Es gibt sie: eine Vielzahl guter und wichtiger Aktionen, Kampagnen und Initiativen, die zum Thema Coronavirus wirklichen Mehrwert bieten.
Immer mehr Trittbrettfahrer aber nutzen die aktuelle Krise für plumpe Werbung in eigener Sache. Eine PR-Unsitte, die am Ende mehr schadet als nutzt. Das Spiel beginnt beim allmorgendlichen Blick in die Mails: Pressemitteilungen, Gesprächsangebote, mögliche Gastbeiträge. Die Postfächer der Redaktionen – auch die der Branchendienste – füllen sich und spülen eine bunte Melange möglicher Inhalte ins noch schläfrige Hirn.
Da ist einerseits der Journalist, der zwischen wichtigen und unwichtigen Themen entscheiden soll. Da sind andererseits die Unternehmen und Agenturen, die ihre eigenen Themen setzen möchten. Es ist ein Spiel um Aufmerksamkeit in einer Welt, in der jeder zum Sender wird.
Die Regeln sind aber immer schon die gleichen: Wer überzeugt, kommt rein. Wer nicht überzeugt, bleibt draußen. Nur die Spielweise variiert. Aktuell treibt etwa der Wunsch reinzukommen wieder ganz besondere Blüten. Denn die Coronakrise – und das mehr noch als andere große Themen der vergangenen Monate wie Migrationspolitik, Nachhaltigkeit oder Klimawandel – ist derart omnipräsent, dass sie zunehmend leider auch als Anlass für billige PR genutzt wird. Gerade so, als garantiere die „richtige Klamotten“ schon den Platz am Bankett. Eine PR-Unsitte, die in Krisenzeiten – in solchen zummal – mehr schadet als nutzt.
Wichtige Appelle und plumpe Ansprache
Ja, es gibt sie, die guten Aktionen, Kampagnen und Initiativen, die mit der Coronakrise zusammenhängen. Sie sind clever, verspielt, informativ, sozial oder alles zusammen. Es gibt sie, weil es ne Menge gute Köpfe gibt. Auch unter den Werbetreibenden, in den Agenturen und PR-Abteilungen. Kluge Köpfe, die wissen, wann die rechte Zeit für die richtige Botschaft und die richtige Aktion ist; die wirklich Mehrwert bieten. 360-Grad-Aufklärungskampagnen zu Covid-19, große Spendenaktionen, Unterstützung bei der Produktion von Desinfektionsmitteln und Mundschutzmasken. Aber auch neue Angebote, mit denen das Leben der im Homeoffice gefangenen Eltern erleichtert wird, oder wichtige Appelle in Video, Wort und Schrift, gebührenden Abstand zu halten, gehören dazu.
Doch echte Solidarität ist ein rares Gut und echter Mehrwert noch rarer. Eine ganze Reihe von Unternehmen und Marken – ohne an dieser Stelle mit dem Finger auf sie zu zeigen – gehen ungelenken Schrittes einen anderen Weg und werden zu Trittbrettfahren. Tools werden, angeblich als besondere Geste in besonderen Zeiten, temporär freigeschaltet. Gutscheine und Datenvolumen werden verschenkt, Neukunden mit Rabatten gelockt. Die eigenen Kunden und Abonnenten werden – selbstredend aus reiner Nächstenliebe – mit halbgaren Offerten bei der Stange gehalten. Und manche bieten auch nur das, was sie ohnehin anbieten und setzen für den nötigen Twist einfach “Coronavirus” in die Headline ihrer Pressemitteilungen. Hier wird das PR-Tamtam dann endgültig absurd.
Nicht jeder und alles ist systemrelevant
Im Moment wird viel gepredigt, vom Zusammenstehen und Zusammenhalten. Gemeint ist mitunter aber nur der Wunsch, auch in diesen Zeiten ein bisschen Werbung in eigener Sache zu platzieren; ein bisschen Aufmerksamkeit abzubekommen. Sex sells, aber Krise vielleicht auch? Gerade so, als wäre jedes Unternehmen, jede Marke, jede Plattform und jedes Tool systemrelevant. Gerade so, als bräuchte es nur genügend Pathos, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen und seinen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten. Wenn das Böse unsichtbar ist, nicht riecht, nicht schmeckt, ist es nur allzu einfach, der Gute zu sein.
Stimmt schon: Wenn es zu viel wird, kann der Journalist beim allmorgendlichen Blick in die Mails die plumpe Eigenwerbung löschen. Wenn es allzu komisch wird, kann er vielleicht darüber lachen. Wenn es allzu anstrengend wird, behilft er sich mit ein bisschen Ignoranz. Doch es geht nicht nur um den, der am Ende die Auswahl treffen und entscheiden soll, welche der vielen Themen wichtig oder unwichtig sind. Es geht vor allem um jene, die kluge Aktionen, Kampagnen und Initiativen starten und sich plötzlich in zweifelhafter Gesellschaft befinden. Nicht freiwillig, sondern weil sich da einige das Megafon greifen, die in Wahrheit nichts zu sagen haben. Die einen machen gute Kommunikation, die anderen haben nicht verstanden, was die Grundlagen guter Kommunikation sind. Doch die Coronakrise ist der denkbar schlechteste Anlass für billige PR.