Vor 25 Jahren wurde das die Reisefreiheit in weiten Teilen Europas garantierende Schengen-Abkommen unterzeichnet. Nun hat das Coronavirus dazu geführt, dass alle Staaten die Kontrollen an ihren nationalen Grenzen wieder eingeführt haben. Hoffnung auf eine rasche Normalisierung gibt es nicht. Verreisen im Sommer dürfte schwierig werden. Auch wenn angesichts der Pandemie, die Europa und die gesamte Welt prägt wie kaum je ein Thema, derzeit auch mittelfristige Vorhersagen de facto nicht möglich sind, eines zeichnet sich ab: Auch im Sommer dürften die Grenzen innerhalb Europas und auch zwischen den Schengen-Staaten spürbar sein.
„Eine normale Urlaubssaison mit vollen Strandbars und vollen Berghütten wird es diesen Sommer nicht geben können. Das wäre nicht zu verantworten“, so der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag. Selbst EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton geht, wie er heute sagte, mittlerweile davon aus, dass die Grenzkontrollen, die in den Schengen-Staaten in der Coronavirus-Krise eingeführt wurden, über den Sommer fortgeführt werden. Breton äußerte sich im französischen Sender BFMTV. Das heißt: kein ungehindertes Übertreten der Grenzen innerhalb Europas – eine der großen Errungenschaft des Einigungsprozesses. Ob auf der Straße oder in Flughäfen: Soweit die Reise in ein anderes Land überhaupt möglich ist, wird es jedenfalls längere Kontrollen geben.
Die EU-Kommission drängt in der Grenzfrage auf ein koordiniertes und schrittweises Vorgehen der Staaten. Das zeichnet sich bisher aber nicht ab. Darauf weisen erste Vorstöße zu möglichen nationalen Alleingängen hin: etwa Österreich, das um deutsche Urlauber buhlt, und Tschechien, das einen Korridor für Urlauber nach Kroatien möchte. Die Einschränkungen bei der Reisefreiheit dürften auch über den Sommer hinaus dauern – darauf weist etwa die Absage des Münchner Oktoberfests hin, das alljährlich Millionen Menschen aus der ganzen Welt anlockt.
In einer „technischen Gruppe“ wird auf EU-Ebene wöchentlich über Möglichkeiten beraten, welche Standards definiert werden könnten, um ein einheitliches Vorgehen sicherzustellen, wie ein Kommissionssprecher gegenüber ORF.at sagte. In der Gruppe, in der Vertreter der nationalen Grenzbehörden, der EU-Grenzagentur Frontex und Vertreter anderer EU-Behörden zusammengefasst sind, werden die aktuelle Situation und die geltenden Regeln an allen Grenzen verglichen.
Auch die EU-Innenminister beraten wöchentlich. Alles hänge von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Nächste Woche ist laut APA zu dem Thema zudem eine Videokonferenz von EU-Binnenmarktkommissar Breton mit den EU-Tourismusministern geplant.
Zuletzt war eine Diskussion über eine mögliche Grenzöffnung für deutsche Urlauber aufgekommen, nachdem die österreichische Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) eine bilaterale Vereinbarung mit Deutschland ins Spiel gebracht hatte.
Das Gesundheitsministerium hatte zwar zurückhaltend auf den Vorstoß reagiert. Doch ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz wiederholte gegenüber CNN am Wochenende sinngemäß Köstingers Ideen. Auch Kurz kann sich Tourismus im Sommer vorstellen. Am Dienstag präzisierte er: „Wir sind hier insbesondere in Kontakt mit Deutschland und Tschechien. Diese Länder seien „ähnlich erfolgreich wie wir“, meinte Kurz am Dienstag.
Es sei – so der ÖVP-Kanzler weiter – eine Vorgabe der EU-Kommission, „dass alle Mitgliedsstaaten zunächst einmal versuchen werden, mit ihren Nachbarstaaten entsprechende Regelungen zu finden“. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) stellte im „Report“-Interview indes Flugreisen in Aussicht – sofern es anderswo ähnlich positive Entwicklungen wie hierzulande geben sollte, sei das „denkbar“.
Europaministerin Edtstadler: Auf EU-Ebene koordinieren
Und ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg bremste nach den Vorstößen von Köstinger und Kurz aber allzu hohe Erwartungen ein. Nach einer Videokonferenz der deutschsprachigen Außenminister sagte Schallenberg, „dass man keine voreiligen Schritte setzen darf“. Man habe eine enge Abstimmung in der Frage auf Beamtenebene beschlossen.
Eine Sprecherin Schallenbergs sagte der APA, bei der Entscheidung über eine mögliche Grenzöffnung sei die Entwicklung der Pandemiezahlen das entscheidende Kriterium. Der deutsche Außenminister Maas erteilte bilateralen Vereinbarungen de facto eine Absage. Er sprach sich dezidiert für „eine europäische Abstimmung in diesen Fragen“ aus. Kurz betonte kurz danach, dass Österreich sich mit Brüssel abstimme.
Die deutsche Regierung hatte sich bereits am Montag zurückhaltend geäußert: „Wir haben jetzt keine Veranlassung im Moment, die Situation an der österreichischen Grenze zu ändern“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Regierung in Berlin warnt derzeit wegen der Coronavirus-Krise grundsätzlich vor Auslandsreisen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sich ganz offen dagegen aus: „Es ist ein falsches und überaus gefährliches Signal, jetzt über Auslandsreisen im Sommer zu reden“, sagte er. „Die Folge von Auslandsreisen im Sommer könnte eine verheerende zweite Corona-Welle im Herbst sein, die unsere sozialen, schulischen und wirtschaftlichen Strukturen schwer treffen würde“, sagte Lauterbach: „Das wäre eine Katastrophe und keinen Sommerurlaub im Ausland wert.“