Der Künstler Savvas Verdis thematisiert mit einem überdimensionalen Stempel die Twitter-Leidenschaft des amerikanischen Präsidenten. Der Stempel rechts daneben zeigt den britischen Premierminister Boris Johnson und den Schriftzug „Lies“ (Lügen)

Bisher kam der amerikanische Präsident ungeschoren davon. Nun aber behält sich Twitter vor, auch Stellungnahmen von Donald Trump auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Republikaner zeigt sich empört, des (hoffendlich nur Noch-)Präsidenten Retoure kam umgehend. Kaum hatte der Kurznachrichtendienst Twitter am Dienstag erstmals öffentlich den Wahrheitsgehalt einer Stellungnahme von Donald Trump in Zweifel gezogen, meldete sich der amerikanische Präsident zu Wort. Der Kurznachrichtendienst, auf dem sich Trump mehr als elf Jahre lang ungehindert austoben konnte, mische sich nun in den Präsidentschaftswahlkampf ein, so beklagte sich der Präsident auf Twitter. Der Konzern versuche, das Recht auf freie Meinungsäusserung abzuwürgen, schrieb Trump weiter, und er, «als Präsident», werde dies nicht zulassen.

 

Warum sich der Kurznachrichtendienst ausgerechnet jetzt dazu entschieden hat, die Falschmeldungen des Republikaners nicht mehr unkommentiert weiterzuverbreiten, machte der Konzern nicht publik. Eine Rolle wird dabei wohl eine Kolumne der bekannten Technologie-Journalistin Kara Swisher gespielt haben, die am Dienstag auf der Website der „New York Times“ veröffentlicht wurde. Darin beschrieb Swisher, wie Trump ganz normalen Menschen Schmerz zufüge, wenn er seine 80,3 Millionen Follower mit wilden Verschwörungstheorien über seine politischen Gegner unterhalte.

Trump wirft Fernsehmoderator Mord vor

Ein aktuelles Beispiel drehte sich um eine Assistentin des ehemaligen Politikers und heutigen Fernsehmoderators Joe Scarborough. Die junge Frau war im Sommer 2001 in Fort Walton Beach, Florida, bei der Arbeit eines natürlichen Todes gestorben; dennoch spekuliert der amerikanische Präsident seit einigen Wochen auf Twitter über die Hintergründe des tragischen Todes – wohl, weil er es seinem Kritiker Scarborough, der im Wahlkampf 2016 noch ein Verbündeter gewesen war, heimzahlen will.

Donald J. Trump

@realDonaldTrump

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 12, 2020

Der Witwer der Frau, ein Ingenieur namens Timothy Klausutis, bat den Twitter-Konzernchef Jack Dorsey in der vergangenen Woche, in dieser Angelegenheit zu intervenieren. «Der Präsident der Vereinigten Staaten hat etwas an sich gerissen, das ihm nicht gehört – das Andenken an meine tote Frau –, und er pervertiert es für politische Zwecke», schrieb Klausutis in einem Brief an Dorsey, aus dem Swisher zitierte. Der Witwer bat den Twitter-Chef darum, die entsprechenden Stellungnahmen Trumps zu löschen, weil sie ganz offensichtlich gegen die kürzlich überarbeiteten Nutzungsbedingungen des Unternehmens verstiessen. „Ein normaler Nutzer wie ich würde von der Plattform verstossen für einen solchen Tweet“, schrieb Klausutis.

Diese Ansicht teilen weder Trump noch Twitter. Und Präsident Trump forderte am Dienstag während einer Pressekonferenz zum wiederholten Mal eine neue Untersuchung des „höchst verdächtigen“ Todesfalls. Und Twitter entschuldigte sich zwar bei der Familie Klausutis für den Schmerz, den ihr die Trump-Stellungnahmen zugefügt hätten. Die Tweets wurden aber nicht gelöscht.

Redaktioneller Zusatz von Twitter

Allerdings schien auch für den Kurznachrichtendienst die Schmerzgrenze erreicht zu sein. Also entschied sich Twitter dazu, zwei neue Stellungnahmen des Präsidenten mit einem Zusatz zu versehen. Dieser soll Leser darauf aufmerksam machen, dass Trump sich nicht an die Fakten gehalten habe.

Die beiden Tweets drehten sich um die briefliche Stimmenabgabe, gegen die der Präsident ebenfalls seit Wochen anschreibt – obwohl er selbst in diesem Frühjahr per Post gewählt hatte. Der Präsident behauptete, der Gouverneur von Kalifornien, der Demokrat Gavin Newsom, versuche, mithilfe von Briefstimmen den Ausgang der Präsidentschaftswahl zu manipulieren. Für die absurden Unterstellungen Trumps («Briefkästen werden gestohlen werden») gebe es keine Grundlagen, schrieb Twitter.

Donald J. Trump

@realDonaldTrump

Donald J. Trump

@realDonaldTrump

….living in the state, no matter who they are or how they got there, will get one. That will be followed up with professionals telling all of these people, many of whom have never even thought of voting before, how, and for whom, to vote. This will be a Rigged Election. No way!

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 26, 2020

Anzunehmen ist, dass diese Einmischung die Konfrontation zwischen dem grossen Technologieunternehmen im Silicon Valley und Washington verschärfen wird. Zwar ist das Argument, Twitter verstosse gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung, nicht stichhaltig – bezieht sich doch der entsprechende Passus in der amerikanischen Verfassung nur auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern; der Kurznachrichtendienst aber ist ein privates Unternehmen, das keiner besonderen staatlichen Aufsicht unterstellt ist.

Donald J. Trump

@realDonaldTrump

Donald J. Trump

@realDonaldTrump

….Twitter is completely stifling FREE SPEECH, and I, as President, will not allow it to happen!

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 26, 2020

Die Regierung hat es allerdings in der Hand, den grossen Internetfirmen das Leben schwerzumachen. So berichtete das «Wall Street Journal» vor einigen Tagen unter Berufung auf Regierungsquellen, der Präsident wolle eine Kommission einsetzen, welche „die linke Schlagseite“ von Facebook, Instagram, Twitter und Google untersuchen soll. Auch prüft die Exekutive, ob sie Internetunternehmen künftig für Nutzerkommentare haftbar machen will. Dies würde allerdings eine Gesetzesänderung bedingen und damit die Zustimmung von Demokraten und Republikanern.

Trump droht sozialen Medien wie Twitter mit Schliessung

(dpa) US-Präsident Donald Trump hat erneut seinen Ärger über die angebliche Linkslastigkeit sozialer Medien kundgetan und den Plattformen mit neuer Regulierung oder sogar Schliessung gedroht. Viele Republikaner wie er hätten das Gefühl, dass die sozialen Medien konservative Stimmen «komplett verschweigen», schrieb Trump am Mittwoch auf Twitter. Um dem entgegenzuwirken würde die Regierung «sie streng regulieren, oder ganz schliessen», drohte er. Trump nannte dabei jedoch keine Plattform beim Namen.

Mai 2020 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren