Wer auf den Einfall käme, nach Shakespeare John Donnes Elegien und Sonette zu lesen, könnte – es sei mal so halblaut geflüstert – es auf deutschen Laken selbst bei weitschweifig geführtem Liebesleben mit jeder Geliebten in einer anderen Übersetzung tun. Und in zahlreichen guten, eigensinnigen. John Donne aber, dessen Gedichte die seines Zeitgenossen in ihrem Informationsgehalt für solche und ähnliche Umstände weit übertreffen, ist im Deutschen fast unbekannt. Schliefen die deutschen Romantiker in Wahrheit doch allein? Und, wenn, weshalb konnten sie dann nicht wenigstens in einer Lyrik, die dort, wo sie nicht von der Frauenfrage handelt, katholische und protestantische Gewissensfragen so lange gedanklich hin- und herdrehen, bis man denkt, man sei schon in Deutschland, und dann ihre eigenen religiösen Querelen erkennen?

Ohne die Assistenz von Übersetzern mit eigener dichterischer Programmatik half Donne hierzulande nicht einmal das spätere Interesse einiger anglo-amerikanischer Lyriker an seiner Verbindung von Theologie, Sexualität und Rhetorik. T. S. Eliot bemühte sich um den Nachweis, das Empfindungsvermögen Donnes sei ein Schlüssel zur geistigen Situation der europäischen Avantgarde; in seinem Werk zeichne sich zuerst die Krise des modernen, von Relativismen und Dualismen geplagten Intellekts ab.

Der Bogen, der damit von Donne zu Baudelaire geschlagen werden sollte, wurde auf dem Kontinent nicht sichtbar. Im besten Fall existieren Vorurteile wie dasjenige, es handele sich um „metaphysical poetry“, was man nur mit „Gedankenlyrik“ übersetzen muß, um selbst Gutmütigen die Lust auf Lektüre zu lähmen.

„Wenn Giftsalz, wenn der Baum, der uns den Tod / Mit seiner Frucht gab (einst unsterblich wir), / Wenn geile Böcke, Schlangen voller Gier / doch nicht verdammt sind, warum ich, o Not? / Warum macht die Vernunft, in mir geborn, / die gleichen Sünden ärger als beim Tier? / Und Gnade ist doch leicht, ist eine Zier / Für Gott; warum dann droht sein strenger Zorn? / Doch wer bin ich, mit dir Streit zu entzünden? / O Gott! O, mach aus deinem würdgen Blut / Und meinen Tränen Himmels-Lethe-Flut, / Versenk drin das Register meiner Sünden. / Dass du erinnerst, wünscht sich mancher Christ; / Ich nenn es Gnade, wenn Du es vergisst.“

Es kann unter diesen Umständen nur als ein schönes Wagnis bezeichnet werden, wenn ein kleiner Verlag binnen kurzem nun schon zum zweiten Mal eine zweisprachige Auswahl aus dem lyrischen Werk Donnes herausbringt. Von Mut zu sprechen, fällt um so leichter, als der jetzt vorliegende Band nach den Liedern und Liebessonetten des ersten, gerade wiederaufgelegten, seinen Schwerpunkt in der theologischen Dichtung Donnes hat. Auf den ersten Blick mag sie dem Zeitgeschmack noch fremder sein. Fremd vor allem dann, wenn man hier religiöse Gefühle gegenwärtigen Zuschnitts erwartet. Donne hat Jurisprudenz studiert, und etwas Juristisches eignet auch seiner Lyrik. Am deutlichsten tritt es in den „Geistlichen Sonetten“ hervor. Ihr Du ist Gott, aber ihre Form ist nicht die von Gebeten. Donne versucht, Gott in eine Debatte zu ziehen – und sogar noch in Diskussionen darüber, ob diskutiert werden darf: „But who am I, that dare dispute with thee“.

Jedes Gedicht trägt ein Argument vor, nicht selten ein spitzfindiges und oft eines, in dem es ums Recht geht. „Du hast die Anspruchsrechte: Dir allein / Ergeb‘ ich mich“, setzt das erste Sonett ein, um dann mit einem großen „Wie kann es dann aber sein, dass“ anzuheben: dass Gott den Menschen liebt, ihn aber verwirft, der Teufel hingegen ihn haßt und nach ihm greift. Wie kann es sein, dass weder die Schlange noch der Apfelbaum, hingegen der Mensch verdammt ist? Von solchen „Widersprüchen“ wird jeder Vers bewegt. Die schwarze Seele wird rot vor Scham, um vom roten Blut des Erlösers weiß gewaschen zu werden. Gott wird Mensch, um sich für eine schwache Welt zu schwächen. Der Sünder wünscht sich einen vergeßlichen und darum gnädigen Gott. Oder einen solchen: „Ich bin nicht frei, außer Du bändest mich. / Ich bin nicht rein, außer Du schändest mich.“

Solche Wendungen lesen sich wie Extrakte von Predigen. Als James I. englischer König wird, bestellt er 1621 Donne zu seinem Privatgeistlichen, ja verwehrt ihm, überhaupt einen anderen Beruf als den geistlichen zu ergreifen. Doch Donne und Dogma – Eliot hat’s beklagt – reimen sich nicht. „Mein rechten Glauben erbe ein Papist“, dekretiert ein lyrischer letzter Wille, „und meine guten Werke ein Calvinist.“

Ein Sonett unterscheidet die geschminkte ultramontane Wahrheit von der häßlichen deutschen aus Wittenberg und der verschlafenen anglikanischen, die jüdische Wahrheit, die wie Salomons Tempel auf einem Hügel, von der römischen, die auf sieben Hügeln, und der calvinistischen, die auf keinem, sondern am Genfer See erscheint.

Es ist die auf Paradoxien abzielende Form, also ein motivübergreifendes, von Religion, Liebe oder Moral unabhängiges Gestaltungsprinzip. Donnes Gedichte sprechen einen Gedanken nicht aus, um einen anderen anzufügen und zu einem sachlichen Schluß zu kommen. Sie enthalten keine Philosophie in Versen, wie es Samuel Johnson behauptete, als er die Wendung „metaphysical poetry“ in herabsetzender Absicht prägte. Statt dessen halten sie ihren Gedanken fest, um ihn zu ärgern, ihn zu verhören und so lange auf ihn einzuwirken, bis er ein Maximum an Widerstand zeigt. Die besondere Funktion, die Gedanken in einem Gedicht haben können, besteht nicht darin, vom Vers veranschaulicht zu werden. Sie besteht darin, die Inkongruenz von Bild und Wort, von Leib und Seele hervorzutreiben. Man könnte auch sagen: Donne ist aufgefallen, dass Überredung und Übertreibung poetische, theologische und erotische Techniken zugleich sind.

Die vorliegende Übersetzung folgt diesen Wendungen nicht immer. Welche könnte es? Diese dient, gibt dem Rhythmus dabei gegenüber der theologischen Konnotation oft den Vorrang, nimmt mitunter eine Drehung heraus. Über die getroffene Auswahl ließe sich streiten, wenn solcher Streit nicht spitzfindig wäre angesichts der Unbekanntheit Donnes. Und vielleicht ist einigen seiner ergreifendsten Verse, wie etwa dem Gedicht zur Hochzeit des Earl von Somerset, ja sogar ein dritter Band vorbehalten.

John Donne: „Erstürme mein Herz“ – Elegien, Epigramme, Sonette.
John Donne: „Hier lieg ich von der Lieb erschlagen“. Lieder und Gedichte.

Zweisprachige Ausgaben. Herausgegeben und übertragen von Wolfgang Breitwieser.
Verlag Neue Kritik
Frankfurt am Main 132 und 166 S.,eiten geb., je 28,- DM.

März 2020 | Allgemein | Kommentieren