Zur Bürgerlichkeit, egal, warum, wo oder wie man sie definiert, gehört auf jeden Fall eine „elementare Affektkontrolle“, möchte man dem – vorgeblich – bürgerlichen Alexander Gauland zurufen. Nach dem Mord an Walter Lübcke schauten wir uns auf Internetseiten der AfD um – und stellten zum Sprachgebrauch dort fest: „Der Evangelische Kirchentag? Eine schizophrene Irrsinnsveranstaltung“. Angela Merkel? Eine ins „linksgrüne Lager abgedriftete Kanzlerdarstellerin“. Die CDU-Chefin? „Meinungsdiktatorin AKK“. So geht das ohn Unterlass. Haben aber auch (und nicht nur Grüne) Besserwissis ihren Anteil an der Ossi Unmut?

Nota bene kam Wort „bürgerlich“ als Beschreibung der AfD am Wahlabend durch die MDR-Moderatorin Wiebke Binder in Umlauf – die Moderatorin nahm damit eine Selbstbeschreibung des gauländischen AfDlers auf, der sich am Wahlabend regierungswillig gab.
Peter Weissenburger schreibt in der taz, dass nicht zu ersten Mal gewisse Durchlässigkeiten des MDR gegenüber der AfD auffallen.

Die Kommunikation der AfD erinnert an eine vollgeschmierte Klowand. Nichts daran ist bürgerlich. Dieser Dauerton der Maßlosigkeit zeigt sich allerdings nicht en passant einfach als eine permanente stilistische Entgleisung, der sich mit der Gaulandschen Formulierung vom „gärigen Haufen“ beschönigen ließe. Er verweist auf einen unbürgerlichen Kern, nämlich die Verachtung des Individuums.“ Und die ist dezidiert unbürgerlich, meinen wir – anders als Dirk Peitz übrigens auf Zeit online – dem Begriff der Bürgerlichkeit durchaus noch Konturen abgewinnen kann.

Natürlich läßt sich bei alledem gegen einen anderen Diskurs der AfD wenden, die sich heute als Sprachrohr der (pardon – sind nur die gemeint, die wir meinen): „Ossis“ darzustellen versucht: „Was im Osten gerade geschieht, ist ein Angriff nicht auf die Demokratie, sondern auf das Geschichtsbewusstsein nicht zuletzt auch dieses Landes. Auf die Vorstellung, dass die Wende ein ganz und gar unwahrscheinlicher Glücksmoment war, dessen historische Bedeutung erst in ein- oder zweihundert Jahren wirklich verstanden werden wird.“
Die Autorin Ines Geipel warnt im Gespräch mit FAZ-Redakteurin Sandra Kegel davor, die AfD-Wähler nicht beim Wort zu nehmen und das Votum bloß als Protestvotum zu sehen: „Siebzig Prozent der sächsischen AfD-Wähler sagen, die Partei drücke ihre politische Haltung aus. Das ist ernst zu nehmen.“ Und beim beim ARD-Fernsehwahlabend wurde mit eher unklarer Rhetorik „klare Kante“ eingefordert.

Von den Jung- bzw. Erstwählern in Sachsen und Brandenburg haben etwa gleich viele Grüne und AfD gewählt. Warum ausgerechnet so viele junge Wähler für die AfD gestimmt haben, erklärt sich der Soziologe Wilhelm Heitmeyer im Interview mit dem Tagesspiegel psychologisch: Es gebe tatsächlich ein siedlungsgeografisches Problem, das selten beachtet werde: In Dörfern und Kleinstädten existiere ein sehr viel höherer Konformitätsdruck. Wenn man da nicht standfest sei, „muss man sich entweder anpassen oder wegziehen. Und dieser Konformitätsdruck setzt sich durch, wenn strukturelle Probleme auftauchen. Dieses sozialgeografische Problem verbindet sich zudem mit einem sozialdemographischen: Junge, gut ausgebildete Frauen gehen weg. Männer haben oft nicht mal mehr die Möglichkeit, eine Familie zu gründen, da kommt es für sie dann auf die Demonstration von Stärke an. „Die vermeintlich starken Sprüche von der AfD helfen beim eigenen Starksein.“

Bleibt zu hoffen, dass die thüringischen Wähler trotz der vielen Verbocktheiten der „großen“ Volksparteien – wie die in Brandenburg und Sachsen – deren erfreulich Viele eben nicht meinten, „Denkzettel“ verteilen zu müssen, eben drum protestantische Wutbürger spielen zu müssen – und die Damen und Herren der AfD insofern denken, sie seien gewählt worden, weil sie – mehr oder weniger geschickt – dem Volk aufs Maul schauend gelogen haben, dass sie eben dies, was sie dabei gesehen haben, im Parlament würden umsetzen wollen.
Und, zu guter Letzt, und das schließlich wurde und wird immer mal wieder von ganz ganz oben festgestellt: Naziterror, davor haben wir uns doch selber bewahrt; „können nur wir selber tun.“
Geben jedenfalls tut es ihn nicht!

 

Sep. 2019 | Allgemein, Junge Rundschau, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren