„Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ So hat es Jesus seinen Jüngern gepredigt, heißt es im Matthäus-Evangelium. Dieser Auftrag, den Glauben zu verbreiten, unterscheidet die Christen am deutlichsten von den meisten anderen Religions – gemeinschaften. Nach der Verkündung auf einem Berg in Galiläa, so steht es in der Bibel, begannen die Apostel mit der Mission unter den Völkern der Erde. Diese Völker sind zunächst die des Imperium Romanum und schließlich die Europas: In einem Prozess, der rund ein Jahrtausend umfasste, musste das sogenannte christliche Abendland erst seinerseits missioniert werden – während sich zugleich die anderen beiden monotheistischen Religionen, das Judentum und der Islam, verbreiteten. Wie der christliche Glaube sind sie eingewandert aus dem Nahen Osten.
Die Ursprungsorte des Christentums – Jerusalem, Galiläa sowie die Gegenden, in denen die Apostel missionierten – gehören zur Zeit Jesu und in den folgenden zwei Jahrhunderten zum Römischen Reich. Dessen Kaiser aber denken nicht daran, der Ausbreitung der neuen Religion zuzusehen. Sie lassen die Christen verfolgen. Trotzdem hat der neue Glaube bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts in allen Teilen des Reiches Anhänger gewonnen. Und obwohl die weströmischen Kaiser Diokletian und Galerius sie zwischen 303 und 311 noch einmal unnachgiebig unterdrücken lassen, ist der Wandel abzusehen: Im römisch beherrschten Gallien und in Britannien ist der Gottesdienst damals bereits erlaubt – unter der Regierung des Mitkaisers Konstantin, der alsbald nach der Macht in Rom greift.
Im Frühjahr 312 bricht er auf und zieht mit seinen Truppen über die Alpen. Kurz vor den Toren Roms stellt ihn der dort regierende Mitkaiser Maxentius zum Kampf. Es kommt zur legendären Schlacht an der Milvischen Brücke. Konstantin triumphiert, obwohl der Gegner zahlenmäßig überlegen ist, und wird alleiniger Kaiser des Weströmischen Reichs. Vor der Schlacht soll ihm ein göttliches Zeichen erschienen sein mit der Botschaft In hoc signo vinces, „In diesem Zeichen wirst du siegen“. Seinem Biografen Eusebius zufolge war es das Kreuz Christi.
Die christliche Religion entwickelt sich fortan zur Klammer des Imperiums und das Kreuz zu ihrem allgemein verehrten Symbol – obwohl sich Konstantin selbst erst 337 auf dem Sterbebett taufen lässt. Bereits 313 beendet er die seit drei Jahrhunderten andauernde Verfolgung der Christen. Gemeinsam mit dem Ostkaiser Licinius verkündet er in der Mailänder Vereinbarung die Religionsfreiheit. „Dass es jedermann erlaubt ist, seinen Glauben zu haben und zu praktizieren, wie er will“, heißt es darin.
Das gilt wohlgemerkt für alle Religionen, auch für traditionelle Kulte. Von der Mailänder Regelung profitieren jedoch vor allem die Christen. Ihre stetig wachsenden Gemeinden treten nun an die Öffentlichkeit, ebenso entsteht, in enger Bindung an den Staat, eine Kirchenorganisation mit Bischöfen an der Spitze. Ein gewaltiges Bauprogramm wird aufgelegt: Überall errichtet man Kirchen, in denen die Hinterlassenschaften von Märtyrern aus der Zeit der Verfolgung verehrt werden.
Es dauert indes nicht lange, bis die Verfolgten selbst zu Verfolgern werden. Noch im 4. Jahrhundert schaffen die Christen die neue Religionsfreiheit wieder ab: In Zeiten schwerer Bedrängnis durch die Goten, die gegen die Grenzen des Römischen Reichs anstürmen, erlässt Kaiser Theodosius I. im Jahr 380 mit seinen Mitkaisern das Edikt Cunctos populos. Es erklärt die katholische Lehre der Dreifaltigkeit aus Gottvater, Sohn und Heiligem Geist für verbindlich; alle Abweichungen gelten als Häresie und werden mit Strafen belegt. Bis ins Spätmittelalter bildet der Erlass die Grundlage für das teilweise brutale Vorgehen der Kirche gegen „Ketzer“ und für die Zwangsmissionierung Andersgläubiger.
Das Imperium Romanum zerfällt
Um 500 ist das Imperium Romanum weitgehend christianisiert. Politisch jedoch zerfällt es: Über die befestigten Grenzen an Donau und Rhein und in Britannien dringen germanische Eroberer ein – wobei Kultur und Reichtum der Römer eine solche Faszination auf sie ausüben, dass sie sich auch für die christliche Religion öffnen.
Bereits 341 hat der Bischof von Konstantinopel den gotisch-griechischen Theologen Wulfila zum „Bischof der Christen bei den Goten“ ernannt und ihn als Missionar eingesetzt. Wulfila übersetzt die Bibel in die gotische Sprache und entwickelt dafür eine eigene Schrift. Eine erfolgreiche Strategie: Bis zu Wulfilas Tod 383 tritt die Mehrheit der Westgoten zum Christentum über, außerdem Teile der Ostgoten, Vandalen und Langobarden. Allerdings missioniert Wulfila im Sinne des Arianismus, einer als Häresie geächteten christlichen Lehre, was zu Spannungen mit der romanischen Bevölkerung führt.
Umso bedeutender ist die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig um 500, denn er nimmt den römisch-katholischen Glauben an – was vermutlich auch das Werk seiner Frau ist: Der König ist seit 492 mit einer Christin verheiratet, der burgundischen Königstochter Chrodechild, die das Bündnis mit dem wichtigsten kirchlichen Würdenträger im Frankenreich, Bischof Remigius von Reims, sucht. Da Chlodwig über ein Gebiet vom Rhein bis in den Norden des heutigen Frankreich herrscht, wird er das Für und Wider einer Taufe gründlich abgewägt haben: Die Reaktion der romanischen Bevölkerungsmehrheit im Frankenreich wäre sicher positiv. Aber was würden seine fränkischen Gefolgsleute sagen?
Ein militärischer Erfolg erleichtert dem König die Entscheidung: Als er 496 in der Schlacht bei Zülpich gegen die Alemannen zu unterliegen droht, ruft er den Gott seiner Frau an, um das Schicksal zu wenden. Und tatsächlich trägt Chlodwig den Sieg davon. Die Geschichte ähnelt stark der von Konstantins Triumph an der Milvischen Brücke. Die fränkischen Krieger hat sie womöglich gerade deshalb überzeugt: Gemeinsam mit ihrem König treten bei der Taufzeremonie in Reims angeblich mehr als 3000 Männer seines Heeres zum Christentum über.
Es ist ein Missionserfolg von weltgeschichtlicher Bedeutung, denn er verschafft den Franken einen entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen germanischen Völkern, indem er das Bündnis mit der Kirche sichert und ein Zusammenwachsen mit den romanischen Christen im eigenen Reich ermöglicht. Schon bald unterwirft Chlodwig die Burgunder an der Rhône, dann drängt er die Westgoten aus dem Gebiet südlich der Loire auf die Iberische Halbinsel zurück.
Eine Sonderrolle in der Geschichte der Christianisierung spielt Irland. Die Irische Insel war nie Teil des Römischen Reichs, sie lag am Ende der damaligen Welt. Trotzdem gelangt die neue Religion über Gallien und Britannien bis in den fernen Nordwesten. 431 schickt Papst Coelestin den Priester Palladius nach Irland. Bekannter ist heute der heilige Patrick: Er kommt aus Britannien und wirkt um 450 erfolgreich als Missionsbischof. Bis zum Ende des 6. Jahrhunderts scheint Irland vollständig christianisiert zu sein. Vor allem die klösterliche Kultur entwickelt sich zu hoher Blüte – wobei das irische Mönchtum stark geprägt ist vom Drang zu wandern: 563 gründen irische Mönche im Westen Schottlands das Kloster Iona. Von hier stoßen sie ins nördliche England vor, ziehen weiter ins Frankenreich, bis zu den Alemannen und über die Alpen.
Im römisch-keltischen Teil der Britischen Inseln hat das Christentum schon im 4. Jahrhundert Fuß gefasst, doch schon kurz darauf, nach dem Abzug der Römer, gewinnen Einwanderer und Invasoren aus dem östlichen Nordseeraum die Oberhand: Jüten, Angeln und Sachsen gründen mehrere Königreiche auf dem Gebiet der ehemaligen römischen Provinzen Britanniens. Papst Gregor I. schickt darum 597 seinen Vertrauten Augustinus mit 40 Priestern auf die Insel. Deren Mission ist es, König Æthelberht von Kent zum Glaubenswechsel zu bewegen – in der Hoffnung, dass seine Getreuen ihm folgen.
Ein christianisiertes Friesland
Der Plan geht auf: König Æthelberht lässt sich taufen, und ähnlich wie 100 Jahre zuvor bei Chlodwig ist es auch in diesem Fall hilfreich, dass der König mit einer Christin verheiratet ist. Æthelberhts Residenz in Canterbury, die auch der Stützpunkt des Missionsbischofs Augustinus wird, ist bis heute der Sitz des Primas der Kirche von England.
Die Bindung an Rom und der Aufbau einer Kirchenorganisation ermöglichen eine rasche weitere Missionierung. Das erste Ziel ist Friesland: 690 beginnt der Mönch Willibrord mit elf Gefährten, von Utrecht aus den christlichen Glauben zu verbreiten. Er sucht dazu den Kontakt zum fränkischen Hausmeier Pippin dem Mittleren, dem Vater Karl Martells und Urgroßvater Karls des Großen. Und er stößt auf offene Ohren, denn Pippin hofft, ein christianisiertes Friesland leichter in sein Reich eingliedern zu können.
Zahlreiche Friesen lassen sich in diesen Jahren taufen, aber es kommt auch zu Widerstand. Nach dem Tod Pippins im Jahr 714 nutzt der Friesenkönig Radbod die Konflikte, die im Frankenreich um die Nachfolge entbrennen: Er erobert die Region um Utrecht zurück, zerstört Kirchen und dringt bis nach Köln vor. Nach Radbods Tod 719 jedoch nimmt Willibrord die Mission wieder auf. Diesmal gelangt er bis in den Norden Frieslands, unterstützt von dem neuen fränkischen Machthaber Karl Martell.
Zu seinen Gefährten dabei zählt ein Mann, der es zum bekanntesten Missionar im Frankenreich bringen wird: Wynfreth aus dem Südwesten Englands, besser bekannt als Bonifatius.
721 macht er sich mit päpstlichem Segen auf den Weg ins östliche Frankenreich. Zwar leben dort, im heutigen Hessen, Thüringen und Franken, bereits Christen. Doch die Priester können nicht lesen, manche verkehren mit Frauen, eine funktionierende kirchliche Organisation gibt es nicht – und der heidnische Glaube ist immer noch weitverbreitet.
Durch Bonifatius wird sich vieles daran ändern. Unter dem Schutz fränkischer Krieger fällt er um 730 bei Fritzlar in Nordhessen eine dem Gott Donar geweihte Eiche, um die Ohnmacht der heidnischen Götter zu beweisen. In den folgenden Jahren gründet er Klöster und die Bistümer Büraburg, Erfurt, Würzburg und Eichstätt; er selbst wird Bischof von Mainz.
Im hohen Alter von mehr als 80 Jahren bricht Bonifatius dann noch einmal nach Friesland auf. 754 oder 755 wird er bei Dokkum in den heutigen Niederlanden angeblich von Gegnern der Mission erschlagen – oder waren es Räuber, die es auf seine Kirchenschätze abgesehen hatten? Die Bibel soll er sich noch schützend über den Kopf gehalten haben. Fortan wird er als Märtyrer verehrt, was durchaus ein Ziel dieser letzten Reise gewesen sein könnte.
Der Prediger mit der eisernen Zunge
Bonifatius hat das Christentum im östlichen Frankenreich auf eine neue Grundlage gestellt: Er hat Priester ausgebildet und eine Kirchenorganisation geschaffen, die anderen Missionaren zum Vorbild wird. An seinem Grab in Fulda versammelt sich bis heute regelmäßig die katholische Deutsche Bischofskonferenz. Wegweisend ist auch sein Pakt mit Päpsten und weltlichen Fürsten: Bonifatius war es, der das spätere Bündnis der Karolinger mit Rom vorbereitet hat, das im Jahr 800 mit der Krönung Karls des Großen im Petersdom feierlich besiegelt wurde.
Auf der Arabischen Halbinsel und um das Mittelmeer breitet sich zeitgleich der Islam aus. Nur wenige Jahre nach dem Tod Mohammeds 632 erobern die Araber Damaskus, Antiochia und 637 auch Jerusalem. Es folgen im Westen Alexandria und Ägypten, im Osten Persien, später ziehen die Muslime bis nach Indien und China.
Auch das westliche Nordafrika fällt an sie. Die Berber, die hier siedeln, nehmen den islamischen Glauben an und beteiligen sich bald an der Expansion. 711 überqueren sie mit einer Streitmacht die Meerenge von Gibraltar und erobern fast die gesamte Iberische Halbinsel. Um 720 ziehen sie über die Pyrenäen, bringen die Gegend um Narbonne unter ihre Kontrolle und fallen in Aquitanien ein.
Als 732 ein arabisches Heer nach Norden vorstößt und Bordeaux plündert, kann erst eine fränkische Streitmacht unter Karl Martell die Angreifer besiegen – bei Poitiers. Hat dieser Sieg die Islamisierung des Frankenreichs verhindert, wie gern behauptet wird? Oder hatten die arabischen Reiter es lediglich auf die Schätze von Tours rund um das Grab des heiligen Martin abgesehen? Einen weiteren Versuch, in den Norden vorzudringen, gab es jedenfalls nicht. Schließlich drängen die Franken die Araber über die Pyrenäen zurück. 778 dann lässt sich Karl der Große zu einem Feldzug gegen das Emirat von Córdoba hinreißen, doch er kann keinen bleibenden Erfolg erzielen.
Als sehr viel wichtiger erweist sich dafür ein anderer Konflikt, der bis heute mit dem Namen Karls des Großen verbunden ist und ihn für manche zu einem „Prediger mit der eisernen Zunge“, zu einem Gotteskrieger macht: sein Feldzug gegen die Sachsen.
Dieser dreißigjährige Krieg läutet eine neue Epoche ein: Zum ersten Mal in der Geschichte der Christianisierung Europas wird ein Krieg, der als Strafexpedition gegen unruhige Nachbarn begann, systematisch mit Zwangstaufen und gewaltsamer Mission verbunden. Am Ende unterwerfen sich die Sachsen der fränkischen Herrschaft – und der des Kreuzes, in dessen Namen sie bald selbst die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches stellen.
Zum Abschluss ist die Christianisierung damit noch nicht gekommen: Erst als das Christentum im 13. und 14. Jahrhundert auch im Baltikum die Oberhand gewinnt und als Ende des 15. Jahrhunderts durch die Reconquista die Iberische Halbinsel rechristianisiert wird, kann man mit einem gewissen Recht sagen, dass Europa „ein christliches Land“ geworden ist, wie der deutsche Romantiker Novalis 1799 schreibt. Es war ein langer Weg voller Zufälle und Rückschläge. Wer heute fragt, ob der Islam zu Europa gehört, sollte sich daher im Klaren darüber sein, dass auch die Frage, ob das Christentum zu Europa gehört, über Jahrhunderte offen war.