Prächtig in Gold gerahmt schaute er mit verrätseltem Blick hinüber zu seinen Deutern. Stefan George, gemalt, war anwesend, als im überfüllten Humboldt-Saal des Deutschen Literaturarchivs in Marbach die große George-Biographie von Thomas Karlauf ihre „Uraufführung“ (so Marbach-Direktor Ulrich Raulff) erlebte.
Das Gemälde des Künstlerfreundes Lepsius ist (dies links ist es n i c h t) vielleicht das genaueste unter den zahllosen, meist arg stilisierten Bildern, die vom Dichter überliefert sind. Herrische Strenge, Stolz und Distanz sind deutlich sichtbar – aber aus seinen Augen schaut auch eine leise-skeptische Neugier, ja sanfte Ironie. Ab und an glaubt der Betrachter, ein Mona-Lisa-Lächeln zu erkennen.
Stefan George entzieht sich, rätselhaft changierend und voller Ambivalenz, jeder vorschnellen Eindeutigkeit.
Seine Uraufführung erlebte der Dichter am Sonntag, den 14. November 1897 bei Lepsius in der Berliner Kantstraße. Der Maler mit der „Gebärde und Haltung eines vornehmen Marquis vergangener Zeiten“ (George) und dessen Frau Sabine hatten in ihren legendären Salon geladen; unter den Gästen waren Lou Andreas-Salomé und ihr junger Begleiter Rainer Maria Rilke. Die Fama Georges begann mit dieser Lesung. Fast 110 Jahre nach Georges Durchbruch konnte sich nunmehr sein Biograph huldigen lassen: Nachdem sein 800-Seiten-Wälzer vor einer Woche in die Buchhandlungen kam, wird jetzt bereits die 3. Auflage gedruckt.
Das Marbacher Archiv war als Ort der Präsentation glücklich gewählt. Hier lagern die Nachlässe vieler Jünger aus dem George-Kreis, die Thomas Karlauf ebenfalls gesichtet hat: die von Karl Wolfskehl, Max Kommerell, Ernst Bertram, Ernst Glöckner und Friedrich Gundolf. Hausherr Ulrich Raulff ist ein vielfach ausgewiesener George-Kenner. Als „diensttuende Linksgeorgianer“ bezeichnete er in seiner Einführung ironisch sich und Moderator Jens Bisky, Feuilletonredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, frei nach Hegels Adepten.
Bisky, der in diesem Herbst selbst als Biograph mit einer Studie über Heinrich von Kleist hervortritt, konstatierte einen regelrechten George-Boom in den Feuilletons der vergangenen Wochen: Seit dem Tod des Meisters 1933 sei in deutschen Zeitungen nicht mehr soviel über ihn geschrieben worden, leider mit allzu starkem Schwerpunkt auf die sexuellen Aspekte dieser Dichterbiographie. Thomas Karlauf erläuterte daher den von ihm an zentraler Stelle und nach langem Nachdenken verwendeten „Päderastie“-Begriff: Dieser beschreibe – auch nichtsexuelle, rein platonische – Varianten von Beziehungen zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann. „George hat mitnichten ein Leben lang hinter dem Gebüsch gestanden“, sagte Karlauf. Dichtung und Freundschaft seien bei ihm zu einer Identität verschmolzen. Einen „großen Guru“ habe er dennoch nicht zum Leben erwecken wollen, bekräftigte Karlauf; vielmehr wolle er diese Gestalt als Teil einer Geistesgeschichte ins Gespräch bringen.
Karlaufs Mythenschau zerrt George nicht pseudoaktualisierend in die Gegenwart. Vielmehr historisiert er ihn als fiebernde Figur einer nervösen Epoche. Mit Stefan George begann das Zeitalter der Extreme. Im Januar 1914 meinte Thomas Mann nach der Lektüre einer George-Studie von Friedrich Gundolf: „Es war ein verständliches Gefühl Gundolfs, dass der Augenblick gekommen sei, über George populär zu reden. Aber der Zweifel ist berechtigt, ob man das überhaupt je können wird, – ob es je möglich sein wird, diese steile, krasse, im edelsten und neuesten Sinn groteske Erscheinung den Deutschen populär zu machen.“ Von Gundolf zu Karlauf: Dieser Zweifel bleibt, zum Glück.
Dennoch lohnt es, im totgesagten Park Stefan Georges zu cruisen. Karlaufs Biografie ruft auch dessen „Formungen von unvergänglicher Schönheit“ (Thomas Mann) in Erinnerung. 1897 erschien Georges wohl bekanntester Gedichtzyklus „Das Jahr der Seele“, der mit einer Verführung beginnt:
„Komm in den totgesagten park und schau: / Der schimmer ferner lächelnder gestade / Der reinen wolken unverhofftes blau / Erhellt die weiher und die bunten pfade.“ Und schließlich: „Vergiss auch diese lezten astern nicht, / Den purpur um die ranken wilder reben, / Und auch was übrig blieb vom grünem leben / Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.“
Ute Oelmann, Leiterin des Stefan George-Archivs in Stuttgart, erinnerte in der Diskussion daran, dass George unendlich viele Anregungen anderer in sich aufnahm. Der sogenannte „Kreis“ um George sei jedoch eine Fiktion, zu verschieden und wechselhaft waren die diversen Verhältnisse untereinander und zum Meister. Aber dennoch sei es eine Form von Gemeinschaft geblieben, die ungeheuer trug.
Gegen Ende der Veranstaltung dann tauchten im Saal letzte leidenschaftliche Fragen auf: Woher stamme die tiefere Motivation Karlaufs (Mitarbeiter bei Castrum Peregrini) für die jahrelange Beschäftigung mit George? Wann sei er das erste Mal Georges Gedichten begegnet? Welche Empfindungen hätte er damals gehabt? Im Alter von 15 Jahren, beschied der Biograph knapp und wahrte ansonsten lächelnd dieses spezielle Geheimnis Georges. In diesem Augenblick schien der Meister ebenfalls zu lächeln. gt
Thomas Karlauf: „Stefan George. Die Entdeckung des Charisma“. Karl Blessing Verlag, München, 816 Seiten, 29,95 Euro