Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat (immer mal wieder) eine Gesetzesvorlage eingebracht, mit dem sie eine Verschärfung des sogenannten „Gotteslästerungsparagraphen“ §166 StGB erreichen will (Drucksache 14/4558).
Wie unter anderem der Fall des in den neunziger Jahren verbotenen Musiktheaterstücks „Das Maria-Syndrom“ gezeigt hat, gefährdet der Paragraph bereits in seiner jetzigen Fassung die verfassungsrechtlich garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit. Mit einer weiteren Verschärfung des Paragraphen könnte missliebige, aber berechtigte Kritik in Zukunft noch willkürlicher als bisher verhindert werden.Besonders bedenklich ist, dass, derweil in der Vergangenheit nur eine kleine Gruppe von rechtskonservativen Parlamentariern für die Verschärfung des Paragraphen eintrat, nun die gesamte CDU/CSU-Fraktion die Gesetzesvorlage unterstützt. Es scheint so, als ob die CDU/CSU, nachdem sie mit der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften eine empfindliche Niederlage einzustecken hatte, nun auf „Teufel, komm raus!“ die letzten Bastionen des christlichen Abendlandes zu retten versucht.
Die Neue Rundschau, die sich seit vielen Jahren für die Rechte der nichtreligiösen Bevölkerung einsetzt, fordert von den politisch Verantwortlichen, dass sie sich endlich gegen solche fundamentalistisch anmutenden Vorstöße deutlich entschiedener als bisher zur Wehr setzen.
Mit der vorliegenden Gesetzesvorlage versucht die CDU/CSU-Fraktion das Rad der Geschichte um 30 Jahre zurückzudrehen. Die Strafrechtsrechtsreform von 1969 war ein wichtiger Schritt hin zur Stärkung demokratischer Freiheitsrechte in Deutschland. Wir haben uns entschieden gegen die offensichtlichen Bemühungen konservativer Hardliner zu wehren, die Erfolge der deutschen Studenten- und der sich an sie anschließenden Bürgerrechtsbewegungen im Nachhinein zu diskreditieren.
Angesichts der Tatsache, dass die Störung der Religionsausübung nach § 167 StGB und Beleidigungen nach § 185 StGB geahndet werden können, ist offensichtlich, dass die angestrebte Verschärfung des § 166 vor allem ein Ziel verfolgt: die Etablierung „heiliger“, d.h. argumentationsfreier Zonen in der Gesellschaft. Mithilfe solcher Zensurzonen lässt sich Politik nach der Devise „Stimmung statt Argumente“ betreiben, wie die unheilvolle Geschichte des § 166 StGB eindrucksvoll belegt.
Schon in seiner jetzigen Fassung stellt der Gummiparagraph 166 StGB, dem neben einer gewaltigen Menge anderer wie etwa Wilhelm Busch, Bertolt Brecht, George Grosz, Oskar Panizza und Arno Schmidt zum Opfer fielen, eine ständige Bedrohung für die pluralistisch verfasste Gesellschaft dar, er widerspricht der produktiven Streitkultur der Aufklärung – (die wir mit unserem Motto: sapere aude, wage zu wissen, auch zu der unseren gemacht haben). Auf der politischen Tagesordnung sollte nicht die Verschärfung dieses verhängnisvollen Zensurparagraphen stehen, sondern seine schon seit Jahren anstehende, ersatzlose Streichung! Wie das sogar im mehrheitlich katholischen Italien seit geraumer Zeit bereits geschehen ist. In der jetzigen Fassung schützt §166 StGB religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse vor Beschimpfungen, „die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören“. Die Eignung nämlich zur Störung des öffentlichen Friedens kann dabei sehr weit ausgelegt werden, wie in jüngster Zeit vor allem der Fall „Maria-Syndrom“ bewiesen hat. Hier wurden Morddrohungen, die von christlich fundamentalistischer Seite gegen den Autor formuliert wurden, juristisch als Begründung dafür herangezogen, dass der Autor mit seinem Werk gegen den öffentlichen Frieden verstößt. Das Opfer wurde also bestraft und den Tätern Recht gegeben. Würde man das gleiche absurde Rechtsprinzip auf den Umgang mit rechtsradikalen Gewalttätern anwenden, müssten Asylheime geschlossen werden, um so den sozialen Frieden wiederherzustellen …
Die CDU/CSU möchte die Zugriffsmöglichkeiten der Justiz nun zusätzlich erweitern, indem sie vorschlägt, die Bedingung zur Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens aus dem Gesetzestext zu streichen. Damit würden aber ordnungsstaatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet. (gott)
Weitere Informationen zur Problematik des §166 StGB finden sich in dem Buch
„Zensur im Namen des Herrn“ (Alibri-Verlag, Herausgeber Clara und Paul Reinsdorf).
Dieser Beitrag erschien im Januar 2008 in der Neuen Rundschau; unser damals für die Technik zuständige Mitarbeiter rief mich etwa ein Jahr später an, meinte er habe einen Artikel gelesen, der sich mit einer ähnlichen Thematik beschäftigt und mailte mir den Text. Ich bat ihn, diesen unter unserem Text (oben) zu verlinken, er setzte den von ihm modifizierten Text allerdings unter meinen Beitrag. Dies wurde der Autorin, Dipl. Psychologin Ursula Neumann jetzt, nach zehn Jahren, gerade mitgeteilt. Wir möchten uns dafür ausdrücklich entschuldigen und verlinken nun ihren Beitrag in der Zeitschrift des IBKA – „Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V.“ in der richtigen Form. Dies, weil wir meinen, dass ihr Text ein wertvoller Beitrag zur hierzulande immer mal wieder angesagten Diskussion ist.