Tausende NS-Verbrecher flohen nach dem Zweiten Weltkrieg über die sogenannte Rattenlinie vor allem nach Südamerika – mit Hilfe des Vatikans. Am 2. März wurden jetzt die (bislang geheimen) Archive von Pius XII. geöffnet. Wie viel wusste der Papst darüber – Und was werden die nun für Wissenschaftler und Theologen geöffneten Archive davon preisgeben?

Der Zweite Weltkrieg ist gerade einmal drei Jahre vorbei, in Westdeutschland tritt 1948 der Marshallplan in Kraft, als einem der größten NS-Kriegsverbrecher aus der Haft im österreichischen Linz die Flucht gelingt: Franz Stangl, ehemaliger SS-Hauptsturmführer und Kommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, verantwortlich für den Tod von nahezu einer Million Juden.

Zu Fuß marschiert Stangl über Graz und Meran nach Florenz

Sein Ziel liegt noch 300 Kilometer weiter südlich: Rom, Hauptstadt Italiens, aber vor allem Sitz des Vatikans. „Sie müssen Franz Stangl sein, ich habe schon auf Sie gewartet“, begrüßt ihn dort der römische Bischof Alois Hudal und besorgt Stangl falsche Papiere. Damit setzt sich Stangl nach Syrien ab, lässt seine Familie nachkommen und wandert von Damaskus 1951 nach Brasilien aus. Der Mann, der den Massenmord in den Konzentrationslagern perfektionierte, montiert in der Nähe von Sao Paulo jahrelang Automobile bei Volkswagen.

Der Österreicher Franz Stangl ist einer von Tausenden NS-Kriegsverbrechern und -Kollaborateuren, dem mit kirchlicher Hilfe die Flucht gelingt. Über die sogenannte Rattenlinie: von Innsbruck über die Alpen nach Meran oder Bozen in Südtirol, dann nach Rom und von da in die italienische Hafenstadt Genua. Stangl wählt den Umweg über Syrien, die meisten Nationalsozialisten fliehen mit dem Schiff direkt nach Südamerika, vor allem nach Argentinien – das „Kap der letzten Hoffnung“ für die Nationalsozialisten, wie es der Autor und Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal ausdrückte.
Nach seiner Festnahme in Brasilien 1967 wird Franz Stangl in die Bundesrepublik ausgeliefert und in Düsseldorf zu lebenslanger Haft verurteilt. Er stirbt am 28. Juni 1971 im Gefängnis an Herzversagen

Kein ausgetüftelter Plan, eher spontane Zusammenarbeit

„Die Rattenlinie war kein durchstrukturiertes System, sondern bestand aus vielen einzelnen Komponenten“, sagt der Historiker Daniel Stahl vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Es war eher eine spontane Kooperation verschiedener Institutionen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach etabliert hat.“ Da ist zunächst die Flucht über die Alpen nach Italien, Schlupfloch für 90 Prozent der NS-Täter.

Dann die erste Zwischenstation Südtirol: Im Kloster des Deutschen Ordens in Meran, im Kapuzinerkloster bei Brixen oder im Franziskanerkloster bei Bozen – weshalb die Rattenlinie auch Klosterroute genannt wird – verstecken sich die Kriegsverbrecher oft über mehrere Jahre, sammeln Geld für die Flucht nach Übersee. Dort kommt es manchmal auch zu der absurden Situation, dass Täter direkt neben Opfern des Nationalsozialismus untergebracht sind: Juden, die nach Palästina wollen.

Gefälschter Pass für Adolf Eichmann: Als Riccardo Klement flieht er nach Argentinien

Und von da geht es weiter nach Rom. Liegt ein Schreiben der katholischen Kirche über die Identität vor, ist der Reisepass durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das bis 1951 circa 120.000 Papiere ausstellt, nur noch Formsache. „Es geht ja immer wieder die Geschichte um, dass es schon vor Ende des Zweiten Weltkriegs einen klar durchdachten und ausgetüftelten Plan gab, was die Flucht der Nationalsozialisten anging. Doch das ist falsch. Auch ein Franz Stangl irrte erst einmal durch Rom, ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte“, erklärt Stahl. Viel läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Dabei fällt aber oft der Name von Alois Hudal, der sich später erinnert, viele der Verfolgten seien „ganz schuldlos“ gewesen, darum habe er sie „mit falschen Ausweispapieren ihren Peinigern entrissen“.

Derselbe österreichische Bischof und Helfer also, der sich während des Dritten Reiches klar als Nazi-Sympathisant positionierte. Was wäre passiert, hätte die katholische Kirche nicht ihre schützende Hand über viele NS-Kriegsverbrecher gehalten? „Für Stangl und die anderen wäre es auf jeden Fall viel schwieriger geworden zu fliehen“, ist sich Historiker Daniel Stahl sicher.

Lange Liste von NS-Kriegsverbrechern, die über die Rattenlinie fliehen

Und so entwickelt sich die Rattenlinie mit dem weiteren Zwischenstopp Genua zu einem Fluchtweg, den später sogar der US-Geheimdienst nutzt, um so Spione in die Sowjetunion zu schleusen. Die Liste der Massenmörder, die sich vor allem nach Argentinien (das am 27.März 1945 als letzter Staat weltweit Deutschland den Krieg erklärt hatte) absetzen, ist lang:

Adolf Eichmann

Adolf Eichmann bei seinem Prozess in Israel am 12.April 1961

Adolf Eichmann, Organisator des Holocaust flieht als Riccardo Klement aus Bozen 1950 nach Argentinien und holt später seine Familie nach. Aus Dank über die Fluchthilfe des Vatikans tritt der Protestant Eichmann sogar in die katholische Kirche ein.

Er arbeitet zeitweise als Elektriker im LKW-Werk von Daimler-Benz. 1960 wird er in einer spektakulären Aktion vom israelischen Geheimdienst Mossad entführt, in Israel vor Gericht gestellt und in der Nacht vom 31.Mai auf den 1. Juni 1962 hingerichtet.

Josef Mengele

Der KZ-Arzt von Auschwitz Josef Mengele traf in Argentinien mehrmals Präsident Juan Domingo Perón

Der sadistische KZ-Arzt von Auschwitz flieht 1949 nach Südtirol, wo ihm Helfer einen neuen Pass verschaffen. Die neue Identität: Helmut Gregor, 38 Jahre, katholisch, Mechaniker. Geboren im Südtiroler Weinort Tramin, womit Mengele die wichtigste Bedingung für eine Ausreise erfüllt: Als Südtiroler gilt er als Volksdeutscher, als Staatenloser, und hat damit Anspruch auf einen Reisepass des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Mengele bleibt bis zu seinem Tod unbehelligt in Südamerika, lebt in Argentinien, Paraguay und Brasilien. Am 7.Februar 1979 erleidet er beim Baden im brasilianischen Badeort Bertioga einen Schlaganfall und ertrinkt.

Klaus Barbie

Deckname Adler: Der Bundesnachrichtendienst rekrutierte Klaus Barbie 1966 in Bolivien für ein Jahr als Informant

Der als „Schlächter von Lyon“ bekannte ehemalige Gestapo-Chef der französischen Stadt setzt sich als Klaus Altmann aus Rumänien nach Südamerika ab. Barbie erhält mit Hilfe des CIA 1951 ein Visum für Bolivien und bekommt auch weiterhin Aufträge vom US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst und vom Bundesnachrichtendienst BND. Seit 1970 ist sein Aufenthaltsort der Öffentlichkeit bekannt. 1983 liefert Bolivien ihn nach Frankreich aus, wo er zu lebenslanger Haft verurteilt wird und in Haft am 25. September 1991 an Krebs stirbt.

Erich Priebke

In einem ersten Prozess in Rom 1996 wurde Erich Priebke zunächst freigesprochen, weltweite Proteste waren die Folge

Der SS-Hauptmann, der 1944 mitverantwortlich für das Massaker an 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen in der Nähe von Rom ist, flieht als Otto Pape aus Lettland nach Bariloche in Argentinien. Die argentinischen Behörden liefern ihn 1995 nach Rom aus, wo er drei Jahre später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wird und am 11. Oktober 2013 im Hausarrest stirbt.

 

 

Walther Rauff

Walther Rauff arbeitete zwischen 1958 und 1963 sogar fünf Jahre für den BND in Südamerika

Rauff war der Erfinder der Gaswagen-Tötungsmaschinen, bei denen die Abgase ins Wageninnere geleitet wurden. Laut Haftbefehl hat er mindestens 97.000 Morde begangen. 1949 entkommt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern über die Rattenlinie zunächst nach Quito, Ecuador und zieht dann nach Chile. Der Auslieferungsantrag der Bundesrepublik wird 1963 abgelehnt, da die Rauff zur Last gelegten Verbrechen nach chilenischem Recht verjährt waren. Rauff stirbt am 14.Mai 1984 im chilenischen Las Condes als wohlhabender Konservenfabrikant an einem Herzinfarkt.

Was wusste Papst Pius XII. von der Rattenlinie?

So viel Historiker schon über die Rattenlinie zusammengetragen haben, eine Frage ist bis heute, 70 Jahre später also, nicht eindeutig beantwortet: Wie viel wusste Pius XII. davon? Der Italiener Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli, der Papst am 2.März 1939 wurde, kurz bevor der Zweite Weltkrieg begann, und Pontifex bis zu seinem Tod am 9.Oktober 1958 blieb.

Hubert Wolf will das herausfinden. Der Kirchenhistoriker ist am 29. Februar nach Rom geflogen und wird sich nun mit Dutzenden anderen Kollegen aus aller Welt vier Monate lang durch die vatikanischen Archive wühlen. Denn der Kirchenstaat hat am 2.März alle Akten aus Pius‘ Amtszeit zugänglich gemacht. „Es ist eine riesige Möglichkeit, viele offene Fragen zu dieser Zeit zu beantworten und eine große Herausforderung. Denn wir reden hier von 300.000, 400.000 archivarischen Einheiten mit jeweils 1.000 Blatt“, sagt der Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster:

„Manchmal kann man in den Archiven ganz überraschende Sachen finden, die man vorher nie ahnen konnte“

Für Wolf ist eine solche Herkulesaufgabe nichts Neues. Er hat schon die Archive zur Inquisition und Indexkongregation durchforstet. „Gegen 400 Jahre Buchzensur sind die 20 Jahre von Pius doch überschaubar“, erklärt der Kirchenhistoriker. Dazu gehöre auch, drei Wochen absolut gar nichts Wichtiges zu finden, um dann auf einmal auf eine Schachtel zu stoßen, die eine echte Goldgrube sei.

 

 

Kirchenhistoriker Wolf hofft auf Antworten zu vielen Fragen

Hubert Wolf mahnt trotzdem zur Geduld. Ein seriöses Gesamturteil über die Archive brauche schon einige Jahre. Doch einige Antworten auf die Fragen zur Rattenlinie erhofft er sich schon, vor allem, wie die interne Kommunikation in der Kurie ablief: „Gab der Papst direkte Anweisungen oder blieb es bei allgemeinen Andeutungen, zum Beispiel, dass wir den Menschen helfen müssen, die ohne Papiere dastehen. Oder gibt es tatsächlich Hinweise, dass der Papst, angeregt durch den CIA, sagt: ‚Wenn wir national zuverlässige Leute in die lateinamerikanischen Länder schicken könnten, wäre das gut, weil dort die Kommunisten am Werk sind, die den ganzen Kontinent umstürzen werden, siehe Kuba‘.“

Dass Pius XII. Angst vor dem Kommunismus hatte, ist bekannt, darauf beriefen sich auch die kirchlichen Helfershelfer der Rattenlinie: Egal, welche Rolle die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges auch spielten, sie hatten den Kommunismus bekämpft und sollten deshalb vor politischer Verfolgung geschützt werden. Der Kommunismus galt schließlich als größte Bedrohung für die katholische Kirche.

„Es kann herauskommen, dass der Papst von der konkreten Hilfe nichts wusste und dass einige Menschen dies schonungslos ausgenutzt haben. Oder Pius wusste alles und drückte die Augen zu“, nennt Kirchenhistoriker Wolf die zwei Möglichkeiten, die seine Recherche in den Archiven ergeben könnte, die alles entscheidende Frage sei daher: „Wurde der Papst also manipuliert oder wusste er wirklich von solchen Leuten wie Mengele? Das wäre dann aber tatsächlich eine ganz neue Dimension!“

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Pius XII ein Leisetreter? Rolf Hochhuths Drama „Der Stellvertreter“, uraufgeführt 1963 in Berlin,
in diesem Drama kommt Papst Pius XII ganz schlecht weg – nämlich als verantwortungsloser „Leisetreter“ gegenüber dem Nazi-Regime. Hochhuths Stück löste eine weltweite Kontroverse aus. Sie könnte jetzt zu einem Ende kommen, denn Papst Franziskus hat gerade die Tür zum vatikanischen Geheimarchiv noch weiter aufstoßen und von 2020 an die geheimen Archive zu Papst Pius XII. freigegeben. Gewöhnlich wartet der Vatikan nach dem Tod eines Papstes mindestens siebzig Jahre, bis er das Geheimarchiv zu dessen Amtszeit öffnet. Im Fall von Eugenio Pacelli wäre das 2028: Er war als Pius XII. von 1939 bis 1958 das Oberhaupt der katholischen Kirche. Wie viel moralische Verantwortung muss die katholische Kirche für den Holocaust übernehmen? Warum sagte der damalige Papst Pius XII. nichts Bedeutendes zum Völkermord an den Juden? Darüber sollen nun bislang gesperrte Akten Aufschluss geben. Wir beschäftigen uns damit.

Pius XII. Wirken bis heute umstritten

In der Tat muss die Frage bis heute gestellt werden dürfen, ob nämlich der damalige Pontifex „zu sehr geschwiegen hat“ zu den Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Unklar ist aber auch, ob er mit seinem Verhalten nicht viel mehr zur Rettung vieler Juden beigetragen hat, als gemeinhin angenommen wird. Im Vatikan aber steht das Urteil längst fest – seit Jahren läuft das Verfahren zu seiner Seligsprechung, die Vorstufe zur Heiligsprechung. Eingeleitet hatte es schon Papst Benedikt XVI. Er löste damit Proteste aus, auch in Israel.

Nun also wurden Archiv-Dokumente am 2. März 2020, dem 81. Jahrestag der Papstwahl von Pius XII., für die Forschung zugänglich gemacht werden. Damit hofft – verlautbart Franziskus – Licht in das Wirken seines Vorgängers bringen zu wollen. „Die Kirche,“ so Franziskus, „hat keine Angst vor der Geschichte. Im Gegenteil, sie liebt sie!“.

Forscher sollen Akten sichten

Ein Teil der Archivalien zu Pius XII. war bereits von Paul VI. (Pontifikat 1963-1978) und Johannes Paul II. (1978-2005) freigegeben worden. Außerdem erstellten Forscher um den Jesuiten Pierre Blet eine elfbändige Edition von Aktenstücken zum Thema Pius und Zweiter Weltkrieg („Actes et documents du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mondiale“, erschienen zwischen 1965 und 1981). Historiker kritisierten indes die Zusammenstellung der Dokumente als unvollständig.

Welche Bedeutung hat nun der Schritt von Papst Franziskus wirklich?

Wahrlich, diese Frage ist auch von Experten nur schwer zu beantworten. Fürs Erste werden etwa 200.000 archivarische Einheiten mit bis zu jeweils tausend Blatt zum Pontifikat Pius‘ XII. von 1939 bis 1958   zugänglich gemacht, es dürfte also zu einer ganzen Reihe von Fragen auch definitive Antworten geben. Und, wahrscheinlich wird damit auch einer Menge bislang verbreiteter Spekulationen der Garaus gemacht. Zu – zum Beispiel – „Hitlers Papst“ – da Pius und das ist nun mal verbürgt – er zum Holocaust konsequent geschwiegen hat, verbirgt sich ja möglicherweise die Lesart, er habe geschwiegen, um Schlimmeres zu verhindern“ – Die holländischen Bischöfe aber, die haben protestiert; woraufhin dann die Zahlen der Deportationen hochgingen. Das ist die die andere Lesart. Viele meinen, sagen und schreiben, er hätte unbedingt reden müssen. Wenn er geredet hätte, dann wären die Deportationen runtergegangen. Das jedenfalls ist der Vorwurf, den Hochhuth dem Papst macht. Und der ist heute so jedenfalls nicht haltbar.

Aber, nun gilt es erst Papierkram zu sichten und zu ordnen: Ab wann weiß der Papst eigentlich was genau? Wann weiß er von der sogenannten Endlösung der Judenfrage? Wann weiß er von Auschwitz? Von wem hat er was erfahren? Was wurde und was wird intern in der Kurie diskutiert? Mit wem redet der Papst? Hat er überhaupt irgendetwas gewusst? Gab es Kommissionen, die diese Frage diskutieren? Und wie ist das mit diesem angeblichen, für Radio Vatikan gedachten Protest des Papstes, zu dem die Haushälterin Pascalina Lehnert in ihren Erinnerungen schreibt, der Papst habe diesen Protestbrief im Ofen der päpstlichen Wohnung verbrannt?

Das alles sind Spekulationen, da hofft man (muss man) hoffen, dass man zu alledem Neues erfährt? Dass man aus dem Archiv Neues erfährt, darf angenommen werden. Wie aber können wir heute differenzieren?  Darüber – mal wieder zum Beispiel – was der Nuntius aus der Schweiz berichtet hat – und nach Sichtung der Dokumente heute in die Schweiz berichtet? Und, was ist mit den Apostolischen Delegaten in den USA? Welche Kontakte hatte und oder hatte der Papst zu amerikanischen Geheimdienstkreisen? Das sind alles Fragen, die kaum wer zu beantworten in der Lage ist.

Und auch dies ist zumindest zu bedenken:

Wir schreiben wir das Jahr 2019 und da gibt  nun Papst Franziskus die Archive frei. Nicht nur nach ihrem Umgang mit dem Missbrauchsskandal steht Kirche nicht wie von Paulus gefordert, wie ein Fels in der Brandung, Kirche hat derzeit gerade mal wieder aktuell auch sonst einen schweren Stand. Wieso fasst Franziskus gerade jetzt dieses heiße Eisen an?

Es sei längst überfällig, ließe sich sagen. Es ist ja bekannt, dass Benedikt XVI. bereits 2007 den Auftrag gegeben hat, an das Sichten und Ordnen dieser Dokumente zu gehen, und dass die Öffnung eigentlich viel früher geplant war. Jetzt wird natürlich gesagt, angesichts der großen Massen – ich habe ja von den 200.000 Einheiten gesprochen – haben die Archivare einfach länger gebraucht. Das alles kann sein, das läßt sich von außen schlecht beurteilen.

Es gibt auch Vermutungen, der Papst wolle vom Missbrauch ablenken und deshalb diskutieren wir jetzt über den Holocaust und das Verhalten der Kirche während des Zweiten Weltkriegs. Auch das läßt sich sehr schlecht beurteilen. Mag sei, dass Franziskus den Geburtstag und den Wahltag 2. März – Pius XII. ist ja an seinem Geburtstag zum Papst gewählt worden – genutzt hat.

Es muss geglaubt werden dürfen,

dass diese endlose Diskussion wirklich nur dadurch beendet werden kann, dass man die Quellen zugänglich macht. Es war und ist im Umgang mit Überlebenden des Holocausts ungeheuer bedrückend, wenn Menschen, die das durchgemacht haben, sagen, ich hoffe, dass ich noch erlebe, dass die Quellen zugänglich werden, damit wir wissen, wie der Papst sich zum Schicksal unseres Volkes verhalten hat.
Da hilft nichts anderes als Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es hilft nichts anderes, als die Dinge auf den Tisch zu legen.

Bad Friedrichshall – im „Klinikum Am Plattenbaum“
März 2020 (got)

März 2020 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren