Harte Bedingungen
Nach dem Waffenstillstand im November 1918 und einer Friedenskonferenz, die im Schloss Versailles tagte, beendete erst der Friedensvertrag endgültig den Ersten Weltkrieg. Seine Bedingungen wurden unter den Siegermächten ausgehandelt – allen voran die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien.
Ö1-Sendungshinweis
Ein Entwurf wurde der deutschen Regierung im Mai 1919 vorgelegt, trotz Protesten kam es nur zu wenigen Nachbesserungen. Mit ihren Unterschriften am 28. Juni im historischen Ambiente des Versailler Spiegelsaals erkannten die deutschen Minister die Bestimmungen des Vertrags an. Darunter das Eingeständnis der Kriegsschuld, was zur Grundlage für hohe Reparationsforderungen wurde, der Verlust aller Kolonien und eine deutliche Verkleinerung des deutschen Heers.
Die harten Bedingungen sorgten in Deutschland für Bitterkeit und weitreichende Ablehnung. Die politische Rechte machte sich in den nächsten Jahren daran, „Versailles“ scheibchenweise rückgängig zu machen – und vergaß dabei auf den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, bei dem der jungen Sowjetunion ein Jahr zuvor noch weit harschere Bedingungen zugemutet wurden. Kritik am Vertrag von Versailles übten freilich auch viele Vertreter der Alliierten – der britische Ökonom John Maynard Keynes etwa, der die wirtschaftlichen Schwierigkeiten voraussah und sich unter Protest aus der Delegation seines Heimatlandes zurückzog.
„Präzedenzlose internationale Verrechtlichung“
Auch Rechtshistoriker halten Aspekte des Vertrags von Versailles für einen Fall von „Siegerjustiz“, er betont aber seine positiven Seiten: Er hat eine präzedenzlose internationale Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Staaten herbeigeführt. Es gab noch nie so viel Völkerrecht wie in diesem Moment. Als historische Vorläufer im 19. Jahrhundert sieht er technische und wirtschaftliche Innovationen, wie etwa das Metermaß als internationaler Standard oder das internationale Briefporto, die juristisch verabredet wurden.
Auch bei den Haager Friedenskonferenzen, die sich mit delikateren Dingen beschäftigten wie Kriegsführung und Abrüstung, war man dazu übergegangen, diese Themen unter das Völkerrecht zu stellen. Ein Prozess, der nicht ohne Widerstände ablief. 1902 etwa sprach der deutsche Generalstab von ‚Gebräuchen im Landkrieg‘. Das Wort vermied die Vorstellung von Völkerrecht als etwas Zwingendem und Verpflichtendem. So schien es nur eine Konvention zu sein, an die man sich halten konnte oder nicht.
Meilenstein für international verbindliche Regeln
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Die Verhandler in Versailles 1919: David Lloyd George, Vittorio Orlando, Georges Clemenceau und Woodrow Wilson
Der Vertrag von Versailles ging in die Gegenrichtung und setzte auf das Völkerrecht. Integraler Bestandteil aller Pariser Vorortverträge war die Schaffung des Völkerbunds, der Vorläufer der Vereinten Nationen (UNO), der den zukünftigen Frieden sichern sollte. Der Vertrag hatte sicher Konstruktionsfehler, aber er wollte etwas ganz Neues und Ambitioniertes, und hat sich in vielen Unterkommissionen auch um wirtschaftliche, soziale, wissenschaftliche und literarische Zwecke bemüht. Das ist von der Völkerrechtsgeschichte erst in den letzten Jahren im Einzelnen entdeckt und insgesamt freundlicher bewertet worden. Ein Beispiel: die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die sich für soziale Gerechtigkeit weltweit einsetzt und als UNO-Sonderorganisation bis heute besteht.
Der Friedensvertrag war somit ein Meilenstein auf dem Weg zu international verbindlichen Regeln. Die Vorstellung, dass wir uns wechselseitig auf bestimmte Inhalte verpflichten, und zwar durch Recht und nicht durch einseitig aufkündbare Meinungsäußerungen oder willkürliches Handeln, trägt in den besseren Momenten die internationale Politik bis heute – also auch das Pariser Klimaabkommen.
Die Klimakrise ist ein besonders anschauliches Beispiel für den Wert internationaler Verträge – kein Land kann allein etwas gegen sie ausrichten. Man muß heute trotz des US-Ausstiegs aus dem Pariser Klimaabkommen in dieser Frage leicht optimistisch sein dürfen und – dank Aktionen wie „Fridays for Future“ – gerade einen Stimmungsumschwung wahrnehmen. Zunehmend entsteht ein globales Bewusstsein über die gegenseitige Abhängigkeit. Wir sind auf Kooperation angewiesen. Wenn wir Zwecke wie Umweltschutz, Menschenrechte, Abrüstung und Sicherheit erreichen wollen, müssen wir Verträge schließen und einhalten.