Derweil in Doha die Sportler um Höchstleistungen ringen, bemüht sich „der Regierende“ im Weißen Haus an immer neuen Minderleistungen – geistiger Art. „Herr“ – möchten wir ihm zusammen mit Klaus Staeck (©) zurufen – „laß Hirn regnen.“ In den vergangenen Tagen nämlich belegte US-Präsident Donald Trump die Welt vor allem mit immer neuen hochgeistig-bodenlosen Ergüssen per Twitter. Wir möchten ihn nur ungern zitieren, deshalb nur ein Tweet, exemplarisch, vom Freitag:
„Mitt Romney wusste nie, wie man gewinnt. Er ist ein aufgeblasener ‚Arsch‘, der mich von Anfang an bekämpft hat (…)“.
Eine solche Wortwahl gegenüber einem Parteifreund? Ruft kaum noch Verwunderung hervor. Ein solche Wortwahl von einem Präsidenten? Nicht einmal das erschüttert das politische Amerika noch. Da ist etwas weit über Twitter hinaus kaputt gegangen.
Gemessen an der Entwicklung der Menschheit ist das Zeitalter der Aufklärung, der Dominanz von Wissen und Bildung, unfassbar jung. Es ist das Jahr 1784, da zitiert Immanuel Kant den lateinischen Dichter Horaz mit dessen Worten:
„Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – dieser Satz wird schließlich zum Wahlspruch der Aufklärung, und – in aller gebotenen und der für uns üblichen Bescheidenheit zu unserem, dem Motto der Neuen Rundschau: „Sapere aude“ – „Wage, zu wissen“ …
Es ist – beinahe – nicht zu fassen, wie sich ein amtierender Präsident der USA davon zu entfernen sich in diese Lage begeben hat. Schamlos – Beispiel von mittlerweile längst Vielem – forderte er gerade und, was Wunder öffentlich, China und die Ukraine sollten gegen seinen Kontrahenten Joe Biden und dessen Sohn ermitteln. Die Öffentlichkeit attackiert er mit immer neuen geistigem Stumpf Sinn, kalkuliert. „Operation Abstumpfung“ muß das genannt werden dürfen.
Trump der Anti-Aufklärer
Twitter ist sein Lieblingskanal. Knapp 35.000 mal wurde sein Romney-Tweet weiterverbreitet, knapp 138.000 mal gefiel er anderen. Besser als jede Pressekonferenz, muss Trump (denkt er wohl) denken. Trump liebt die Aufmerksamkeitsheischerei mit Tweets, nicht die geistige Auseinandersetzung mit der Welt.
Doch ihn und seine geistigen Weggefährten trifft wenig Schuld am derzeitigen Zustand des öffentlichen Amerika. Seine Wähler wollten das vermeintliche Establishment nicht mehr regieren sehen. Die Gefahr, die von einem Mann vom geistigen Schlage Trumps hervorgeht – für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land, für das fragile globale politische Gleichgewicht, für die Fortschritte beim Klimaschutz, all das ist seinen Anhängern – pardon – scheißegal. Aufklärung, ihre Werte und Errungenschaften bedeuten ihnen ebendies …
Das Internet hat sich inzwischen einen Ruf erarbeitet, Trump ist da nur ein prominentes Beispiel. Da wird gepöbelt und gehetzt, Abstumpfung und Verrohung sind (in einigen Ecken) an der Tagesordnung. Und aber genau das ist das Gegenteil der geistigen Haltung der Aufklärung. ER negiert sie.
Vergangene Woche urteilte der Europäische Gerichtshof deshalb, Facebook könne verpflichtet werden, Anfeindungen gegen einzelne Personen weltweit zu löschen. Selbst ähnliche Kommentare – sofern mit Maschinen aufzuspüren – müssten entfernt werden. Man darf juristisch darüber diskutieren, ob europäische Urteile weltweit gelten können und sollen. Der Versuch des EuGH, die Aufklärung zu retten, ist ehrbar. Auf jeden Fall aber zeigt es, dass die alten staatlichen Grenzen es kompliziert machen, solche Probleme zu lösen.
Historisch gesehen ist nicht absehbar, wohin diese geistige Verrohung führt. Historiker ziehen ein Fazit immer erst im Nachhinein.
Sicher ist: Trumpismus ist nicht förderlich für das Lösen von Problemen in einer komplexen globalisierten Welt. Sie gerät leicht aus den Fugen – wenn Trump Strafzölle verhängt, Bolsonaro den Regenwald abholzen lässt oder China einen neuen Protektionismus aufbaut. Was fehlt? Gemeinsame Ziele, gemeinsame Werte, funktionierende politische Regularien.
Aufklärung war bislang eine recht passable Grundlage
Vor Kants Vernunft müssen sich alle gleichermaßen verantworten: Staat, Religion, Bürger. Doch als gesellschaftliche Verabredung scheint die Aufklärung zutiefst infrage gestellt. Dabei brauchen wir eine solche Basis über alle Grenzen hinweg dringender denn je.
Allein Mitt Romney dürfte bald eine Genugtuung zuteil werden: Wenn die US-Senatoren final über die Amtsenthebung von Donald Trump entscheiden, wird er eine von einhundert Stimmen abgeben dürfen.