Einige säkular denkende Sozialdemokraten wollten 2019 einen Arbeitskreis gründen, dürfen aber nicht. Auch in ihrer Internetpräsenz dürfen sie nicht den Namen der Partei führen. Generalsekretär Lars Klingbeil verbietet die Gründung eines säkularen Arbeitskreises.
Trennung von Staat und Kirche sei keine Forderung der SPD. Ach ja, ist es nicht? Dies obgleich doch wider geltendes Recht (unter anderem) der Einzug der Kirchensteuer aufgrund staatlicher Gesetze, meist durch die Finanzämter immer noch erfolgt.
Damit das möglich wird, sind alle Bürger kraft staatlicher Gesetze gezwungen, ihr Bekenntnis den Gemeindebehörden, dem Finanzamt und dem Arbeitgeber zu offenbaren. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses.
Dies – und so weiter – abzuschaffen sollte doch sehr wohl eine Forderung der SPD sein – wenngleich auf der Hand liegt, weshalb dem so nicht ist.
Könnte ja mehr als wenige Wählerstimmen kosten.
Der Artikel 4 des Grundgesetzes jedenfalls garantiert nicht nur die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses – er verlangt aus gutem Grund auch die Trennung von Kirche und Staat.
Hingegen aber sind alle Bürger kraft staatlicher Gesetze immer noch gezwungen, ihr Bekenntnis den Gemeindebehörden, dem Finanzamt und dem Arbeitgeber zu offenbaren, damit das Finanzamt für die Kirchen abkassieren kann. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses.
Dieser Artikel 4 kennt also keinen sogenannten Gesetzesvorbehalt.
Darum ist (unter vielem Anderem) der Zwang der Bekanntgabe des eigenen Bekenntnisses, wie ihn sämtliche Kirchensteuergesetze der Länder vorschreiben, verfassungswidriges Recht:
Taufe
Die Taufe, eine religiöse Zeremonie, bildet für den Einzug der Kirchensteuer die Rechtsgrundlage.
Ein kirchlicher Ritus begründet so Rechtswirkungen für den bürgerlichen Bereich. Auch dies widerspricht den Freiheitsrechten des Artikel 4 GG.
Wollen sich Bürger der Kirchensteuerpflicht entziehen, müssen sie ihren Austritt aus ihrer Religionsgesellschaft formgerecht (vor dem Amtsgericht, dem Kreisgericht oder dem Standesamt) erklären.
Das ist in einigen Bundesländern sogar kostenpflichtig.
Religionsunterricht
Der Religionsunterricht ist versetzungsrelevantes ordentliches Unterrichtsfach. Die erklärungsbedürftige Nichtteilnahme verpflichtet mancherorts zur Teilnahme an einem – verfassungsrechtlich höchst problematischen – Ethikunterricht:
‡Die Kirchen wirken entscheidend bei der Anstellung und Entlassung jener Lehrkräfte mit, die für den Religionsunterricht vorgesehen sind (missio canonica). In Nordrhein-Westfalen gibt es nicht nur immer noch die katholische Bekenntnisschule als staatliche Regelschule (!), es werden auch die konfessionellen Privatschulen in (fast) allen Bundesländern rechtlich und materiell bevorzugt.
Der Religionsunterricht wird insbesondere an Berufs- und Realschulen sowie Gymnasien vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Militärseelsorge
Die Militärseelsorge ist – verfassungswidrig – als gemeinsame Aufgabe des Staates und der Kirchen organisiert. Sie wird fast völlig vom Staat aus allgemeinen Steuermitteln finanziert.
Theologische Fakultäten und Hochschulen
Diese dienen ausschließlich der Ausbildung künftiger Kirchenfunktionäre (Geistliche, Religionslehrer und sonstige Mitarbeiter). Studierende für das geistliche Amt sind ebenso wie alle Geistlichen vom Wehr- und Ersatzdienst befreit. Weil nicht nur Theologische Fakultäten, sondern auch besondere Lehrstühle in anderen Fächern (Philosophie und Geschichte), an denen Kirchen ein Interesse an ideologisch „reinem“ Unterricht haben, der Ausbildung des kirchlichen Funktionärsnachwuchs dienen, beanspruchen die Kirchen entscheidende Mitwirkung bei der Ernennung und Entlassung von Professoren, bei der Gestaltung von Lehrplänen und Prüfungsordnungen sowie bei der Durchführung von Prüfungen, Promotionen und Habilitationen. Obwohl der Einfluss der Kirchen nahezu vollkommen ist, so dass in den Theologischen Fakultäten die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verbürgte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre nicht wirksam werden kann, werden diese Einrichtungen doch samt und sonders aus allgemeinen Steuermitteln finanziert.
Sonderseelsorge
Die öffentliche Hand finanziert außerdem die Polizei-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorge.
Aus dem von der Verfassung zugesicherten Recht der freien Seelsorge in diesen Bereichen ist unter der Hand eine Finanzierungspflicht des Staates geworden.
Überrepräsentation in öffentlichen Gremien
Die Kirchen sind in öffentlichen Gremien nicht nur überrepräsentiert, sondern genießen zahlreiche geldwerte Privilegien, etwa kostenlose Sendezeiten bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten für die eigene Präsentation; sie können also kostenlos werben! Trotzdem interessieren sich immer weniger Menschen für ihre Veranstaltungen. Angesichts des rapiden Mitgliederschwundes der Kirchen muss gefragt werden dürfen, mit welchem Recht sie diese Privilegien noch weiterhin genießen sollen.
Wohlfahrtswesen / Arbeitsrecht
Dank des sogenannten Subsidiaritätsprinzips, das die Kirchen auf ihre Weise auslegen, dominieren sie das gesamte Wohlfahrts- und Jugendhilfewesen. Die in diesen Bereichen bei kirchlichen Arbeitgebern Beschäftigten stehen nicht nur nicht unter dem Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes; sie sind vielmehr kirchlichen Normen und geistlicher Willkür so gut wie schutzlos ausgeliefert.
Rechtsordnung
Religiöse Grundsätze und kirchliche Interessen beherrschen noch immer entscheidende Normen des Verfassungsrechts und vieler Rechtsbereiche: so beispielsweise das Schulrecht ebenso wie das Straf- und Familienrecht (u.a. § 166 StGB). Kirchliche Symbole in öffentlichen Räumen und bei Veranstaltungen des Staates (Kreuze in Gerichts-, Sitzungs- und Schulsälen) sowie Emissionen zum Zwecke kirchlicher Werbung (Glockengeläute) werden allenthalben gerichtsnotorisch geduldet, obwohl sie die von der Verfassung gebotene Neutralität des Staates eklatant verletzen.
Schlußfolgerung aus – mit Verlaub – alledem:
Diese Beispiele lassen sich erweitern und vertiefen. Sie machen deutlich, wie mächtig die religiösen Institutionen, die Kirchen, in unserer Gesellschaft noch immer sind. Und dies, obgleich die Kirchen trotz aller Privilegien sowie der rechtlichen und finanziellen Hilfe des Staates seit Jahrzehnten laufend an Einfluss verlieren.
Das bundesweite Netzwerk der Säkularen Sozialdemokraten
stellt nun die Bewerber und Bewerberinnen um den
Parteivorsitz der SPD auf den Prüfstand.
Mit der Beantwortung von acht Fragen sollen sie klarstellen, wie sehr sie in der (sic – eigentlich!) säkularen Tradition der SPD stehen und wie weit sie Respekt und Toleranz als Grundwerte der Demokratie ernst nehmen. Dabei geht es auch um die Frage der staatlichen Neutralität gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen.
Natürlich wollen die „Säkularen Sozis“ auch wissen, ob sich die Bewerberteams für die längst überfällige Einrichtung eines offiziellen SPD-Arbeitskreises Säkulare einsetzen werden, der auf Augenhöhe mit den Arbeitskreisen der Christen, Muslime und Juden die Interessen der religiös nicht gebundenen Parteimitglieder vertritt und damit auch grundgesetzkonform die Interessen der mit 37 Prozent größten Bevölkerungsgruppe der nichtreligiösen Bundesbürger.
Alsdann – Die acht Wahlprüfsteine für die Bewerber lauten:
1. Staatliche Neutralität hinsichtlich Religionen wie Weltanschauungen und der säkulare Rechtsstaat garantieren das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Gesinnung. Die säkulare Tradition der SPD kann hier anknüpfen. Wie wichtig ist politische Säkularität, die Religionen weder diskriminiert noch privilegiert?
2. Respekt und Toleranz sind Grundwerte unserer Demokratie, die insbesondere von der Sozialdemokratie erstritten wurden und verteidigt werden. Verdienen Angehörige aller Religionen, soweit sie sich an das Grundgesetz und die allgemeinen Gesetze halten, den gleichen Respekt und gilt dieser Respekt in gleicher Weise auch gegenüber den Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen?
3. Seit über 100 Jahren erhalten die kirchlichen Organisationen aus allgemeinen Steuermitteln hohe staatliche Leistungen für ihre hauptamtlichen Mitarbeiter (Kardinäle, Bischöfe, …). GG Artikel 140 (entspr. Art. 138 WRV). Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, diese Leistungen abzu-schaffen oder zu reduzieren?
4. Kirchliche Einrichtungen erhalten für den Unterhalt von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern … bis zu 100 Prozent staatliche Unterstützung. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass sie künftig mit anderen sozialen Einrichtungen, wie z.B. Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz gleichgestellt werden?
5. Die Kirchen beanspruchen für sich ein eigenes Arbeitsrecht und halten sich beispielsweise bei Einstellungen und Entlassungen nicht an die allgemeinen Gesetze. Werdet Ihr Euch für die Durchsetzung der staatlichen Gesetze auch in religiösen Einrichtungen einsetzen?
6. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass auch Missbrauchsfälle in den Kirchen primär der staatlichen Ermittlung und Rechtsprechung unterliegen müssen?
7. Werdet Ihr Euch für die Einführung eines gemeinsamen integrativen, kundig machenden Unterrichts über Religionen/Weltanschauungen, Ethik und kulturelle Normen an allen Schulen einsetzen?
8. Werdet Ihr Euch beim Bundesparteitag für die Einrichtung eines offiziellen Arbeitskreises Säkulare in der SPD als Ergänzung zu den bestehenden AKs der Christen, Juden und Muslime einsetzen, um die aufgeworfenen Fragen in einem offenen Dialog zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten?
Tja, meine Damen und Herren Genossen*Innen –
da kommt doch freudig erregte Spannung auf.