Seit Beginn der Covid-19-Pandemie versuchen Rechtsextremisten, die Krise für ihre Zwecke zu nutzen. Militante Gruppierungen profitieren von der Unsicherheit.
Die Posts sind ein Anzeichen dafür, wie sich Rechtsextreme die Covid-19-Pandemie für ihre Zwecke zunutze machen: „Für die gewalttätige, extrem Rechte ist das eine Situation, wie man sie sich in seinen kühnsten Fantasien nicht hätte vorstellen können“, sagt Martina Renner, stellvertretende Parteivorsitzende und Innenexpertin der Linken, „diese Gruppen haben in ihren Planungen immer gesagt: Wenn es eine krisenhafte Situation gibt und in der Bevölkerung Verunsicherung herrscht, dann ist unsere Stunde gekommen.“
Der Berliner Verfassungsschutz teilt die Sorge, dass rechtsextremistische Gruppen die Skepsis mancher Menschen gegenüber den behördlichen Corona-Regeln bündeln: Krisen stellten „für Verfassungsfeinde Zeichen für die Fehlerhaftigkeit des demokratischen Systems“, so heißt es in einer Analyse des Verfassungsschutzes. „Hinzu kommt, dass solche Krisen den Vorwand für größere, auch gewalttätige Aktivitäten liefern könnten“, schreibt die Behörde. „Die vermeintliche Schwäche des Staates kann die Initialzündung für einen Aufstand, einen ,Tag X’ oder sonstige Gewalttaten darstellen.“
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sieht Anlass zur Beunruhigung: „Eine der Prioritäten des BfV liegt aktuell auf einem fortlaufenden Monitoring“, inwieweit die Corona-Pandemie instrumentalisiert wird, teilt die Bundesbehörde der Berliner Zeitung mit. Generell finde das Coronavirus bei Rechtsextremen „große Beachtung“. Die Pandemie „wird zum Anlass genommen, um die Bundesregierung zu kritisieren, Verschwörungstheorien zu verbreiten und Migranten als Überträger des Virus zu brandmarken.“
Seit dem Beginn der Corona-Krise in Deutschland ist die Reichweite der rechtsextremen Ideologen erheblich gestiegen. Wie eine Datenanalyse von Josef Holnburger, dem politischen Referenten für den DGB Jugend, zeigt, ist bei einigen der rechten Kanäle auf Telegram die Zahl der Abonnenten innerhalb nur einer Woche um mehrere Tausend gestiegen; manche der Videos sind mehr als 60.000 Mal aufgerufen worden.
Nach Einschätzung von Martina Renner, Innenexpertin der Linken, profitieren vor allem militante Strömungen von der Unsicherheit, wie etwa die Gruppe „Nordkreuz“, ein Netzwerk rechtsextremer Prepper in Mecklenburg-Vorpommern, gegen die seit 2017 ermittelt wird und die sich schon seit Längerem auf einen Umsturz vorbereitet. Mit dieser Ideologie, sagt Renner, sei das Gefühl verknüpft, „der Staat könne die Probleme nicht bewältigen, und daher kommt es den Rechten zu, sich als Ordnungsmacht zu profilieren“.
Die Verschwörungstheorien breiten sich vor allem dort aus, wo sich der extrem rechte Rand mit dem Reichsbürgermilieu überlappt. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte über Gruppierungen, in denen sich Neonazis zusammenschließen, Waffendepots anlegen, Vorräte horten und auf den Systemkollaps hinfiebern.
Mitte Februar wurden bei Razzien zwölf Mitglieder der sogenannten „Gruppe S.“ festgenommen, einer Zelle, die sich auf eine kommende Katastrophe vorbereitet und Anschläge auf Moscheen geplant haben soll. Und Ende März fand die Polizei bei Mitgliedern der inzwischen verbotenen Reichsbürger-Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ in zehn Bundesländern unter anderem abgesägte Schrotflinten, Armbrüste und Macheten.
Zum einen kritisieren rechtsextreme Akteure die behördlichen Maßnahmen zur Virus-Eindämmung als unzureichend und unterstellen Staatsversagen. Zum anderen werden krude Thesen über die Pandemie mit Berichten über die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern verquickt. Die Verbreitung des Virus wird mit der Aufnahme von Asylsuchenden in Verbindung gebracht. Auch die AfD hat versucht, in der Corona-Krise zu punkten, konnte aber nicht durchdringen – im Gegenteil.
Die AfD zählt zu den Verlierern der Corona-Krise; die Partei ist in Umfragen auf unter zehn Prozent gestürzt, ihren schlechtesten Wert seit zwei Jahren. „Für die militante Rechte ist die Corona-Krise ein Erweckungsmoment“, sagt Martina Renner, „für die AfD ist sie ein Desaster.“
Auch Jan Rathje, Experte für Antisemitismus und Verschwörungsideologien bei der Amadeu Antonio Stiftung, geht davon aus, dass die Corona-Pandemie vor allem den Gruppen Auftrieb gibt, die von einer „Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand“ geprägt sind. „Die Rechtsextremen ordnen die Krise in ihr akzelerationistisches Weltbild ein“, sagt er. „Es ist die Sternstunde der Prepper und all derer, die sagen: Wir haben es schon immer gewusst.“
Der Begriff Akzeleration bezeichnet eine bewusste Beschleunigung des gesellschaftlichen Zerfalls. Anders gesagt: Die Gruppen fantasieren vom Chaos, das schließlich in einen Bürgerkrieg führt.
Rathje leitet seit Kurzem das mit Bundesmitteln geförderte Modellprojekt De:Bunk, das Verschwörungsideologien begegnen soll. Er sagt, dass die große Krisen sich jeweils in die Deutungsmuster einfügen, die es schon länger gibt, wie etwa der Theorie, dass die Weltpolitik bestimmt ist von mächtigen Hintermännern oder Geheimzirkeln, die im Verborgenen agieren; wahlweise Bill Gates, der „Deep State“, die George Soros, die Rockefeller Foundation, die Hochfinanz. Und meist steht am Ende der antisemitische Topos von der jüdischen Weltverschwörung.
Es ist ein großes Durcheinander zum Teil widersprüchlicher Theorien, das sich in Chatgruppen und sozialen Medien ausbreitet. Krude Legenden von der Entstehung des Coronavirus, sagt Rathje, gehen hierbei „zusammen mit der Vorstellung vom großen Bevölkerungsaustausch und dem ,White Genocide’.“
Dazu gehört die Behauptung, die Eliten hätten die Pandemie bewusst ausgelöst und das Coronavirus als biologische Waffe erschaffen, um vor allem ältere und weiße Menschen zu töten. Andere gehen davon aus, die Seuche sei nichts als eine Finte, um die Bevölkerung von tatsächlichen Umtrieben, etwa dem heimlichen Einschleusen von großen Mengen von Flüchtlingen, abzulenken.
Zugleich greifen in den digitalen Foren Hass und Gewaltfantasien um sich. „Diese Million CoronaToten machen sich sehr gut zur Einschüchterung aller Systemschafe!“, so heißt es in einem Onlinekommentar „für Gold, Silber und Krisenvorsorge“. Ein anderer Nutzer schreibt in Bezug auf Regierungspolitiker: „Die müssen jetzt alle in die Straflager, dann vor die Militärgerichte und an den Galgen.“
All das spielt sich vor allem im Internet ab. Aber Experten halten es für denkbar, dass es zu Gewalttaten kommt. In den USA ist vor wenigen Wochen ein Neonazi ums Leben gekommen, der dem FBI zufolge einen Anschlag auf ein Krankenhaus im Bundesstaat Missouri geplant hatte. Den Ausschlag für dieses Ziel hatte demnach die „derzeitige Gesundheitskrise“ gegeben; der mutmaßliche Attentäter habe „kritische Infrastruktur“ treffen wollen. Er wurde bei der Festnahme tödlich verletzt.
Der Berliner Verfassungsschutz eilt mit, ihm lägen zwar keine Hinweise auf konkrete Anschlagspläne vor. „Gewaltorientierte Aktionen“ von „Lone Actors“, also unberechenbaren Einzeltätern wie bei den Anschlägen in Hanau und Halle, seien „gleichwohl weiterhin möglich.“