Rechtspopulismus-Forscher: „Beobachtung der AfD ist voraussichtlich nicht mehr aufzuhalten“ AfD-Fraktionschefin Weidel hält die Rechtsruck-Vorwürfe einer abtrünnigen Abgeordneten und eines Rechtspopulismus-Forschers für Quatsch. Der Experte spricht von „Selbstverharmlosung“ und warnt vor den Folgen – eine „Beobachtung der AfD ist voraussichtlich nicht mehr aufzuhalten“. In dieser Woche verließ die Abgeordnete Verena Hartmann die AfD-Fraktion.
Die Reaktion führender AfD-Politiker ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nach dem die AfD-Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann erklärte, Fraktion und Partei wegen der wachsenden Macht des rechtsnationalen „Flügels“ zu verlassen, meldeten sich die Bundestagsfraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland zu Wort.
Der „Flügel“ wolle die AfD „voll und ganz übernehmen, da es sich mit diesem „Etikett“ mehr erreichen lässt, als mit dem adäquateren NPD-Label“, schreibt Hartmann. Auf dem letzten AfD-Bundesparteitag seien bereits „die schlimmsten Befürchtungen“ wahrgeworden: „Der Flügel mit seinen rechtsextremen Gebaren nach innen und außen, hat es bis an die Spitze der Partei geschafft.“ Hartmann erhob dabei schwere Vorwürfe gegen Gauland. Dieser habe „ganz offen den Begründer des rechten Flügels, Herrn Höcke, der ‚Mitte der Partei‘ zugehörig“ erklärt. Damit verschiebe sich die Mitte nach rechts und zwinge die gesamte Partei mitzugehen.
Der Rechtspopulismus-Forscher Matthias Quent hält die Analyse Hartmanns für plausibel. Die Reaktionen von Weidel und Gauland bestätigten den Wahrheitsgehalt der Aussagen. „Indem die Fraktionschefs erneut die massive Radikalisierung ihrer Partei in den Rechtsextremismus leugnen, bereiten sie dieser den Weg“, so der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft.
Kritik an Partei- und Fraktionsspitze „vollkommen berechtigt“
Befördert wurde diese Entwicklung von führenden Akteuren der Partei. Weidel beispielsweise habe vor einigen Jahren noch den Versuch der damaligen Vorsitzenden Frauke Petry unterstützt, Höcke aus der Partei auszuschließen, so der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer. Inzwischen habe sie „keine Berührungsängste mehr“. „Ob aus strategischen Gründen oder Überzeugung: die Rechtsverschiebung wird von Partei- und Fraktionsführung mitgetragen“, so Arzheimer.
Und eben darum ist der Austritt Hartmanns aus der Fraktion auch ein Hinweis darauf, dass die AfD nicht ganz so einheitlich und geschlossen ist, wie es manchmal nach außen erscheint. „Diejenigen, die die Partei eher als konservative neue Heimat jenseits der CDU angesehen haben, fühlen sich zunehmend vom rechten Flügel an den Rand gedrängt und sehen, wie dieser langsam die gesamte Partei unterwandert“, so der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst.
Auch die Kritik an der Partei- und Fraktionsspitze, die seit langem den „Flügel“ gewähren lasse, sei „vollkommen berechtigt und nachvollziehbar“, so Probst. „Alexander Gauland und Alice Weidel suchen immer wieder den Schulterschluss mit dem rechtsextremen Teil der Partei, um diesen nicht zu verlieren, weil das eine erhebliche Schwächung der AfD bedeuten würde.“
Das Pikante dabei: Der wachsende Einfluss des Höcke-Flügels dürfte auch eine Rolle spielen bei der Beantwortung der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als Ganzes unter Beobachtung stellen soll. Aktuell trügen Bundes- und Landesämter alle Informationen dazu zusammen und bildeten sich gemeinsam eine Meinung, sagte der Chef der Innenministerkonferenz, der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), vor kurzem dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ich werbe dafür, dass wir das bald machen. Es wird Zeit. Die Informationen liegen ja vor.“ Es gebe keinen Grund, noch sehr viel länger zu warten, so Maier. Ach ja, dies etwa, wie vorzeiten es einen Grund für Schily gegeben hat, die NPD verbieten zu wollen. Ja: Demokraten dürfen beklagen, dass bestimmte Parteien in die Parlamente einziehen; sie dürfen aber nicht die demokratischen Spielregeln in Frage stellen, nur weil diese mitunter den „Falschen“ nützen.
Aber abermals Ja: Es ist die wirksame Denunziation des Faschismus von heute notwendig,
nicht seine zartfühlende Analyse
Aber, und abermals ja und noch lange nicht zu guter Letzt: „Sehr problematisch“ – um in der Sprache des damaligen Innenministers Schily zu bleiben – „ist nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, sondern die einen fassungslos machende“ – haben wir vor 15 Jahren „In vino veritas“ geschrieben – „Gedankenlosigkeit der öffentlichen Reaktion eines Bundesinnenministers, dem traditionell auch die Rolle eines Verfassungsministers zugewiesen ist – wozu es auch eine recht interessante „Rundschau-Umfrage“ gab.
Experten sehen Risiken für Beamte
Aktuell wirf die AfD als Ganzes schon jetzt als „Prüffall“ im Bereich Rechtsextremismus behandelt. Und neben Höckes „Flügel“ hat der Verfassungsschutz auch die Junge Alternative zum sogenannten Verdachtsfall erklärt – die letzte Stufe vor der Einstufung als Beobachtungsobjekt in Gänze.
Der Politik-Professor Probst ist sich sicher: „Der Kurs der Parteiführung und der Vormarsch des Flügels beschwören die Gefahr einer Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz herauf.“ Und das, das sei gerade für diejenigen, die im öffentlichen Dienst oder sensiblen staatlichen Sicherheitsbereichen arbeiten, „natürlich ein Problem, weil sie damit perspektivisch ihren Job riskieren oder zumindest Nachteile in Kauf nehmen müssten“. Ob andere nachziehen, sei allerdings offen. „Personen aus dem Sicherheitsbereich – Polizisten, Sicherheitsdienste, Bundeswehr – sind jedenfalls überproportional bei der AfD vertreten“ –
„Mein Kampf“ nicht gelesen zu haben, behaupten immer noch Viele – „wir haben doch nichts von alledem gewußt und so weiter. AfD Mitglieder aber sollten heute Höcke lesen – um später einmal nicht sagen zu müssen: „Das habe ich nicht gewußt“.
Kai Arzheimer von der Uni Mainz schätzt die Folgen für die Partei negativer ein, zumal eine drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch für Menschen, die weit rechts stehen, einer „Stigmatisierung“ gleichkomme. „Für AfD-Mitglieder und -Mandatare, die sich ohnehin fragen, ob sie in der Partei noch gut aufgehoben sind, kann dies der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“, glaubt der Experte. Für Personen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, bedeute eine Beobachtung zudem ein „existentielles Risiko“. „Wenn es tatsächlich zu einer Beobachtung kommt, steht hier eine große Absetzungsbewegung bevor“, so Arzheimer.
Aktuell: Dilemma der Thüringschen CDU
Darauf, dass vor allem Beamte der AfD den Rücken kehren, spekulieren Hardliner wie Höcke, ist der Wissenschaftler Quent überzeugt. Für sie seien solche Abwanderungsbewegungen „ein notwendiger Aderlass“. Ihr Zwischenziel sei die Normalisierung, und dabei seien sie durchaus erfolgreich. „In Ostdeutschland hat sich der völkische Flügel schon lange durchgesetzt und erreicht damit große Wahlerfolge“, so Quent. Daher riskiere die CDU ihre Glaubwürdigkeit als Rechtsstaatspartei, wenn sie in Kommunal- oder Landesparlamenten „mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache macht“.
Kompetente Argumente:
Warum die AfD in der Rentenpolitik auf eine heftige Auseinandersetzung zusteuert.