Zuflucht der Rebellen: Die Archäologin Jodi Magness hat ein bestechendes Buch über die Festung Masada und den jüdischen Aufstand gegen Rom geschrieben.

„Am ersten des Marcheschwan des sechsten Jahres in Masada. Weggeschickt und geschieden wurde aus meinem freien Willen, heute von mir, Yehoseph, Sohn des Naqsan, wohnhaft in Masada, Miriam, Tochter des Yehonathan aus Nablata, wohnhaft in Masada. [Ich bestätige], dass du Meine Frau warst zuvor …“ So beginnt ein aramäischer Papyrus, der 1951 im Wadi Murabba’at in der Judäischen Wüste westlich des Toten Meeres gefunden wurde. Es ist ein „Get“, ein Scheidebrief nach jüdischem Recht, an dem zweierlei bemerkenswert ist. Zum einen wurde er in Masada ausgestellt. Das aber ist keine Stadt und kein Dorf,

sondern ein isolierter Tafelberg fünfundzwanzig Kilometer weiter südlich, tief in der Wüste, über dem Südwestufer des Toten Meeres. König Herodes, genannt der Große, hatte ihn sich zu einem gigantischen Festungspalast ausbauen lassen, nachdem er 37 vor Christus mit römischer Hilfe die Herrschaft über die Judäa, Samaria und die anderen jüdischen Gebiete errungen hatte.

Die zweite Besonderheit an jenem Scheidebrief ist das Datum. Es benutzt die Jahreszählung, die Juden im Jahr 66 nach Christus eingeführt hatten, als ihr Aufstand gegen die römische Oberhoheit begann. Nach anfänglichen Erfolgen endete die Rebellion in der Katastrophe. Der Feldherr Vespasian und, nach dessen Erhebung zum Kaiser, sein Sohn Titus beendeten den Aufstand 70 nach Christus mit der Zerstörung Jerusalems. Doch das „sechste Jahr“ ist 71 nach Christus Tatsächlich harrten am Ende knapp eintausend Juden noch bis zum Frühjahr 73 oder 74 in Masada aus, darunter vermutlich auch Miriams Ex-Mann. Dann rückte die zehnte Legion unter Lucius Flavius Silva an, zog eine vier Kilometer lange Belagerungsmauer rings um den Berg, schüttete eine enorme Rampe auf und erstürmte die Festung. Nach dem Bericht des Geschichtsschreibers Flavius Josephus, eines Juden, der selbst an dem Aufstand teilgenommen hatte, dann aber zu Vespasian übergelaufen war, trafen Silvas Legionäre dort oben nur zwei Frauen und fünf Kinder lebend an. Alle anderen waren tot. Die Männer hätten nach einer bewegenden Rede ihres Anführers Eleazar ben Ya’ir zuerst ihre eigenen Frauen und Kinder getötet und sich dann von zehn ausgelosten Kämpfern umbringen lassen, die anschließend ihrerseits Lose zogen.

Dieser Massenselbstmord, verstanden als heroischer Akt, als letzte freie Tat von Freiheitskämpfern, hat Masada berühmter gemacht als alles andere. Weder die spektakuläre landschaftliche Lage der Festung noch der einzigartige Erhaltungszustand ihrer Ruinen hätten sie wohl sonst zur zweitwichtigsten Touristenattraktion Israels nach Jerusalem gemacht. Und sie wäre auch kaum zum nationalen Symbol für ein kleines Land geworden, das sich von Feinden umgeben sieht. Bis in die 1980er Jahre wurden Rekruten der israelischen Streitkräfte auf Masada vereidigt. Spielfilme, Dokumentationen und Bücher sonder Zahl widmeten sich dem Thema.

Einblicke in Organisation und Logistik des römischen Militärs

Doch jetzt gibt es eigentlich nur noch ein einziges Buch, das man darüber lesen muss. Geschrieben hat es die amerikanische Archäologin Jodi Magness. Sie hatte einst an der Hebräischen Universität in Jerusalem studiert, unter anderem bei Yigael Yadin, einem auch als Politiker aktiven israelischen Archäologen, der in den sechziger Jahren gründliche Ausgrabungen auf dem Festungsplateau unternommen hatte. Dabei war viel Spektakuläres zutage gekommen, das Magness ihren Lesern knapp, aber überaus lesbar und im Licht des aktuellen Forschungsstandes zu schildern weiß. Zu den altertumskundlich wichtigsten Ergebnissen zählen die erste Identifizierung von Bädern zur rituellen Reinigung (Miqva’ot) aus der Antike und überhaupt viele Hinweise darauf, dass die Rebellen in Masada großen Wert auf die Befolgung jüdischer Reinheitsvorschriften legten.

Doch das Buch bietet noch viel mehr. In den neunziger Jahren hatte Magness zusammen mit israelischen Kollegen die ersten größeren Ausgrabungen in den römischen Strukturen bei Masada geleitet. Vor allem erforschte sie eines der insgesamt acht Feldlager – das, in dem sich Flavius Silvas Hauptquartier befand – sowie die Belagerungsrampe. Auch wenn dabei keine Schriftstücke, Waffen, Stoff- oder Skelettreste zutage kamen, wie Yadin sie oben auf dem Festungsplateau fand, sind Magness’ Ausführungen dazu kein bisschen weniger interessant. Die am besten erhaltenen Belagerungswerke der gesamten römischen Welt geben einmalige Einblicke in Organisation und Logistik des römischen Militärs.

Jodi Magness: „Masada“. Der Kampf der Juden gegen Rom.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram.
wbg/Theiss Verlag, Darmstadt 2020.
400 S., Abb., geb., 36,– €uro

Apr. 2020 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton | Kommentieren