Paul A. Webers Gerücht – Neid durch die Welt  tragend …

Neid war eine der sieben Todsünden im Buch der Bücher. Das hängt uns nach. Auch, wenn Wollust und Völlerei heute nettere Namen erhalten haben und dann doch akzeptabel geworden sind: Neidisch hat man gefälligst nicht sein zu wollen. Allenfalls noch in scherzhaftem Sinn: Da bin ich aber neidisch. Genau: Neidisch, das waren und sind immer die anderen.
Womit – keineswegs ausschließlich theoretisch – wir uns dem seit langer Zeit außer Kurs geratenen Neid  anzunähern versuchen, nachdem nur wenige Autoren, die man flugs als rechte Soziologen abtat, ihn noch bewirtschafteten, ihn sogar zu einer Triebkraft für die und in der Gesellschaft erhoben.

Eine Renaissance erlebte der Neid erst wieder in der politischen Debatte der letzten Jahre; kaum eine der wichtigen Kulturzeitschriften ignorierte das Thema, im Philosophischen Quartett erregte es gar die Gemüter.  Streit um Neid wurde alsbald zum Kampf um Verteilungsgerechtigkeit. Je länger man aber die Debatte verfolgt, um so mehr verschwimmt der Begriff. Gehen wir also mal Wasertreten – und schauen, was dabei raus kommt.

Heiliger Zorn? Oder bloße Mißgunst?

Was nämlich für die Einen allenfalls niedriger Neid unzufriedener Charaktere bedeutet, ist für Andere mehr oder weniger (selbst)gerechte Empörung über soziale Mißstände. Neid also ist nicht einfach ein Gefühl, etwas Substantielles in uns: Neid argumentiert. Und, je nachdem, wie wir zu den Argumenten stehen, heißt, was da in uns bohrt, einfach nur anders: heiliger Zorn oder zersetzende Mißgunst.

Aber hier schon wird es terminologisch schwierig: Ist Mißgunst wirklich dasselbe wie Neid? Für diese Art begrifflicher Kleinarbeit läßt sich zwar Hilfe in philosophischen Traditionen finden, die aber über das Phänomen nachgedacht hat, seitdem ihr suspekt wurde, dass selbst Götter vom Neid getrieben werden – und auch aufgearbeitete philosophische Diskurse gibt es zu Hauf: Neid, wahrlich nicht nur als philosophisches Problem aufgearbeitet? Wir machen gerade einige Erfahrung mit negativen Affekten – Neu diese: Da schiebt ja wer nen nagelneuen Porsche-Rollator durch die Klinikumsflure „Im Plattenwald“ …

Nach Büchern über „Ethik des Selbstmords“ – den  wir freilich von jeher Freitod zu nennen beliebten (und was wir auch künftig so halten wollen und worüber hier drum auch künftig häufig zu lesen sein wird), werden wir uns künftig zunächst einmql der Langeweile und dann der Verzweiflung nähern, womit wir uns unter jene philosophische Front einzumauscheln versuchen wollen, die sich hinwiedeum unter jene Philosophen mischt, die die Bestände ihrer Disziplin aus der rein historisierenden Behandlung durch die (jedenfalls  akademischen) Kollegen befreien und sie für eine Theorie und Praxis der Lebenskunst und Freude – wieder – nutzbar machen wollen.

Dies zu durchmustern bedienen wir uns daran, was jene bereits vorhandenen Theorien und Thesen bislang zu den einzelnen Emotionen jeweils zu sagen hatten – wobei zumindest einige von deren Nutzen und seinen Grenzen reaktiviert werden sollen –  Klassiker – von Aristoteles und Epikur über Bacon und Nietzsche bis hin zu Scheler und Rawls -, ohne mich dabei der Litanei historischer Rosenkränze, also der zeitlichen Abfolge anderer Autoren verpflichtet zu fühlen.
Hingegen sollen hier von mir die Fundstücke in eine systemische Ordnung gebracht werden, in eine Ordnung freilich, die additiv bleibt und nicht über das Vorgefundene hinausgeht. So werde ich mich zwar nicht in aktuelle Debatten einmischen, was mich allerding nicht hindern soll und wird, an einigen Stellen zumindest dann doch einmal über den Gartenzaun meiner – will das mal Erkenntnisse genannt haben – sowie anderer soziologischen, psychologischen oder evolutionsbiologischen Erkenntnisse sodann mehr oder weniger drüber –  oder hinweg – tanzen. Wo dies geschieht, regiert deutlich die Perspektive der Lebenskunst, die konsequent in einem langen Kapitel über Neidverhinderungsmittel gipfelt. Zu diesem Zweck werde versucht den Neid auch erst mal im Gefüge verwandter Affekte zu verorten, so etwa im Verhältnis zu der noch weit existenzielleren Eifersucht, die anders als der duale Neid eine Beziehung unter dreien ist:

Ich bin neidisch auf etwas, das ein anderer hat, eifersüchtig dann aber auf einen dritten, der mir die Gunst der anderen Person streitig machen will. So auch im Verhältnis zu Ressentiment, Groll, Schadenfreude, so aber auch zur Rivalität, der einzigen seelischen Regung, in deren Gestalt seit Kain und Abel der Neid positiv erscheinen kann, ohne uminterpretiert zu werden.

Während nun aber der „gerechte Unwille“, also eine moralisch inspirierte Empörung, den Stein des Anstoßes anders sieht und dabei offen bestreitet, Neid zu sein, ist was wir im Anschluss an Aristoteles „Rivalität“ nennen wollen, Mo-tor zunächst der agonalen Gesellschaft in den antiken Stadtstaaten, dann aber auch der modernen Konkurrenzgesellschaft.
Wir missgönnen dem anderen nicht einfach seinen Besitz, er ist uns Ansporn, Vergleichbares zu erobern – und schon sind wir bei Neid als der Wurzel (fast) allen Ehrgeizes gelandet wären.

Schon Bernard Mandeville ordnete den Neid mit unter die Tugend produzierenden Laster ein, schon in jungen Jahren sei er die treibende Kraft hinter dem Wetteifer. Voraussetzung des Konkurrenzkampfes, Wurzel des Neids ist immer der (schiefe) Blick auf den Anderen, womit sich alsbald auch das „Strukturmoment des Sich-Vergleichens“ ins Zentrum einer Analyse bewegt. Dieser Vergleich entfaltet seine Kraft allerdings immer nur bei Verwandtem. Nur dort nämlich, wo sich die Herkunft und die soziale Situation des Neiders und des Beneideten in etwa gleichen, kann sich das bohrende Gefühl optimal entfalten. So ist dann der Neid – mehr noch als Gefühle ohnehin – eine Emotion des Nahbereichs. Am besten blüht er auf dem Dorf, dort, wo es buch-stäblich „um die Wurst“ geht, oder noch klarer: in der Familie. Viele der mythischen Neider waren Geschwister: Kain und Abel, Joseph und seine Brüder, Aschenputtel und ihre Schwestern. Können dann andere Emotionen des Nahbereichs, zum Beispiel Mitleid, den Neid überwinden? Auch hier lassen sich zustimmenden Autoren aus der Tradition zitieren, auch jene, die Vernunft oder Erziehung, die Aufwertung der eigenen Gruppe oder enge Kooperation mit anderen als Mittel gegen den Neid empfehlen. Am klarsten favorisiert er aber die altbewährten Strategien antiker Lebenskunst: Gelassenheit und ein selbstgenügsames Leben. Oder,  besser noch beim Prediger Salomo: „Besser eine Handvoll Ruhe als beide Fäuste voll Mühe und Jagen nach Wind.“

März 2020 | Allgemein, Essay, Feuilleton, In vino veritas, Politik, Sapere aude, Senioren, Wirtschaft | Kommentieren