In der Krise rücken die Bürger zusammen. Sie haken sich unter und bilden eine Phalanx gegen den unsichtbaren Feind, das vermaledeite Virus. Viele entdecken – klug – ihre soziale Ader, bieten Nachbarn Gefälligkeiten an, grüßen plötzlich freundlich im Hausflur, mancher spendiert gar den Kassiererinnen im Supermarkt eine Flasche Wein.
Sogar knappes Hab und Gut reichen anständige Charaktere generös weiter: Wie, Sie haben keinen Mundschutz ergattert? Ich habe da einen für Sie, und ein Röllchen Klopapier lege ich noch drauf! Man erfreut sich ja nun schon an kleinen Dingen.
Und natürlich an den großen. Politikern zum Beispiel. Was haben wir uns noch vor wenigen Wochen über die eingeschlafenen Füße in Berlin mokiert, über ihr ewiges Herumlavieren. Die Herrschaften kriegten den Klimaschutz nicht gewuppt und die Rentenreform auch nicht, in Sachen Digitalisierung war eh der Ofen aus. Was wir halt so für Sorgen hatten in der Prä-Corona-Zeit. CDU und CSU dümpelten in den Umfragen bei mickrigen 24 Prozent herum, die SPD schlurfte mit 17 Prozent hinterher. Von den Dächern pfiffen die Spatzen schon den nächsten Bundeskanzler Habeck, und aus der Gosse keiften die Blockwarte der AfD.
Tempi passati. Quasi über Nacht hat der Corona-Wirbel die politischen Kräfteverhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt. „Die Union erlebt gerade in Umfragen einen bemerkenswerten Höhenflug. Werte von 40 Prozent und mehr scheinen plötzlich wieder greifbar“, analysiert der geschätzte Kollege Benjamin Konietzny von „ntv“. „Die Opposition ist nicht gefragt, AfD und Grüne schmieren ab. Bei Linken und FDP gibt es wenig Bewegung. Und auch die Beliebtheit der Regierungspolitiker steigt: Kanzlerin Angela Merkel oder Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekommen immer mehr Zustimmung. In dieser Krise profitiert die Regierung.“ Allein die SPD, in der Herr Scholz das eine sagt, Frau Esken das andere und Herr Walter-Borjans irgendetwas dazwischen, geistert im Umfragekeller herum.
Das beantwortet auch gleich die Frage nach dem Warum: In Krisenzeiten sehnen sich die Menschen nach seriösen Politikern, die einen klaren Kurs verfolgen. „Brechen eine Krankheit, eine Naturkatastrophe oder ein Krieg über ein Land herein, werden politische Vorlieben für die eine oder die andere Partei unwichtig. Das Land versammelt sich hinter der Person, die gerade regiert. Schließlich möchte man nicht riskieren, dass zu der Herausforderung noch innenpolitische Handlungsunfähigkeit tritt“, erklärt unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld. „Der Amtsbonus zählt in Krisenzeiten doppelt.“
Das kann man wohl sagen: Die Krisenmanager der Bundesregierung erfreuen sich großer Beliebtheit, entnehme ich auch einer repräsentativen Umfrage des Insa-Instituts für den „Focus“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erreicht in der Bevölkerung einen Zustimmungswert von 161 Punkten (plus 5 zur Vorwoche) und thront damit auf Platz eins. Auf dem Fuß folgen ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit 152 Punkten (plus 14) und Gesundheitsminister Jens Spahn (auch CDU) mit 139 Punkten (plus 8). Auf Platz vier rangiert Finanzminister Olaf Scholz(SPD) mit 135 Punkten (plus 14).
Politisch und menschlich mögen sie unterschiedliche Typen sein, eines aber eint sie: Sie verzichten auf hanebüchene Behauptungen oder einen Zickzackkurs, wie ihn die Windeier Trump, Bolsonaro und Johnson eingeschlagen haben. Sie haben einen Plan. Sie handeln endlich schnell, abgestimmt und großzügig. Eine strauchelnde Branche nach der anderen wird mit Hilfsmilliarden überhäuft: die Auto- und die Maschinenbauer, die Einzelhändler und Restaurantbetreiber, die Künstler und Kreativen. Nun kümmern sie sich auch noch um die Erntehelfer, damit wir selbst in Weltkrisenzeiten nicht auf unseren Spargel verzichten müssen. Wo in der Welt, bitteschön, gibt es ein anderes Land, in dem die Bevölkerung derart fürsorglich bemuttert wird wie hierzulande? Und trotzdem finden manche Griesgrame immer noch etwas zu meckern: zu wenig Infos! Zu wenig Masken! Zu wenig irgendwas!
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht diese Schwarzmalerei auf den Wecker. Ich halte es so: Kritik, wem Kritik gebührt, und Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Wenn Politiker Fehler machen, sollte man sie ihnen ankreiden. Wenn Sie gute Arbeit leisten, sollte man das würdigen. Auch wir Journalisten dürfen das ruhig mal beherzigen.
„Jedem kritischen Bürger muss es mulmig werden“
Das Krisenmanagement der Regierenden mag uns Respekt abnötigen – trotzdem müssen wir Bürger selbstverständlich genau darauf achten, was mit unseren Grundrechten geschieht. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sind sie derart eingeschränkt worden wie jetzt. „Es geht damit an die Substanz der Demokratie und des Rechtsstaats“, sagt der renommierte Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin in unserem heutigen Podcast „Tonspur Wissen“. Zwar könnten die Menschen auf die deutsche Demokratie vertrauen, doch die Corona-Krise sei „ein enormer Stresstest“: „Jedem kritischen Bürger muss es mulmig werden.“ Das Gespräch mit unserer Kolumnistin Ursula Weidenfeld trägt das Prädikat ausgesprochen hörenswert.
Auch Hunderte deutsche Oberbürgermeister kämpfen gegen die Verbreitung des Virus: Sie müssen in ihren Städten die oft abstrakten gesetzlichen Regelungen, die von der Bundesregierung und den Bundesländern beschlossen werden, in konkrete Politik gießen. Einer dieser Bürgermeister ist Florian Kling, er regiert in Calw bei Stuttgart. Im Interview mit unserem Reporter Tim Kummert gibt der 32-Jährige schonungslose Einblicke in das Krisenmanagement: „Es gab nichts: keine Vorbereitung, keinen Notfallplan, keine Strategie für eine solche Situation. Wir sind dort reingestoßen worden wie von einem Zehnmeterbrett ins Becken. „ Nun bestellt er sich bei Amazon Gesetzestexte, um nachzulesen, wie er vorgehen soll.
Und, zu guter Letzt die, damit wir Sie versorgen können, sei mal der Agenturen gedacht, die uns mit „News“ versorgen: Wie halten es die es derzeit, da keine politischen Termine stattfinden mithin Nachrichtenagenturen natürlich auch weniger zu berichten haben. Irgendetwas müssen sie ja aber senden. Die Kollegen der dpa kündigen heute einen Artikel zu einem besonderen Thema an: „Geht es dem Osterhasen gut? Zur Lage des Feldhasen in Deutschland.“ Wir lieben die Kollegen. „Danke – für diesen Neuen Morgen“