Am 12. Dezember 2019 würde der im Juli 2019 verstorbene Johann Kresnik 80 Jahre alt geworden sein. Im Gedenken an den Ausnahmechoreografen und Regisseur wird das Theater und Orchester Heidelberg in Kooperation mit dem Gloria-Kino Rudij Bergmanns Film „Wider den Alptraum Gesellschaft getanzt – Johann Kresnik und sein choreografisches Theater“ zeigen. Seinen politisch-aufklärerisch orientierten Ansichten blieb Kresnik mit seinen Produktionen über die Jahrzehnte bis zuletzt treu.
Kresnik gilt als ein Pionier des deutschen Tanztheaters und leitete zwischen 1979 und 1989 die Tanzsparte des Heidelberger Theaters. Hier entwickelte er seinen ganz eigenen Stil des modernen Tanztheaters und prägte dafür den Begriff »Choreografisches Theater«.
Der in Mannheim lebende Kunstkritiker und Filmemacher Rudij Bergmann begleitete Kresnik über viele Jahre mit der Kamera und dokumentierte vor allem seine Zeit in Heidelberg. In seinem Film versucht er sowohl den künstlerischen als auch persönlichen Lebensweg dieses ungewöhnlichen Choreografen nachzuzeichnen.
Im Nachgespräch mit dem leitenden Schauspiel-Dramaturgen Jürgen Popig und ehemaligen Begleitern Kresniks möchte das Heidelberger Theater zusammen mit dem Publikum an das Schaffen von Johann Kresnik sowie seine Bedeutung für Heidelberg und die Tanzgeschichte erinnern.
Hans Kresniks erste eigene Choreographien, die auf Gedichten schizophrener Autoren aus der niederösterreichischen Landesnervenheilanstalt Guggung beruht:
– „O sela pei“ und im folgenden Jahr „Paradies?“ –
lassen den Bremer Intendanten Kurt Hübner auf Kresnik aufmerksam werden, er engagierte ihn als Ballettmeister ans damals spannendste Theater der Republik. Es ist die Zeit des „Bremer Stils“, geprägt von den jungen Regisseuren Zadek, Stein, Grüber, Fassbinder, dem Bühnenbildner Minks – für Hans Kresnik eine enorme Herausforderung. Zehn Jahre bleibt er in Bremen und entwickelt seinen sehr eigenen Stil, den er als „Choreographisches Theater“ bezeichnet. Jedes seiner Stücke ist eine Provokation, schon die Titel lassen das erkennen.
Von der Apo und der Begegnung mit Ernst Bloch geprägt, getreu seinem Motto „Ballett kann kämpfen“, polemisiert er gegen das Wettrüsten („Kriegsanleitung für jedermann“) und den Vietnamkrieg („PIGasUS“), schändet lustvoll das klassische Repertoire („Schwanensee AG“), attackiert den Konsumterror („Traktate“), beklagt die Unmenschlichkeit („Romeo und Julia“) und Gewalttätigkeit von Liebesbeziehungen („Magnet“), verhöhnt die katholische Kirche („Jesus GmbH“).
Die Fachkritik – freute er sich im Gespräch – heult auf, das Publikum ist begeistert. „Zehn Jahre lang“, meinte er nicht ohne Stolz, „war ich das negative Ballettereignis.“
Auffällig ist neben den ungewohnten Inhalten eine immense Bildphantasie, die meist größer ist als die Bewegungsphantasie, sowie eine eher irritierende Faszination an sexueller Gewalt – kaum ein Stück ohne drastische Kopulations- und Vergewaltigungsszenen. Ganz nebenbei – indem er an den Ausdruckstanz der zwanziger und dreißiger Jahre anknüpft – erfindet Hans Kresnik noch vor Pina Bausch das deutsche Tanztheater und ist bis heute der einzige Mann in dieser mittlerweile weltberühmten Domäne der Frauen.
Der Vergleich seiner Arbeiten mit denen der Pina Bausch –
das gäbe Stoff für einige Semester Hauptseminar zum Thema männlich – weibliche Ästhetik. Ein Beispiel für viele: Beide haben sich, im Abstand von zehn Jahren, mit Shakespeares „Macbeth“ beschäftigt, und die Verschiedenheit ihrer Auslegung hat neben individueller auch geschlechtsspezifische Relevanz: Er kreiert ein sehr blutiges Tanzstück über Macht, Mord und Gewalt, sie ein ganz unblutiges über schlechtes Gewissen und Nicht-einschlafen-Können.
1979 geht Kresnik nach Heidelberg,
wo er gleich zu Beginn einen seiner berühmtesten Abende schafft: „Familiendialog“ (Helm Stierlin). Das 1980 uraufgeführte Werk, mehr als 200mal gespielt und im Frühsommer in Bremen erneut wiederaufgenommen, ist ein Schlüsselstück für den Choreographen, der seiner künstlerischen Entwicklung den selbstironischen Titel gibt „Vom Spitzentanz zum Preßlufthammer“. Zu den weiteren Arbeiten der Heidelberger Zeit gehören Heiner Müllers „Hamletmaschine“, „Mars“ (nach dem Bericht von Fritz Zorn), die Künstlerbiographien „Sylvia Plath“ und „Pasolini“ sowie drei Tanzstücke nach Schauspielen: „Mörder Woyzeck“, „Macbeth“ und „Ödipus“. Seit Sommer 1989 war Kresnik wieder fest in Bremen, wo er als erste Produktion „Ulrike Meinhof“ herausbringt. Außerdem inszenierte er einige Zeit an verschiedenen Bühnen Sprechtheater, nach Versuchen mit Brecht, Müller und Jarry zuletzt „Marat/Sade“ von Peter Weiss.
Gern reagiert er mit seinen Stücken auf tagespolitische Ereignisse:
Bei „Macbeth“ verweist er auf Barschel (den in der Badewanne), bei „Marat/Sade“ auf das Lafontaine-Attentat. Am eindrucksvollsten gelingt ihm die Aktualisierung, wenn er Ulrike Meinhof Anfang 1990 in die BRD zurückschickt. Ihre Zustandsbeschreibung ist gnadenlos: Das Volk kriecht, Hamburger fressend und wieder auskotzend, durch meterhohen Verpackungsmüll; DDR-Demonstranten schrubben den Boden mit „Einig Vaterland“-Schildern, während ihnen mit Geldscheinen der Mund gestopft wird; Hitler und Stalin, in eine Lederhose zusammengezwängt, tanzen eine obszöne Polka, und Heino, bei dem selbst ein Lied über den blauen Enzian wie ein Militärmarsch klingt, überwältigt die Meinhof und macht sie mundtot für immer. Es sind Bilder, geboren aus Hass und Ekel, dröhnend, gefährlich, denen an Zorn und giftgalliger Bosheit nichts gleichkommt im gegenwärtigen deutschen Theater.
Sie verweisen auch auf den alt/neuen „Familiendialog“ (Helm Stierlin – „Delegation und Familie“), wo in kalten Farben begonnen wird, was das Meinhof-Stück fiebrig erhitzt fortsetzt. Kresniks Grundthemen, Verdrängung des Faschismus und Familienunterdrückung, spiegeln sich in der Geschichte des Sohnes. Die Nazivergangenheit der Eltern wird beschworen durch die eingefrorenen Fotografien eines imaginären Familienalbums, der Wiederaufbau mit dem martialischen Stampfen einer bedrohlichen, zur Demokratie wild entschlossenen Menschenmenge.
Das Stück ist eine visuelle und akustische Höllenfahrt, deren hämmernder Rhythmus aus Mahlermusik und Baustellenkrach verbotene Erinnerungen befreit: kalt-grausame Alpträume von Lager und Zwangsarbeit, von schon wieder mächtigen Tätern und noch immer stummen Opfern. In endloser Folge übereinanderstürzend, erdrücken sie den Sohn, der sich voller Verzweiflung das Symbol des fleißigen Neubeginns, den Preßluftbohrer, in den Leib rammt.
Auch am Schluß von „Ulrike Meinhof“ steht ein gewaltsamer, verzweifelter Tod. Während die eine Darstellerin der Meinhof an Fleischerhaken aufgehängt und mit langen silbernen Greifzangen gequält wird, läßt Kresnik die andere zwischen zwei Plexiglasscheiben verschrauben: Ikone einer Märtyrerin. Als Zeugen fungieren riesige Plüschsessel mit Schäferhundmotiv und Heino, Kresniks liebstgehaßter Schnulzensänger; diesmal singt er die Hymne, und zwar, wie wohl in Zukunft noch öfter, die ganze.
Das trostlose Fazit bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte wird Kresniks Angstwut über die „Blutwurstvereinigung“, wie er sie nennt, sicher bald zur Trilogie komplettieren. Seine Arbeit, die Stuttgarter Inszenierung des Spektakels von Marat und de Sade, nimmt sich auf diesem Weg wie eine Zwischenstation aus. Da sind sie wieder, die Schlagersänger und die Deutschmarschierer, das grölende Volk und sogar die RAF – hier in Form der örtlichen Grabstätte von Baader, Ensslin und Raspe, an der Steffi Graf und Boris Becker im Vorfilm Ewige Lichter aufstellen.
Das Schauspiel, so scheint es, ist seine Sache nicht
Er ist viel besser, wenn er die Vorlage zum eigenen Stück verarbeitet, wie bei „Macbeth“, und es von seiner Tanzkompanie interpretieren lässt. Die war, aus 20 Mitgliedern plus Gästen bestehend, über die Jahre zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen. 1968 (sic) hat Kresnik als erster Ballettchef an einem deutschen Stadttheater die traditionelle Hierarchie von Solo- und Gruppentänzern aufgehoben; seither und bis heute bekommen bei ihm alle die gleichen Verträge und die gleiche Gage. Dafür entwickeln sie ihre darstellerischen Fähigkeiten wie nirgendwo sonst im Ballett. Kresnik-Stars wie Kate Antrobus und Wladyslaw Bobrowski, Amy Coleman, Regine Fritschi oder Joachim Siska sind längst ebensosehr Schauspieler wie Tänzer.
Der Außenseiter des Theaterbetriebs fand nur langsam die Anerkennung, die er verdient:
So wurde er – zum Beispiel – mit dem begehrten Berliner Theaterpreis ausgezeichnet (einen großen Teil des damit verbundene Geldes stiftete er ohne großes Aufsehen für das brasilianische Kinderheim, das er seit einer Südamerika-Tournee betreut). Er wurde zweimal zum renommierten Berliner Theatertreffen gewählt (mit „Macbeth“ und „Ulrike Meinhof“), zu Festivals in Edinburgh, Belgrad, Vancouver, Florenz und Amsterdam eingeladen und hat immer noch und immer wieder Gastierangebote aus mehreren Ländern. Heidelberg hatte ihm wieder für die Produktion „Pym“ – drum hatten wir damals das Treffen bei mir in der „GraGa“ und, ein Tag nach dieser Uraufführung war er dann schon wieder unterwegs nach irgendwo …
Kresnik galt als Pionier des modernen Tanztheaters. Seine etwa 100 Inszenierungen lösten oftmals Skandale aus, weil er grausame Bilder jenseits aller herkömmlichen Ballettästhetik schuf: Mit Wucht brachte er seine politischen und gesellschaftskritischen Botschaften auf die Bühne. Noch Anfang Juli 2019 hatte die Neueinstudierung seines Balletts „Macbeth“ von 1988 das Festival Impuls Tanz in Wien eröffnet.
Kresnik wurde 1939 in St. Margarethen in Kärnten geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre als Werkzeugschlosser. Zum Theater fand er durch ein Inserat, in dem Statisten gesucht wurden. Bald darauf begann seine Ausbildung zum Tänzer, die ihn schließlich in Graz und Köln auf die Bühne führte. Dann wechselte er in die Choreographie.
1968 ging Kresnik als Ballettmeister nach Bremen. Später leitete er die Tanzsparten der Theater in Heidelberg und Bonn, ebenso an der Volksbühne in Berlin. Dort schuf er 2015 das Tanztheaterstück „Die 120 Tage von Sodom“.
Der bekennende Kommunist und Atheist zeigte getanzte Biographien von „Ulrike Meinhof“, „Gudrun Ensslin“, „Rosa Luxemburg“, „Ernst Jünger“ und „Hannelore Kohl“. Auch in seinen „vertanzten“ Künstler-Biographien wie „Frida Kahlo“, „Brecht“, „Picasso“ oder „Pasolini“ ging es ihm stets um Gesellschaftskritik.
Jürgen Tenno Gottschling
Sonntag, 15. Dezember 2019 um 11.00 Uhr im Gloria Kino Heidelberg
Weitere Informationen und Tickets
Gloria-Kino, Hauptstraße 146 sowie unter 06221|25319