Im Casus Handke spricht ein Kommentator von einem irritierenden Auftritt, nicht zuletzt weil Handke auch versuchte, die Rede mit einer Rezitation von Tomas Tranströmers Gedicht „Romanische Bögen“ im schwedischen Original abzuschließen. Anders als angekündigt, stellte sich Handke in seiner Rede nicht seinen Kritikern, sondern wühlte in den Tiefen des eigenen Werks, das er ausgiebig zitierte. Beide Reden fimden Sie im O-Ton:
Besser gefiel Platthaus Olga Tokarczuks an einer Kritik des Subjektivismus in der Gegenwartsliteratur geschärftes Plädoyer (lesen Sie hier die englische Übersetzung) für ein Erzählen aus der vierten Person: eines, wie es in der Bibel vorgeführt werde, wo ein Erzähler auftritt, der über Gottes Absichten Auskunft gibt. Zärtlichkeit erklärte die polnische Nobelpreisträgerin zum zentralen Antrieb der Literatur: eine Zärtlichkeit gegenüber allen anderen Daseinsformen.
Olga Tokarczuk, deren Rede wie ein Kommentar auf die verblasene Gegenwartslosigkeit bei Handke wirkte, geht es um eine spezielle Aufgabe des Schreibens: Immer lauter werdende Polyfonie der Ich-Geschichten zu einem Ganzen zu machen, zu einer Gegenwartserzählung, in der das Diverse verständlich – und in der die disparaten modernen Medien in einem altbewährten Medium gebündelt werden: durch die Sprache der Literatur:
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Konsequent vermied Handke, über Jugoslawien zu sprechen, sprach hingegen immer wieder seine slowenische Familiengeschichte an. Dennoch läßt sich die Rede als einen stillen Kommentar zu seiner Haltung verstehen – so, als wolle er erklären, woher er nicht nur literarisch kommt, sondern welche Erinnerungen, welche Erzählungen und welche Schicksale sein Leben und sein Denken geprägt haben. Der Schriftsteller – schien es – suchte Zuflucht beim eigenen Werk: „An die Stelle des Nichtgesagten trat die Herkunftsgeschichte der Autorschaft des Redners.Endlich wog schwer, dass Handke, indem er sich in weiten Passagen der Rede in die Ergriffenheit vom eigenen Werk zurückzog, aus dem Schatten des (in eigener Sprache, in eigenen Worten) Nichtgesagten nicht heraustreten konnte:
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Es läßt sich verstehen, dass die heute dreißig oder vierzig Jahre jungen Romanschriftsteller Handke angreifen, mit seinem Verhältnis zu Jugoslawien, wo sich niemand so genau auskennt, und es gut und billig scheint, das tun zu können. Handke jedoch kennt Jugoslawien, auch aus familiären Beziehungen. Das Hoffnungsvolle, was in jedenfalls diesem Zusammenhang – das muß so gedacht werden dürfen – nach Handke übrig bleiben wird: Eine jüngere Schriftstellergeneration hat auch politisch wieder etwas zu sagen. Zudem läßt sich hier nach einer vergleichenden Lektüre mit Martin Heidegger zum Schluss kommen, dass Handkes „Eigentlichkeitssehnsucht“ und sein „Kontrarianismus in Bezug auf Jugoslawien“ sehr wohl zusammengehören.
Es wäre denn also zu guter Letzt anzumerken, dass Tokarczuks und Handkes Reden auch als Gegensatzpaar zu begreifen ist: Wo nämlich Handke ergriffen von sich selbst über die Dörfer zieht, ist Tokarczuk gleich schon von Beginn ihrer Rede an „beim Kosmos und in einer ’süßen Nähe zur Ewigkeit‘. Sie spricht vom Rhythmus der Welt und endet mit den Sätzen: ‚Darum glaube ich, dass ich Geschichten so erzählen muss, als wäre die Welt eine lebende, einzige Einheit, die sich vor unseren Augen immer wieder neu bildet und als wären wir ein kleiner, aber doch mächtiger Teil von ihr.
Und, derweil Tokarczuk über den tragischen Abstieg einer zweckfreien Literatur sprach, inszenierte Handke wiederum deren Rettungsversuch. Das muß sein dürfen …