Sie haben Anfang 2017 einen Satz gesagt, der auch international für enormes Aufsehen sorgte.
Sie sagten, etwas verkürzt: „Wenn wir vom Journalismus leben müssten, könnte ich nicht mehr ruhig schlafen.“
Würden Sie das heute noch wiederholen?

!: Das ist in der Tat etwas verkürzt, aber in der Substanz richtig. Konkret: Wenn ein Verlag 2019 zu mehr als, sagen wir, 60 Prozent von Journalismus lebt, dann wird es eng für das Unternehmen. Ringier war ein Verlag. 175 Jahre lang. Fünf Generationen lang. Heute sind wir ein diversifiziertes, digitalisiertes Medienunternehmen in knapp 20 Ländern. Ähnlich wie Axel Springer oder Schibsted, beides international Vorbilder für eine gelungene Transformation. Journalismus ist nach wie vor wichtig für Ringier. Das ist keine Floskel. Wenn auch betriebswirtschaftlich anderes heute relevanter ist.

?: Ist Journalismus für einen Verlag noch eine Geschäftsgrundlage?

!: Keine sichere mehr, wenn Sie das auf einer mittelfristigen Zeitachse anschauen. Keine, die es Ihnen erlaubt, nicht zu diversifizieren. Wer nur auf Journalismus setzt, setzt alles auf eine – unsichere – Karte. Ja, Journalismus ist eine riskante Karte.

!: Und, wie gut schlafen Sie inzwischen?

!: Gut. Ringier macht dieses Jahr 71 Prozent seines operativen Gewinnes mit digitalen Geschäftsmodellen. Vieles davon hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Das wiederum erlaubt uns aber auch, jedes Jahr rund 100 Millionen zu investieren. Viel davon übrigens in Journalismus. In Video, in Technologie und Daten-Analytik. Digitaler Journalismus ist teuer. Teurer als auf Papier. Das zeigen unsere Vergleiche.

?: Werden wir etwas grundsätzlich. Hat der Journalismus eine Zukunft? Wenn ja, wie?

!: In den vergangenen zehn Jahren sind viele Zeitungen und Zeitschriften und Druckereien verschwunden. Andere wurden im Hintergrund via Zentralredaktionen journalistisch zusammengelegt. Dieser Prozess geht weiter, keine Frage. Heißt: weniger Zeitungen, weniger Zeitschriften, weniger Druckereien, mehr Zentralredaktionen für verschiedene Kopfblätter.

?: Und digital?

!: Werbung wandert weiterhin vor allem zu den Plattformen Facebook, Google, Youtube und Amazon. Und die Bereitschaft, für guten Journalismus zu bezahlen, bleibt – sagen wir – bescheiden. All dies bedeutet, dass nur wenige journalistische Marken es schaffen werden, gutes Geld mit Journalismus zu verdienen, um unabhängig und langfristig innovativ bleiben zu können.

?: Reichlich pessimistisch, Ihre Perspektive.

!: Realistisch. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es wird Medienmarken geben, die auch langfristig erfolgreich sein werden. Aber deutlich, deutlich weniger als früher. Die Zeiten, in der jede Lokal-, jede Regionalzeitung einigermaßen sorglos geschäften konnte, sind vorbei. Das Gleiche gilt auch für Zeitschriften. Nur die allerbesten und geschicktesten Medienmarken werden sich durchsetzen.

?: Was heißt „die Allerbesten“?

!: Es braucht deutlich mehr, zu den Besten zu gehören, als früher: Starker Journalismus bleibt – selbstredend – die Grundlage. Für eine „FAZ“, eine „New York Times“ genauso wie für „Bild“ oder „Blick“. Digital braucht es dann diverse neue Kompetenzen: Leistungsfähige, sichere Basis-Technologie, intelligente Daten-Analyse, Video-Kompetenz, optimierter Umgang mit Social Media, Audio und Augmented Reality werden zunehmen. Wir sehen: Journalismus ist heute deutlich komplexer und aufwändiger. Auch dessen Vermarktung. Hier braucht es mehr Kreativität und gleichzeitig mehr Daten-Intelligenz.

?: Haben wir dieses Qualitätsproblem im Journalismus, von dem wir dauernd hören?

!: Redaktionen sind kleiner geworden, auf der ganzen Welt. Sie müssen aber deutlich mehr leisten. Diverse Kanäle, mehrere Disziplinen. Das Niveau zu halten, ist eine Herausforderung. Aber es ist unsere größte Pflicht und vor allem: eine Chance. In einem Zeitalter, in dem jeder Blogger viel Öffentlichkeit schaffen kann, in dem Bots politische Debatten beeinflussen können, in dieser Zeit ist Absenderkompetenz und Kredibilität und Qualität die große Opportunität für Medienmarken.

?: Es gibt so etwas wie Kulturpessimismus im aktuellen Journalismus.

!: Der Journalismus hat – weltweit – die härtesten, herausforderndsten, komplexesten zehn Jahre hinter sich. Und die nächsten zehn Jahre werden genauso sein. Redaktionen waren bis vor 15 Jahren – im Vergleich zu heute – ein Ponyhof.

Jan. 2020 | Feuilleton, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren