetz benötigt wird, fallen Gebühren an“, sagt Oppel. Wer bei den Connected Bikes von Bulls die neuen Dienste nutzt, zahlt 300 Euro für die ersten drei Jahre. Danach sind es knapp 50 Euro jährlich. Riese & Müller kassiert einmalig 100 Euro für den RX Chip und bietet mehrere „ConnectCare“-Optionen, buchbar ab 140 Euro pro Jahr. Soll es ein Mobilitätsschutz sein, ähnlich dem Autoschutzbrief mit Übernahme von Rücktransport und Hotelkosten im Pannenfall, wird’s teuer: im Paket ab 189,90 Euro jährlich.

Doch wie sicher sind die Daten der Fahrradfahrer bei solchen Systemen? Man könnte mit GPS oder Mobilfunkortung grundsätzlich ein komplettes Bewegungs- und Fahrprofil errechnen: Jeder Mensch hat aber Dutzende Accounts, die die gleichen Fragen aufwerfen.
Vor allem bei Herstellern aus Deutschland sieht René Filippek vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) „keine Gefahr, dass man die ganze Zeit getrackt wird“ oder die Daten für ominöse Zwecke weiterverarbeitet werden. Hierzulande spiele der Datenschutz eine vergleichsweise große Rolle. Wie Sexauer rät Filippek aber dazu, das Kleingedruckte der Datenschutzvereinbarung zu lesen.

Wer keine Bedenken in Sachen Datenschutz hat, könnte künftig bei der Krankenkasse sparen, so Sexauer. Denkbar sei ein Punktesystem, das dem Radler günstige Tarife bringt. Dazu müsste er sein Fahrprofil preisgeben, und damit, ob er eher riskant oder moderat unterwegs ist. Auch Gesundheitsdaten, über Fitnessuhren oder Leistungsmesser in der Tretkurbel generierbar, wären dabei ein wahrer Datenschatz.

Wann er ausgebeutet wird, scheint nur eine Frage der Zeit. Zahlreiche Radfahrer teilen ihre Trainingsergebnisse längst per App über soziale Medien. Viele Daten sind also bereits in der Welt.

Mai 2020 | Allgemein, Gesundheit, Junge Rundschau, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren