Abdurrahman Khalo (Bild) hat in Nordsyrien jahrelang ein unabhängiges Radio in kurdischer Sprache betrieben. Im Gespräch berichtet er von den Auswirkungen der türkischen Offensive und seiner Sorge über eine Verfolgung durch das zurückkehrende Asad-Regime. Seine Arbeit, sagt er, hat sich durch die türkische Offensive erheblich verändert:
Als die türkischen Truppen Kamishli ins Visier nahmen, haben sie keinen Unterschied zwischen zivilen und militärischen Zielen gemacht. Die meisten Artilleriegeschosse fielen wahllos auf die Stadt. Auch das Risiko, Ziel der türkischen Luftwaffe zu werden, war gross. Deshalb mussten wir alle unsere Aktivitäten einstellen.
Eines Hilferufs der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) wegen kehrt das Regime jetzt auch nach Kamishli in kurdischem Gebiet zurück, womit einige Veränderungen auf ihn zukommen:
Die Arbeit in jedem Bereich, egal ob in den Medien, in der Politik oder in Organisationen und Verbänden, hängt davon ab, welche Vereinbarung zwischen der Selbstverwaltung und der syrischen Regierung getroffen wird. Bis jetzt gibt es nur eine rein militärische Absichtserklärung ohne politische Lösung. Wir können unsere Arbeit nur fortsetzen, wenn die syrische Regierung die Selbstverwaltung in ihrer administrativen und politischen Form anerkennt.
Und wenn es nun aber garnicht zu einem solchen Abkommen kommt? Die Position der SDF ist nun ja stark geschwächt.
Ohne eine Vereinbarung wird es für die Menschen in der Region keine Freiheit geben. Wir halten es für schwierig, sich unter der Kontrolle der syrischen Regierung frei zu bewegen. Niemand vertraut ihr.
Sein Radio hat unter anderem in kurdischer Sprache berichtet – was unter der Regierung von Asad verboten war. Hat er Angst vor Strafmassnahmen?
Wenn die Selbstverwaltung und die syrische Regierung keine politische Einigung erzielen, werden mit Sicherheit alle politischen und zivilen Organisationen wie unsere Radiostation geschlossen. Es ist gut möglich, dass es dann auch zu Verfolgungen durch die syrischen Sicherheitskräfte kommt.
Nachdem die Türkei ja bereits einige Gebiete an der Grenze erobert hat, muß befürchtet werden, dass es dort wie in Afrin zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Wie sehen er das?
Die türkischen Streitkräfte arbeiten in diesen Regionen mit jihadistischen Organisationen zusammen. Wir haben Kollegen in Tell Abiad und Ras al-Ain, die uns berichten, dass sich diese Gruppen in Bezug auf ihr Verhalten und Denken kaum vom IS unterscheiden. Vertreibungen und Massenhinrichtungen sind weit verbreitet. Wir wissen zum Beispiel von einem Massaker an 25 Mitgliedern der turkmenischen Minderheit in einem Dorf in der Nähe von Tell Abiad. Zudem wurden Hunderte von IS-Familien aus einem Flüchtlingslager in Ain Issa befreit und nach Tell Abiad gebracht. Dort wohnen sie nun in Häusern, aus denen die ursprünglichen Einwohner vertrieben wurden.
Kann sich der IS auch in den von den SDF kontrollierten Gebieten wieder ausbreiten? das sieht Abdurrahman Khalo so:
Ja, meint er, der IS werde auch dort wieder stärker, und die Bedrohung durch Schläferzellen nehme zu. Bereits jetzt haben jihadistische Organisationen gewisse Strassen abgeschnitten und die Kontrolle über arabische Dörfer übernommen, deren Bewohner den IS unterstützen.
Nachdem mittlerweile viele Menschen vor der türkischen Invasion und den vorrückenden Truppen des Asad-Regimes geflohen sind, antwortet auf die Frage, wie jetzt deren Situation aussieht:
Wir schätzen die Zahl der Vertriebenen auf über eine halbe Million. Viele sind in Schulen untergebracht und leben in katastrophalen Zuständen. Es mangelt an Nahrung, Wasser und Strom. In den meisten Spitälern fehlt es an Medikamenten zur Behandlung der Verwundeten, deren Zahl vom Kurdischen Roten Halbmond auf über 1000 beziffert wird. Mehr als 5500 Personen sind über die syrisch-irakische Grenze ins dortige kurdische Autonomiegebiet geflohen. Die Grenzübergänge sind offiziell nur für humanitäre Fälle und Besuche offen. Allerdings gibt es viele illegale Grenzübertritte. Familien, die geflüchtet sind, berichten uns von riesigen Summen, die sie an Schmuggler zahlen mussten – pro Person zwischen 600 und 750 Dollar. Schliesslich sind sie in Irakisch-Kurdistan in Lagern gelandet, in denen sie wegen der katastrophalen Bedingungen ebenfalls kaum überleben können. Aber ihre Angst vor den türkischen Bombardements und den mordenden Jihadisten-Gruppen war grösser.
Nun mußte Abdurrahman Khalo sein mehrsprachiges, unabhängiges Radio in Nordsyrien einstellen. Wie soll es weitergehen?
Unter Asads Regierung war ein kurdisches Radio undenkbar. Als 2013 die Regierungstruppen aus Nordostsyrien abzogen und die Kurden unter der Führung der Partei PYD begannen, eine Selbstverwaltung aufzubauen, entstanden jedoch viele Medienunternehmen. Radio One FM des Geschäftsführers Abdurrahman Khalo sendete jahrelang in kurdischer, arabischer und syrisch-aramäischer Sprache. Es wurde vom deutschen Institut für Auslandsbeziehungen finanziell unterstützt und konnte dadurch unabhängig von der kurdischen Selbstverwaltung arbeiten.
Erdogan hat hier ganze Arbeit geleistet!