Als Schwarzen Schwan (Black Swan) wird ein unerwartetes Ereignis von enormer Tragweite bezeichnet, das die Finanzmärkte abrupt aus der Bahn werfen kann und unser Leben, unser Geschäftsmodell oder die Welt als Ganzes vollkommen auf den Kopf stellt. Schwarze Schwäne sind zwar selten, aber sie können überall auftauchen. Geprägt hat den Begriff der Publizist und Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb in seinem 2007 erschienen Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“.
Taleb beschreibt, dass Menschen es sich in einer „Zone des Vorhersagbaren“ bequem machen und so extrem unwahrscheinliche Ereignisse kaum eine Rolle in der Risikobetrachtung spielen. Allerdings treten diese häufiger auf, als man annimmt, wie etwa bei der Subprime-Krise in den USA, der Lehman-Pleite oder dem Tsunami in Japan mit der anschließenden Atomkatastrophe von Fukushima.
Die aktuelle Entwicklung lässt nun die Sorge aufkommen, das Corona-Virus könnte sich als ein solcher „Schwarzer Schwan“ entpuppen. Nach einer Umstellung der Erfassungsmethode hat sich die Zahl statistisch erfasster Infektionen mit dem Coronavirus in China gegenüber gestern nahezu verzehnfacht. Wie das chinesische Staatsfernsehen laut Tagesschau berichtete, wurden in der besonders schwer betroffenen Provinz Hubei 14.840 Fälle neu registriert.
Am Vortag waren in Hubei noch 1638 neue Infektionen gemeldet worden. Auch die Zahl der nachgewiesenen Todesopfer durch das Coronavirus stieg in der Provinz um mehr als das Doppelte. 242 neue Todesopfer wurden registriert, womit die Gesamtzahl der Toten in der Provinz seit Ausbruch der Krankheit bei 1.310 liegt. Gestern hatten die Behörden 97 Todesopfer gemeldet. Der KP-Chef der Provinz Hubei wurde abgesetzt, die chinesische Politik ist aufgrund ihrer umstrittenen Informationspolitik unter Druck.
Deutschland ist denkbar schlecht vorbereitet
Ein abgestimmtes europäisches Vorgehen zum Schutz vor der Pandemie gibt es bislang nicht. Auch Deutschland ist auf eine wahrscheinlicher werdende Pandemie denkbar schlecht vorbereitet, sagte Professor Christian Droste, Leiter des Instituts für Virologie an der Charité heute morgen im Deutschlandfunk: „Die Gesundheitsämter sind schlecht ausgestattet in ganz Deutschland, die haben zu wenig Personal, die müssen aber das Meldesystem organisieren“.
Für ein noch größeres Problem halte er die Krankenhäuser: „Allein in den vergangenen zehn Jahren wurden so viele Reserven aus dem Gesundheitssystem herausgespart, die uns jetzt fehlen werden in einer Pandemie“. In einer solchen Situation müsse das System entsprechende Reserven haben, um den Ansturm von Patienten zu organisieren. Dies sei aber nicht der Fall: „Es ist natürlich so, dass Sie auch schwere Fälle haben, und diese Personen müssen auf Intensistation behandelt werden – und auf Intensivstationen sind die Betten immer knapp.“
Die Ausbreitung der Krankheit und die Bemühungen, sie einzudämmen, sind überdies dabei, große Bereiche der Weltwirtschaft lahm zu legen. „Sie gehören zu den größten kurzfristigen Bedrohungen für das weltweite Wachstum“ sagt Neil Shearing, Chefökonom bei Capital Economics. Der Ausbruch des Corona-Virus trifft Chinas Exportwirtschaft dramatisch und unterbricht die globalen Lieferketten. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist seit zwei Wochen nahezu zum Erliegen gekommen.
Auswirkungen größer als bei SARS
Die Auswirkungen werden voraussichtlich viel größer sein als der Ausbruch von Sars, einem weiteren Coronavirus, das 2002 in China ausgebrochen ist. Die chinesische Wirtschaft ist heute mehr als viermal so groß und stärker mit dem Rest der Welt vernetzt.
Wichtige Zentren, darunter die Stadt Wuhan – das Epizentrum der Krise – wurden weitgehend stillgelegt. Unternehmen in und um Wuhan sind die weltweit größten Exporteure von elektrischen und elektronischen Komponenten. „Der Ausbruch des Coronavirus wird den globalen Fertigungssektor in der ersten Hälfte des Jahres 2020 wahrscheinlich in der Rezession halten. Elektronik und Computer sind am stärksten gefährdet“, sagte Ana Boata, Ökonomin bei Allianz Research. Aber auch der Nachschub von in der Region produzierten Arzneimitteln droht unterbrochen zu werden.
Wuhan hat sich vor allem auch zu einer Drehscheibe für Chinas boomende Exporte von Autoteilen und -zubehör entwickelt, der Sektor hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, die Ausfuhren von Motoren und Motorenteilen vervierfacht. Viele dieser Produktionsstätten wurden geschlossen. Der italienisch-amerikanische Hersteller Fiat Chrysler sieht die Gefahr, dass er mangels Teilen seine komplette Produktion innerhalb weniger Wochen einstellen muss. Hyundai war bereits gezwungen, seine südkoreanischen Werke in der ersten Februarwoche zu schließen, Volkswagen hat die Wiederaufnahme der Produktion in seinen chinesischen Werken bis zum 17. Februar verschoben.
Besonders hart betroffen von der Entwicklung sind die asiatischen Schwellenländer. Mehr als ein Drittel der Importe von Industriegütern nach Südkorea, Vietnam, Indonesien und den Philippinen kommen aus China. „Chinas Rolle im Zentrum der globalen Lieferketten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Unterbrechung auf andere Länder übergreift“, sagt Ökonom Neil Shearing. „Die Volkswirtschaften in den asiatischen Schwellenländern sehen am verwundbarsten aus, ebenso wie Unternehmen, die sowohl im Technologie- als auch im Elektroniksektor tätig sind“.
In der deutsche Autoindustrie, die sich durch hausgemachte Probleme und politische Vorgaben ohnehin bereits in einer Krise befindet (Mercedes beispielsweise kündigte gerade die Streichung von 15.000 Stellen an), leuchten sämtliche Warnblinker.
BMW, Daimler und Volkswagen sind laut einer Analyse von Ernst&Young besonders abhängig vom chinesischen Markt. Mehr als jedes dritte Auto, das Volkswagen, BMW und Daimler 2018 verkauften, ging an die Chinesen. Bei Volkswagen ist die Abhängigkeit am größten: Europas größter Autobauer verkauft rund 40 Prozent seiner Fahrzeuge in China – zuletzt waren es 4,2 Millionen. So haben die Wolfsburger allein einen Marktanteil von über 18 Prozent auf dem Markt.
Noch am Montag, dem 7. Januar, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess, der persönlich die strategische Führung des China-Geschäfts übernehmen wollte, vor Journalisten in Peking: „Die Zukunft von Volkswagen wird sich auf dem chinesischen Markt entscheiden“. Diese Aussage könnte sich nun als verhängnisvolles Omen erweisen.
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