Friedrich von Steuben (li) und andere amerikanische Helden. Es fehlt: Donald Trump

Vor 225 Jahren starb Friedrich von Steuben , dem die USA noch heute jährlich eine Parade widmet. Wie aus einem arbeitslosen preußischen Offizier der wohl berühmteste Deutsche der USA wurde? – Ein monumentales Denkmal am Lafayette Square in Washington erinnert an ihn, noch heute wird er alljährlich im September mit einer prunkvollen Parade auf der Fifth Avenue in New York gefeiert:

Friedrich Wilhelm von Steuben (1730-1794) ist der wohl berühmteste Deutsche in den Vereinigten Staaten. Nicht zuletzt dank ihm »erlangten die vormals 13 britischen Kolonien ihre Unabhängigkeit«, meint auch der ehemalige amerikanische Botschafter in Berlin, John C. Kornblum, über die »Symbolfigur der deutsch-amerikanischen Freundschaft«.

Dabei sah es lange danach aus, als wäre Steubens Karriere vorbei, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Es ist 1763, und Steuben erlebt die größte Katastrophe eines Berufssoldaten des ausgehenden 18. Jahrhunderts: Der Friede bricht aus. Auf Schloss Hubertusburg bei Leipzig besiegeln Österreich, Sachsen und Steubens eigener Arbeitgeber Preußen das Ende des Siebenjährigen Kriegs. Sein Höhenflug im Militärapparat Friedrichs des Großen kommt abrupt zum Stillstand. Mit knapp 34 wird er, der schon als 14-Jähriger seinen Vater zur Belagerung Prags begleitete, ausgemustert.

Was noch schlimmer ist: Im kriegsmüden Europa gibt es wenig Hoffnung auf Neuanstellung. Nicht einmal für einen Offizier seines Talents. Dabei ist der junge Friedrich Wilhelm durch und durch Soldat. Am 17. November 1730 in Magdeburg als ältestes von insgesamt zehn Kindern des preußischen Ingenieurmajors Wilhelm Augustin von Steuben und Maria Justina Dorothea von Jagow geboren, tritt er mit 16 in das Infanterieregiment von Lestwitz ein, wird bald Fähnrich, dann Leutnant. Und als 1756 der Siebenjährige Krieg beginnt, steigt der junge Adlige schnell zum Elitekämpfer auf.

Man teilt ihn dem Freibataillon des Generals von Mayr zu, einer Truppe, die überall dort kämpft, wo es gerade am meisten brennt. Anders als die regulären Einheiten der Zeit tritt ihre Infanterie nicht mehr in Linie an – ein Modell, dessen sich Steuben Jahre später in Amerika erinnern wird, als man ihm eine Armee anvertraut, die bei jedem preußischen Offizier Mitleid, Grausen oder beides ausgelöst hätte.

Wegen seiner Verdienste wird er bald zum Adjutanten Friedrichs II. befördert und schließlich sogar in den Kreis jener 13 Offiziere aufgenommen, die teilweise der König selbst in einer Sonderklasse der Kriegsschule unterrichtet und die darauf vorbereitet werden, eines Tages größere strategische Aufgaben zu übernehmen. Doch dazu sollte es bekanntlich nicht kommen.

Dem Baron fehlt es an Ruhm und Geld

Es folgen über zwölf Jahre, die Steuben selbst als »verschleudert« bezeichnen wird. In seinem Pöstchen als Kammerherr, bezahlter Höfling am kleinen Hofstaat des Prinzen von Hohenzollern-Hechingen, sind keine militärischen Ruhmestaten zu leisten, auch wenn er dort zum Baron geadelt wird. Es mangelt nicht nur an Renommee, sondern schlicht auch am Geld. Der beliebte, fröhliche Exkamerad Steuben – Literaturkenner, standfester Zecher, geistreicher Plauderer in Deutsch, Russisch und Französisch – ist notorisch klamm. Er hat einen Hang zu teurer Kleidung und eine Vorliebe für Gesellschaften. Er lebt über seine Verhältnisse, galt schon seinen Vorgesetzten in der Armee als »schlechter Wirt« und finanziert seinen Lebensstil auf Pump. Drückende Schulden ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben.

Zudem gibt es Grund zur Annahme, dass es nicht allein der Friedensschluss war, der zu seiner Entlassung führte. Es heißt, er habe sich bei der Besetzung eines Kommandos, auf das er spekuliert hatte, zurückgesetzt gefühlt und aufbegehrt. Eine Duellforderung und das Zerwürfnis mit einer Hofdame könnten ebenfalls den Ausschlag gegeben haben, Neuerdings haben Untersuchungen des britischen Historikers Tim Blanning über das homophile Milieu am Hof des Preußenkönigs Friedrich II. einem alten Vorwurf neue Nahrung gegeben. „Böse Gerüchte über sittliche Verfehlungen“ hätten Steubens Karriere ein jähes Ende bereitet.

Ob an dem Gerücht tatsächlich etwas dran ist, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Fest steht jedoch, dass Steuben, der im Privatleben ein überzeugter Junggeselle war, sich gerne mit jungen Männern umgab. In seiner Zeit in Amerika schloss er die Bekanntschaft mit den jungen Soldaten William North und Benjamin Walker, die er zu seinen Adjutanten, Privatsekretären, Adoptivsöhnen und Erben ernannte. Bekannt sind auch ausgelassene Feste, die der spätere General im Ruhestand auf seinen Landsitzen mit jungen Männern feierte. Sansculottes (»Hosenlose«) nannte er seine Gäste, die auf seine Anweisung hin in zerrissener und unvollständiger Kleidung erscheinen und sich reichlich betrinken mussten, so der amerikanische General und Schriftsteller John McAuley Palmer in seiner 1937 erschienenen Biografie über Steuben.

Noch aber liegen diese Festivitäten in weiter Ferne, und Steuben sucht nach Wegen seine wenig zufrieden stellende berufliche Situation zu ändern. Die Chance dazu kommt in Form des französischen Feldmarschalls Claude-Louis St. Germain (1707-1778). Der spätere Kriegsminister verschafft ihm eine Visitenkarte nach Paris – sie ist der Türöffner für ein neues Leben, denn in der französischen Hauptstadt halten sich seit geraumer Zeit amerikanische Abgeordnete der 13 britischen Kolonien Nordamerikas auf. Seit knapp zwei Jahren betreibt man dort militärisch die Loslösung vom englischen Mutterland. Was Europa nicht bieten kann, gibt es in Übersee: Bedarf an Männern, die sich aufs Kriegshandwerk verstehen.

Freiheit für die Kolonien!

Verhandlungspartner der Abgesandten, zu denen auch das Universalgenie Benjamin Franklin zählt, sind eben jener St. Germain und der Dichter Caron de Beaumarchais (1732-1799), der Verfasser des »Barbier von Sevilla«. Mit Hilfe geschäftstüchtiger Kaufleute organisiert er getarnte Waffenlieferungen nach Amerika, um dort die Freiheitskämpfer zu unterstützen. Sein eigentliches Ziel ist es, den Erzfeind England zu treffen.

Wie der militärische Konflikt jenseits des Atlantiks eskaliert war, dürfte dem hochgebildeten Steuben bestens bekannt gewesen sein: Dass sich im April 1775 ein kleiner Trupp Milizionäre bei Lexington und Concord, Massachusetts, einer heranrückenden britischen Streitmacht entgegenstellt hatte, dass ein empörter König Georg III. daraufhin das größte Expeditionsheer, das je den Atlantik überquert hatte, auf den Weg schickte, um »dieser Unordnung mit den entschiedensten Mitteln ein Ende zu setzen«, und dass nun über 30 000 britische Soldaten einen bunt zusammengewürfelten Haufen unter Feuer genommen hatten, der auf den etwas pompösen Namen Kontinentalarmee hörte.

Zum Anführer dieser Truppe von Jägern, Farmern und Fallenstellern hatten die Repräsentanten des Kontinentalkongresses, der ersten Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, einen gewissen virginischen Pflanzer gewählt, der sich bereits im French and Indian War militärische Meriten erworben hatte: George Washington.

Dass seine Freiheitskämpfer nicht kurzerhand von der hoch professionellen britischen Streitmacht zusammengeschossen wurden, hatte vielfältige Gründe. Zum einen unterliefen den britischen Generälen gravierende strategische Fehler, zum anderen legten die wegen ihren scharlachroten Uniformen »Rotröcke« (redcoats) genannten englischen Soldaten eine kaum zu überbietende Selbstüberschätzung an den Tag. Ein ums andere Mal liefen sie so ins offene Messer der von ihnen so verachteten Bauerntölpel. Auf der Gegenseite mangelte es an Ausbildung, Disziplin und der Fähigkeit, langfristige Planungen und Operationen durchführen zu können.

Anfangs stützte sich Washington vor allem die Minute Men – Angehörige lokaler Milizen, deren Aufgabe im Schutz der Dörfer und Anwesen bei Indianerüberfällen bestand. Binnen weniger Minuten sollten sie zur Stelle sein, wenn die Eingeborenen angriffen. Nun aber war die Armee Seiner Majestät angerückt. »Die Achillesferse der Freiwilligenstreitmacht war, dass die Amateursoldaten sich nur für eine zeitlich befristete Dienstzeit von höchstens einem Jahr verpflichteten«, so der britische Militärhistoriker David French vom University College London. Washington hatte während des gesamten Kriegs unter diesem militärischen Kommen und Gehen zu leiden. Jahre später kam er auf diese widrigen Umstände zurück: »Es findet sich vielleicht nicht in den Annalen der Geschichte ein Fall wie der unsere, dass man über sechs Monate hinweg eine Stellung in Schussweite des Feindes hält […] und zu gleicher Zeit die eine Armee auflöst und eine andere rekrutiert, und das in dieser Entfernung von etwa 20 britischen Regimentern.«

So hielten Arroganz der Macht auf der einen und unprofessionelle Kriegführung auf der anderen Seite den Krieg lange Zeit in einer militärischen Pattsituation. Im September 1776 beispielsweise, als die Briten Manhattan bestürmen, musste Washington erleben, wie seine Männer Waffen und Tornister wegwarfen und flüchteten. »Mit solchen Soldaten soll ich Amerika verteidigen!«, rief er resignierend aus. Doch schon ein Jahr später, am 17. Oktober 1777, errangen diese Milizsoldaten einen historischen Sieg über die britische Armee unter General Burgoyne bei Saratoga. Ein Paukenschlag, der bis nach Europa dröhnte. Die Nachricht vom Sieg wird der USA, die anderthalb Jahre zuvor ihre Unabhängigkeit erklärt hat, schon bald Ansehen und neue Bündnispartner verschaffen.

Nach Amerika geschmuggelt

Einen gewissen »Monsieur Frank« erreicht die Neuigkeit hingegen nicht. Seit gut einem Monat schon sitzt Steuben unter Tarnnamen an Bord einer 300-Tonnen-Fregatte, die aus Marseille angeblich nach Französisch-Westindien unterwegs ist, tatsächlich aber den Hafen von Portsmouth in New Hampshire ansteuert. Im Februar 1778 läuft sie unter dem Jubel zahlreicher Einwohner ein. Im Laderaum des Schmuggelschiffs: Pulver, Munition, Gewehre und Kanonen. In Steubens Tasche: ein reichlich geschöntes Empfehlungsschreiben Benjamin Franklins an General Washington. Seine einflussreichen Freunde haben seinen Lebenslauf kräftig aufpoliert. Steuben sei Generalleutnant der preußischen Armee gewesen. Großzügig habe er Rang und Einkommen aufgegeben, um sich freiwillig und ohne Bezahlung der amerikanischen Sache zu widmen. Das war natürlich maßlos übertrieben. Denn in Wahrheit suchte der Preuße einen großzügigen Arbeitgeber und ein ruhmreiches Betätigungsfeld.

Immerhin Letzteres fand er in der Neuen Welt. Denn zwar traut Washington Franklins Empfehlung und stimmt, nach vorheriger Einwilligung des Kontinentalkongresses, einer Entsendung Steubens zu. Doch lukrativ ist das Angebot nicht. Schon das Geld für die Überfahrt hatte Steuben sich leihen müssen, wieder einmal, nun bietet ihm sein neuer Arbeitgeber eine Anstellung mit Aussicht auf Ruhm und Ehre, aber ohne Bezahlung.

Washington in Valley Forge
Washington in Valley Forge | Steuben traf auf die Kontinentalarmee an ihrem Tiefpunkt. Im inzwischen fast schon mythisch aufgeladenen Wintercamp in Pennsylvania kämpften die Soldaten in ihren zugeschneiten Blockhütten ums Überleben und ihren schwindenden Durchhaltewillen.

Als sich der frischgebackene Militärberater im Februar 1778 bei General Washington zum Dienstantritt im Winterlager von Valley Forge, Pennsylvania, meldet, befindet sich die Armee der Freiheitskämpfer in einer desolaten Verfassung. Die zu Beginn des Kriegs noch 14 500 Mann starke Kontinentalarmee ist auf rund 5000 Kämpfer zusammengeschmolzen, ihre Kampfmoral auf dem Tiefpunkt. Es fehlt an Nahrung, Kleidung und Waffen. Viele Soldaten gehen barfuß im Schnee, Decken und Mäntel sind Mangelware. »Wenn man Männer sieht, die keine Kleidung haben, um ihre Blöße zu bedecken, keine Decken, auf die sie sich legen können, keine Schuhe, so dass man ihre Schritte mit Hilfe der Spuren verfolgen könnte, die das Blut von ihren Füßen hinterlassen hat, dann trägt dies nicht zur Steigerung der Kampfmoral bei«, schreibt Washington über den Zustand seiner Männer.

Zu allem Übel grassieren Krankheiten wie Typhus und andere fiebrige Infekte im Lager, die die Truppe wenn nicht dezimieren dann jedenfalls kampfunfähig machen. Und auch mit der Disziplin ist es nicht zum Besten bestellt.

Drill Master mit Einfühlungsvermögen

Wie konnte Steuben daraus eine schlagkräftige Armee formen? Der erfahrene Militär weiß nur zu gut, dass jeder Fehler Unordnung in die Formationen bringen und die Linien aufweichen kann. Der Erfolg in einer Schlacht hing im Wesentlichen davon ab, dass die Soldaten diszipliniert nach Befehl vorgingen und selbst unter fortwährendem Beschuss oder während eines strategischen Rückzugs Ordnung bewahrten.

Steuben, kaum zwei Monate bei der Truppe, wird nun auch offiziell zum Generalinspekteur der Kontinentalarmee ernannt. Erschüttert über den beklagenswerten Zustand der Soldaten macht er sich – meist eine ordinär riechende Pfeife im Mund – an seine Aufgabe. Er inspiziert, plant und übt Strenge. Steuben beginnt mit der Aufstellung einer Musterkompanie aus 100 handverlesenen Männern, die er nach preußischem Vorbild drillt, in der Hoffnung, dass die so Geschulten wiederum andere Brigaden nach Steubens Plänen und Anweisungen ausbilden.

Größtes Problem war anfangs die Sprachbarriere, Steuben sprach kein Wort Englisch, so dass er seine Anweisungen über seinen Französisch sprechenden Dolmetscher, Hauptmann Benjamin Walker, übersetzen ließ. »Kommen Sie und fluchen für mich auf Englisch, die Kerle wollen nicht tun, was ich befehle«, ruft er einem Dolmetscher zu, als ihm in höchster Erregung die englischen Flüche ausgehen.

Steubens Methode zeitigt bald erste Erfolge. Im Juni 1778 besteht die reorganisierte Armee bei Monmouth ihre erste Feuerprobe. Trotzdem müssen die Farmermilizen immer wieder auch Niederlagen einstecken. Und immer wieder muss Steuben die kriegsmüden Truppen moralisch aufrichten, die zusammenbrechende Front neu formieren, geschlagene Einheiten restrukturieren und meuternde Kontingente zur Räson rufen. Gleichzeitig impft er den Soldaten wieder und wieder ein, dass sie nicht für Geld kämpfen, sondern für eine gerechte Sache.

»Steuben gelang es, der Kontinentalarmee einen professionellen Leistungsstandard zu vermitteln, indem er einer Armee von unverbesserlichen Individualisten einen europäischen Kodex von Gehorsam gegenüber Vorgesetzten vermittelte«, so der amerikanische Militärhistoriker Antony Grafton. »Dank ihm wuchsen die Bürger in Uniform zu einer Einheit zusammen, entstand so etwas wie ein Korpsgeist«.

Doch das Geheimnis von Steubens Erfolg liegt nicht allein in seinen militärischen Fähigkeiten. Schon bei seinen ersten Begegnungen mit der Kontinentalarmee in Valley Forge wird dem in Menschenführung geübten Chefausbilder klar, dass er aus Farmern keine preußischen Soldaten machen und folglich auch nicht die steifen Formen der preußischen Linieninfanterie in Amerika einführen kann. »Eines der größten Verdienste des Generalquartiermeisters Steuben«, schreibt der amerikanische Historiker Paul Lockhart, sei es gewesen, »dass es ihm gelang, preußische Grundsätze amerikanischen Lebensbedingungen anzupassen«.

Einem Vertrauten in der Alten Welt schreibt Steuben, einem preußischen Soldaten könne man befehlen: »Mache das! Und er macht’s.« Dem amerikanischen müsse er zuerst erklären: Dies und das ist der Grund, warum du dieses oder jenes machen sollst, »und dann erst macht er’s«. Diesen Unterschied in den Mentalitäten überbrückt der nach außen hin schroff auftretende und bisweilen in rüdem Kasernenton blaffende Preuße mit viel Einfühlungsgabe. Auch weiß er soziale Unterschiede innerhalb der Truppe zu glätten und elitärem Standesdünkel von Offizieren aus begüterten Patrizierfamilien zu begegnen, Probleme, die immer wieder für Komplikationen sorgen und den Zusammenhalt der amerikanischen Milizarmee gefährden. Steuben überwindet diese Hindernisse, indem er auch untere Dienstgrade zu den Lagebesprechungen hinzuzieht. Denn er meint: »Die Kerls haben Mägen von Stabsoffizieren ohne deren Gehälter und Rationen.«

Auch sonst pflegt das militärische Raubein einen fairen und ausgleichenden Umgang mit den Soldaten. Hat er einem von ihnen Unrecht getan, nimmt er die Rüge vor versammelter Mannschaft zurück. Sprichwörtlich wurde auch sein fürsorgliches Verhältnis zu seinen Untergebenen. Ein von allen Offizieren zu seinem Abschied unterzeichnetes Schreiben nannte ihn »Soldatenvater«.

Handbuch für die Truppe

Den Winter 1778/1779 nutzt Steuben, um ein wichtiges militärisches Werk mit dem Titel »Regulations for the Order and Discipline of the Troops of the United States« zu verfassen. In diesem Ausbildungshandbuch waren alle Einzelheiten der Ausbildung, des Wach- und Exerzierdienstes, der Ausrüstung und des Einsatzes der Infanterie- und Artilleriewaffen präzise festgelegt. In blaues Leinen gebunden, kursieren diese Dienstanweisungen lange in der US-Armee und haben noch heute teilweise Geltung. Steubens Adjutanten William North zufolge genoss das Blaubuch bei der Truppe »nach der Bibel höchste Verehrung«. Darin war alles über die Schlachtordnung, Zündfolge, Handhabung der Waffen, Nachladen und ähnliche Vorgänge nachzulesen. Im Zeitalter der Vorderlader ließ sich die Feuerkraft nur erhöhen, wenn jeder Soldat das Nachladen wie eine Maschine beherrschte. Das Handbuch beschrieb detailliert die acht Schritte, die nach Steubens Meinung erforderlich waren. Mit der bloßen Lektüre des Handbuchs war es allerdings nicht getan, erst durch ausgiebigen Drill an der Waffe und Disziplin wurden die Infanteristen zur schlagkräftigen Armee.

Auf einen Sockel gestellt
Auf einen Sockel gestellt | Das Steuben-Denkmal in Washington spricht für die Heldenverehrung, die manche Amerikaner heute noch dem Offizier entgegenbringen.

Daneben gilt Steubens Augenmerk der militärischen Logistik. Er führt zur Selbstversorgung der Truppe die Gemeinschaftsverpflegung ein, erlässt Hygienerichtlinien für Feldküchen und Latrinen und legt in einer Lagerordnung die genaue Anordnung von Zelten und Unterkünften fest, die durch Lagerstraßen getrennt sind. Um die Seuchengefahr im Lager einzudämmen, ist es den Soldaten unter Strafe verboten, außerhalb der abseits des Camps gebauten Latrinen ihre Notdurft zu verrichten. Auch ist es künftig strengstens untersagt, Tierkadaver als Nahrung zu verwenden. Um Seuchen vorzubeugen, müssen diese umgehend entsorgt werden. »Durch diese Anweisungen«, so der amerikanische Medizinhistoriker Donald Gerste, »etablierte Steuben Hygienestandards, die noch eineinhalb Jahrhunderte später bestand haben sollten.«

Leben im Unruhestand

Am 17. Oktober 1781 kapitulieren die englischen Truppen unter General Cornwallis. Der Unabhängigkeitskrieg ist zu Ende. Steuben arbeitet noch Vorschläge zum Aufbau einer Armee in Friedenszeiten aus. Dann, nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Paris 1783, reicht der Generalmajor und Stabschef dem Kongress sein Abschiedsgesuch ein und zieht sich mit 53 Jahren aufs Altenteil zurück. Mit allen militärischen Ehren wird er aus dem aktiven Dienst verabschiedet. Die junge amerikanische Nation windet ihm Kränze aus Ruhmeslorbeer, der Kongress ehrt ihn mit einem goldenen Degen, doch eine materielle Entschädigung von höchster Stelle bleibt zunächst aus.

Einige Einzelstaaten erweisen sich als freigiebiger: Pennsylvania schenkte ihm 32 000 Morgen Land, das Repräsentantenhaus von Virginia überließ dem »ehrenwerten General« 24 000 Morgen Besitz und in New Jersey ein Landhaus. Dort bezieht Steuben zunächst seinen Altersruhesitz. Doch so recht Fuß fasst er im Zivilleben nicht. Vor allem plagt ihn wieder Geldnot. »Steuben war ein genialer Militär, aber ein lausiger Geschäftsmann«, so der britische Historiker Frederick Taylor. Bereits 1788 sah er sich gezwungen, sein Landgut in New Jersey zu verkaufen, um seine Schulden zu begleichen.

Reichlich spät, anno 1790, begann der Kongress damit, ihm seine Pension auszuzahlen, 2500 US-Dollar pro Jahr, was bei heutiger Kaufkraft ungefähr einem Wert von 70 000 Dollar entspricht. Mit diesem Betrag kam er über die Runden und mit Hilfe einflussreicher Mitstreiter und Fürsprecher an eine Hypothek, die ihn in die Lage versetzte, ein Landgut im Tal des Mohawkflusses in Oneida County im Gliedstaat New York zu kaufen, unweit des heutigen Örtchens Steuben

An vorderster Front stand er fortan nicht mehr, doch ganz so still und leise wollte der Auswanderer sein Rentnerdasein doch nicht bestreiten. Er bekleidete eine Reihe von Ehrenämtern, war seit 1784 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft in New York und übernahm im Jahr darauf die Präsidentschaft der Society of the Cincinnati. Diese Bruderschaft, bestehend aus einem kleinen Kreis amerikanischer Offiziere, benannte sich nach dem berühmten Römer Lucius Quintus Cincinnatus, der, als die junge römische Republik in höchster Not war, den Pflug mit dem Schwert tauschte. Der römische Bauernsoldat stellte sich an die Spitze des Staates, besiegte den auswärtigen Feind, und gab hernach seine Macht wieder an die Volksvertreter zurück. Die Offiziere der amerikanischen Armee, die meistens aus den Bürgern Amerikas hervorgingen, hegten eine große Verehrung für diesen Römer. Viele von ihnen, die dessen edlem Beispiel durch Rückkehr in ihre bürgerliche Stellung folgten (unter anderem auch George Washington) waren Mitglieder dieses exklusiven Bundes, dessen Wahlspruch »Omnia reliquit servare rem publicam« (zu Deutsch: »Er opferte alles, um der Republik zu dienen«) an das Musterbeispiel republikanischer Tugend erinnert.

Fast wäre er dann doch noch einmal als amerikanischer Cincinnatus auf die politische Bühne zurückgekehrt. Als zu Beginn des Jahres 1794 die Furcht vor einem neuen drohenden Krieg mit England umging (in Verletzung des Vertrags von Paris waren britische Truppen immer noch an der Nordwestgrenze stationiert), ernannte man den Generalmajor a. D. zum Vorsitzenden des Verteidigungskomitees. Der 64-Jährige sollte im Auftrag des Kongresses den Hafen von New York befestigen, eine Aufgabe, die dann schließlich obsolet wurde, als man die drohende Gefahr auf diplomatischem Weg entschärfen konnte.

Noch im selben Jahr erleidet Steuben auf seinem Landsitz am Mohawk einen Schlaganfall, an dessen Folgen er am 28. November 1794 stirbt. Seinem testamentarisch festgelegten Wunsch gemäß wird er ohne militärisches Zeremoniell, nur von ein paar Nachbarn begleitet, zu Grabe getragen – »eingehüllt in einen alten Soldatenmantel und ohne einen Stein, der die Stelle bezeichnet, wo ich liege«. Heute ist der Wald, wo Steuben seine letzte Ruhestätte fand, ein Park, den der Bundesstaat New York ihm gewidmet hat.

Dez 2019 | Allgemein, Essay, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren