Wer würde das nicht auch gerne mal ins Auge fassen – zum Anfang der Zeit reisen. Dem Realisten aber stellt sich diese Frage schon mal nicht mithin fragt man erst gar nicht. Aber? Oder? Vielleicht doch: Fragen wir mal den britische Physiker und Kosmologe John Barrow, ob Zeitreisen aus physikalischer Sicht möglich seien? „Prinzipiell ja, sagt er: Aber“, sagt er „daraus folge nicht, dass man in der Zeit zurückgehen und den Verlauf der Geschichte ändern könne. Nun waren und sind Zeitreisen alleweil ein beliebtes Motiv in der Science-Fiction-Literatur. Aber so phantastisch ist das möglicherweise gar nicht, oder?
Vor etwa 80 Jahren hat der Österreicher Kurt Gödel eine neuartige Lösung für Einsteins Relativitätstheorie entdeckt: Diese Lösung beschreibt ein Universum, das geschlossene Zeitlinien enthält. Wen man so einem Pfad folgt, landet man irgendwann wieder dort, wo man in der Vergangenheit war. Das ist nicht das Gleiche wie die Zeitreisen aus der Science-Fiction-Literatur. Hätte man eine Zeitmaschine, wie sie zum Beispiel H.G. Wells in seinem gleichnamigen Roman beschrieben hat, dann könnte man in die Vergangenheit reisen und allerlei Paradoxien erzeugen.
Zum Beispiel könnte ich mich – man kennt das Procedere aus merkwürdigen Fictionalien – selbst als Baby ermorden. Das – was Wunder – führt dann aber zu einem heftigen Widerspruch.
Aber überhaupt – was ist das: Eine geschlossene Zeitlinie?
Man denke sich die Zeit (als die Formel im Bild) oder: als eine Gruppe von Soldaten, die in einer Reihe marschieren, einer nach dem anderen. Da gibt es eine klare Ordnung: Jeder weiß, wer vor ihm ist und wer hinter ihm kommt. Doch wenn die Soldaten in einem großen Kreis marschieren, ist im Prinzip jeder vor allen anderen – und gleichzeitig hinter allen anderen. Gödel hat gezeigt, dass geschlossene Schleifen der Geschichte möglich sind. Aber daraus folgt nicht, dass man in der Zeit zurückgehen und den Verlauf der Dinge ändern könnte. Die Geschichte muss konsistent bleiben.
Einmal Unendlichkeit – und zurück
Ein Universum, das endlich ist, muss einen Rand haben. Was aber passiert, wenn man einen Stein über diesen Rand wirft? Hört der dann jenseits der Grenze auf zu existieren? Und überhaupt: Was ist jenseits der Grenze? Oder: Wie kann Zeit, die nicht unendlich ist, einen Anfang haben und ein Ende?
Im Großen wie im Kleinen
Der Physiker John D. Barrow hat der Unendlichkeit sein jüngstes Buch gewidmet. Nicht fehlen darf darin natürlich die Frage, die Menschen spätestens seit dem Zeitpunkt bewegt, als sie ein Blick in den wolkenlosen nächtlichen Himmel feststellen ließ, dass die Sterne darin unmöglich zu zählen wären, nämlich die Frage, hat unser Universum ein Ende?
Die moderne Kosmologie mit ihren Teleskopen, die Signale von immer weiter entfernten Lichtquellen aufzufangen imstande ist, hat darauf eine nur teilweise befriedigende Antwort, indem sie den Kosmos in das sichtbare und das gesamte Universum unterteilt.
Kaum eine Unendlichkeit – ob im ganz Großen oder im ganz Kleinen, lässt John D. Barrow in seiner Reise „Einmal Unendlichkeit und zurück.“ aus und zeigt dabei, was wir über das Zeitlose und Endlose wissen. Und was nicht.
Unendliche Zahlenreihen
Die Unendlichkeit beschäftigt natürlich auch seit jeher die Mathematik. Die Reihe der natürlichen Zahlen zum Beispiel, 1, 2, 3, 4 und so weiter, ist unendlich. Und unendlich ist nicht einfach nur riesig groß, Unendlichkeit galt der Mathematik sogar lange Zeit als eine Art „logische Pest“, die alles in Frage stellt, mit dem sie in Berührung kommt.
So zumindest interpretiert John Barrow den erbitterten Streit um die mathematischen Erklärungsversuche des Unendlichen, bis, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Mathematiker Georg Cantor zeigte, dass es nicht nur Unendlichkeiten an sich gibt, sondern dass es außerdem auch noch eine unendlich aufsteigende Hierarchie von Unendlichkeiten verschiedener Größe gibt.
An Georg Cantors Beispiel zeigt John Barrow einmal mehr, dass das Phänomen Unendlichkeit in der Geschichte selten wirklich auf ein spezielles Fachgebiet beschränkt betrachtet blieb. Cantors Überlegungen wurden von zeitgenössischen Mathematikern vielfach angefeindet – umso mehr weckten sie das Interesse in anderen Kreisen. Der Theologe und Philosoph Konstantin Gutberlet etwa war der Ansicht, wenn es dem Menschen irgendwie gelänge, das Unendliche verstandesmäßig zu erfassen, dann könne er sich auch der wahren Natur eines Gottes annähern.
Jede Menge Universen
Noch einmal zur Kosmologie: Da stellt sich nicht nur die Frage, ob unser Universum unendlich ist, sondern auch ob es überhaupt das einzige ist. Multiversen anzunehmen, ist Kosmologen keineswegs fremd. Wären das dann endlos viele endlose Welten? Und was hieße das? Unter unendlich vielen Universen müssen auch solche sein, die von fortgeschrittenen Zivilisationen bevölkert sind, die sich wiederum ihre eigenen Universen schaffen, indem sie sie virtuell simulieren.
Willkommen im Reich der Science Fiction, die John D Barrow gar nicht so unplausibel klingen lässt. Unendliche Zahlen, unendliche Zeiten, unendliche Universen – und ein kleiner Abstecher ins unendliche Leben.
John D. Barrow – ein detailreicher Reiseführer
Anektdotenreich erzählt Barrow nicht nur, was Menschen von Aristoteles bis Stephen Hawking über die Unendlichkeit gedacht haben, er spielt auch trickreich und faszinierend mit verschiedensten Möglichkeiten, die sich aus diesen Annahmen ergeben.
Erfolg hatte er mit dem kaum einzugrenzenden Thema schon vor vier Jahren, als sein Theaterstück „Infinities“, gespickt mit den alten logischen Problemen und Paradoxons der Unendlichkeit, in Italien mit dem Theaterpreis Premio Ubu ausgezeichnet wurde. Sein jüngstes Buch ist ein noch detailreicherer Reiseführer an die Grenzen unserer Vorstellungskraft – und ein Stück darüber hinaus.
John D. Barrow – „Einmal Unendlichkeit und zurück.
Was wir über das Zeitlose und Endlose wissen“
Campus Verlag
ISBN 3593373300
Weils gerade so schön ist, spinnen wir das Ganze noch ne kleine Weile weiter und fragen:
Was hat die gegenwärtige Physik zu solchen Szenarien zu sagen?
Gödels Zeitschleifen sind zwar prinzipiell möglich, aber sie treten in unserem Universum nicht auf. Zumindest ist es extrem unwahrscheinlich. Es gibt viele Dinge, die physikalisch prinzipiell erlaubt, aber nicht real sind. Schauen Sie etwa auf einen Tisch: Es wäre – zwar – durchaus möglich, dass er plötzlich zu schweben beginnt. Dafür müssten sich – aber – sämtliche Luft- und Holzmoleküle gleichzeitig nach oben bewegen. Das könnten sie – doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist so unglaublich klein, dass Sie so etwas niemals werden beobachten können. Ich denke, mit den Zeitreisen verhält es sich sehr ähnlich.
Was ist der Unterschied zwischen dem Gödel-Universum und dem realen Universum, so wie es sich den Kosmologen heute darstellt?
Die Möglichkeit der Zeitreisen in Gödels Universum entsteht dadurch, dass es rotiert. Und Gödels Universum dehnt sich nicht aus – im Gegensatz zu unserem Universum. So gesehen sind Gödels Lösungen keine Beschreibung der physikalischen Wirklichkeit, sondern nur eine Möglichkeit, von der die Natur Gebrauch machen hätte können. Aber es wären auch andere Versionen des Gödel-Universums denkbar. Solche, die gleichzeitig expandieren und rotieren. Der deutsche Physiker Engelbert Schücking hat etwa nach solchen Lösungen der Relativitätstheorie gesucht. Das Thema beschäftigt die Wissenschaft immer noch.
Rotiert unser Universum?
John D. Barrow hat in den 1980er Jahren mit seinen Kollegen Roman Juszkiewicz und David Sonod berechnet, wie groß so eine Rotation sein könnte. Sie wissen vermutlich, dass die Erde wegen ihrer Drehung um die eigene Achse an den Polen ein bisschen abgeflacht und am Äquator ein bisschen ausgebuchtet ist. Bei einem rotierenden Universum wäre das ähnlich:
Die Strahlung aus der Region der kosmischen Pole würde einen kürzeren Weg zu uns zurücklegen und käme daher bei uns mit höherer Temperatur an als die Strahlung vom kosmischen Äquator.
Doch Messungen zeigen: Die Temperaturschwankungen sind winzig.
Wenn unser Universum rotiert, dann tut es das extrem langsam.