Zeit ist Geld: Im automatisierten Börsenhandel machen diejenigen das beste Geschäft, die über das schnellste Datennetz verfügen. Es geht um Millionstelsekunden. Computer handeln mit Computern, einzig ihren Algorithmen verpflichtet. Die Menschen sind längst ausgestiegen und haben das Spielfeld den weitaus effizienteren Geldrobotern überlassen. So ist ein unkontrollierbarer Finanzmarkt entstanden, in dem auf Krisen gewettet wird und Investitionen keine reale Größe mehr sind. Da sitzen sie, muß gedacht werden dürfen, die Strippenzieher, und sie bewegen und gestalten die Geschicke von Nationen. Tun sie das?
Sie handeln mit Rohstoffen, mit Aktien, mit Anleihen, mit Derivaten; sie wissen, weshalb sie sich im Hintergrund halten und für die Öffentlichkeit unbekannte Figuren bleiben möchten.
Es gibt sie, die vielen kleinen und großen George Sorosse: Die die Währungskurse beeinflussen und auf staatliche Haushalte Einfluss nehmen, und seit 2009 sind grundlegend neue Geschäftspraktiken etabliert, der sogenannte Hochfrequenzhandel auf der Basis von Algorithmen, die auf Veränderungen der Marktlage der Börsen reagieren und über Kauf- oder Verkaufsorder entscheiden, und zwar innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Finanz-Cyberspace
Diese automatisierten Abläufe machen menschliche Mitwirkung überflüssig, erstens – sie werden, zweitens, von eigens dafür gegründeten Firmen etabliert, die global agieren und sich eine goldene Nase verdienen, indem bereits winzigste Kursschwankungen erfasst und durch Kauf oder Verkauf in Windeseile ertragreich umgesetzt werden.
Ein Beispiel aus diesem Finanz-Cyberspace: Im Jahr 2016 handelte der holländische ›Geldroboter‹ Flow Trader mit rund 350 Mitarbeitern Finanzprodukte im Wert von 640 Milliarden Euro; ihm verblieben nach Abzug diverser Gebühren rund 400.000 Euro brutto pro gehandelte Milliarde. Die Geldroboter fungieren als Makler. Und ihre Eigentümer behaupten, sie würden eine Dienstleistung zur Verfügung stellen, und zwar das jeweils kostengünstige Anlegen beträchtlicher Vermögenswerte.
Casino 2.0
Und es ist durchaus schräg, was sich im Detail abspielt. So bietet die sogenannte ›Kollokation‹, die Installation des Robot-Programms direkt im Rechenzentrum der Börse, einen zeitlichen Vorteil um minimale Bruchteile von Sekunden, der den Robot-Programmen beträchtliche Handelsvorteile verschafft. Ehrenhauser verweist auf die US-Börse Investor’s Exchange IEX, die jede Transaktion von vornherein um 350 Mikrosekunden ausbremst und damit den zeitlichen Vorteil von Geldrobotern neutralisiert.
Das klingt zunächst einmal alles wie eine ausgefuchste Spielerei in gigantischen Dimensionen. Spielen als Suchterscheinung, Casino eben. Ehrenhauser zeigt jedoch die Gefahren auf, die entstehen, wenn abgezockte Spitzenkräfte die Börsenabläufe per Hochfrequenzhandel gestalten und allein zum eigenen Vorteil ausnutzen.
Flash Crash
Wie es scheint, regieren auch Gesetze des Dschungels, etwa mit dem Versuch großer institutioneller Anleger, die Abzocke der Geldroboter zu umgehen und in sogenannte Dark Pools abzutauchen.
Alles begann im Spielerparadies Las Vegas, wo Mitte der 1970er Jahre junge Physiker versuchten, mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen die Bank zu überlisten. Ihre Algorithmen machten aus Roulette und Blackjack berechenbare Operationen – und ließen sich erfolgreich auf den Finanzmarkt übertragen. Handelscomputer, sogenannte Geldroboter, übernahmen nun die Rolle von Börsenmaklern. Der automatisierte Börsenhandel ist heute ein Multimilliarden-Dollar-Business. Nicht mehr die Investition an sich führt zum Gewinn, sondern der vielfache Kauf und Wiederverkauf. Winzige Spannen ergeben durch große Auftragsvolumen riesige Profite – oder aber fast unvorstellbare Verluste. Als im Februar 2018 die Kurse weltweit in die Tiefe stürzten, hatte niemand eine Erklärung dafür. Binnen weniger Minuten lösten sich Milliarden Dollar in nichts auf. Beinahe kam es zu einer neuen Weltwirtschaftskrise. Inzwischen sind sich Experten einig, dass es Geldroboter waren, die den Kollaps des Börsenhandels verursachten. Nicht weil sie fehlerhaft programmiert oder ineffizient waren – sie waren schlicht und ergreifend zu schnell.